| # taz.de -- Kolumne Afrobeat: Der Zombie-Kontinent | |
| > Afrika ist der Kontinent der alternden Autokraten. Deren politischer | |
| > Körper ist ein anderer als ihr biologischer. Das schafft Probleme. | |
| Bild: Spitze: die Torte zu Robert Mugabes 93sten Geburtstag | |
| Am 1. März feierte Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika seinen 80. | |
| Geburtstag. Genauer gesagt: Er wurde mutmaßlich 80 Jahre alt. Der greise | |
| Staatschef, seit 1999 im Amt, ist vor fünf Jahren das letzte Mal in der | |
| Öffentlichkeit aufgetreten. Aus der Zeit, die seitdem vergangen ist, | |
| existieren von Bouteflika lediglich Bilder, die ihn im Rollstuhl zeigen – | |
| er hatte 2013 einen schweren Schlaganfall. 2014 wurde er wiedergewählt, | |
| ohne real in Erscheinung zu treten. | |
| Afrikas Staaten haben zu Leben und Tod ihrer allmächtigen Staatschefs | |
| zuweilen ein seltsames Verhältnis. Es hat weniger mit dem modernen | |
| Verständnis eines Staatsoberhaupts zu tun als mit den „zwei Körpern des | |
| Königs“, wie sie der Historiker Ernst Kantorowicz einst in Bezug auf die | |
| europäischen Monarchen des Mittelalters skizzierte: Der König hat einen | |
| natürlichen biologischen und sterblichen Körper. Und er hat einen | |
| übernatürlichen politischen und unsterblichen, der seinen Tod überdauert | |
| und vererbt wird. Der erste Körper ist die Person des Königs, der zweite | |
| ist die Macht der Krone. | |
| Aber wenn der politische Körper den biologischen Tod des Königs überdauert, | |
| wozu braucht man dann überhaupt einen lebenden König? Ab einer gewissen | |
| Komplexität des Machtapparats und der staatlichen Verwaltung geht es auch | |
| so – das ist der Unterschied zwischen Mittelalter und Moderne. Afrika, der | |
| jugendlichste Kontinent der Welt, hat inzwischen die weltweit größte Anzahl | |
| alternder Autokraten, bei denen die Aussicht auf eine biologische Lösung | |
| der Machtfrage den Anlass bietet, politisch lieber alles beim Alten zu | |
| lassen. | |
| Algeriens Bouteflika ist kein Einzelfall. Gambias mittlerweile gestürzter | |
| Yahya Jammeh wollte 1.000 Jahre herrschen. In Simbabwe feierte | |
| Langzeitherrscher Robert Mugabe, seit 1980 im Amt, am 26. Februar seinen | |
| 93. Geburtstag. Er saß auf einer Festtribüne vor Tausenden | |
| Parteiloyalisten, vor sich mehrere riesige Geburtstagskuchen, einer davon | |
| 93 Kilo schwer, und mümmelte sich während der Lobreden durch eine Packung | |
| Kartoffelchips. | |
| In einer kurzen Ansprache wunderte Mugabe sich dann darüber, dass er noch | |
| am Leben sei. Einige Zeit zuvor hatte seine Ehefrau Grace Mugabe erklärt, | |
| er werde auf jeden Fall bei den nächsten Wahlen 2018 erneut kandidieren, | |
| notfalls auch als Leichnam. Zwei Tage nach der Geburtstagsfeier verschwand | |
| die komplette Familie per Sonderflug vom hermetisch abgeriegelten Flughafen | |
| der Hauptstadt Richtung Singapur, wo Mugabe immer zum Arzt geht. Der | |
| Chefredakteur der unabhängigen Zeitung [1][News Day ] wurde verhaftet, weil | |
| in seinem Blatt stand, Mugabe sei möglicherweise nicht gesund. Ein | |
| simbabwischer Pastor sitzt hinter Gittern, weil er Mugabes Tod für den 17. | |
| Oktober 2017 prophezeit hat. | |
| ## Inszenierte Nichtexistenz | |
| Was den politischen Körper einer Autokratie am ehesten destabilisiert, | |
| ist, wenn der biologische Tod des Machthabers sichtbar ist. Dass Libyens | |
| Gaddafi im Krieg auf der Flucht erschossen und seine Leiche danach zur | |
| Schau gestellt wurde, hat den libyschen Staatsmythos so nachhaltig | |
| zerschlagen, dass seitdem niemand mehr regieren kann. Bouteflikas | |
| Nichtexistenz in Algerien funktioniert, weil sie inszeniert wird. Wenn er | |
| einmal für tot erklärt wird, werden sich die heftigsten Spekulationen darum | |
| drehen, wann er wirklich starb. | |
| Die akutesten Todesspekulationen umschwirren derzeit den Präsidenten von | |
| Afrikas bevölkerungsreichstem Land Nigeria, den 74-jährigen Muhammadu | |
| Buhari. Am 19. Januar flog er zu einem zehntägigen „Urlaub“ nach London und | |
| kam nicht mehr wieder. Gerüchte über seinen Tod und Gebete um seine | |
| Genesung wechseln sich in der unerschrockenen nigerianischen | |
| Medienöffentlichkeit ab, und immer mehr Kommentatoren finden, dass das Land | |
| ohne Präsidenten viel besser regiert wird. Die offene Diskussion mildert | |
| die Erschütterung, die der tatsächliche Tod Buharis sonst darstellen | |
| könnte. | |
| Manche Länder bekommen das nie in den Griff. Die schwer gemarterte | |
| Demokratische Republik Kongo leidet seit der Unabhängigkeit 1960 daran, | |
| dass ihre Führer unplanmäßig sterben. Befreiungsheld Patrice Lumumba wurde | |
| 1961 hingerichtet, sein Leichnam bleibt verschollen. Er wird wie ein | |
| Heiliger verehrt, aber tatsächlich sucht der tote Lumumba sein Land heim | |
| wie ein Fluch, weil er für Heilsansprüche steht, an denen jeder Politiker | |
| scheitert. Diktator Joseph-Désiré Mobutu, der den Kongo von 1965 bis 1997 | |
| in den Abgrund wirtschaftete, starb wenige Monate nach seinem Sturz durch | |
| Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila in Marokko; sein Leichnam bleibt in | |
| der Fremde, ein Dauermahnmal für die ungelösten Konflikte des Landes. | |
| Kabila selbst starb Anfang 2001 durch die Kugel seines Leibwächters in | |
| seinem Palast in Kinshasa; für ihn gibt es immerhin ein kitschiges | |
| Mausoleum in Kinshasa. Und am 1. Februar dieses Jahres starb in Belgien der | |
| historische Oppositionsführer Étienne Tshisekedi, die letzte der großen | |
| Figuren der kongolesischen Politik. Seitdem sind alle politischen | |
| Reformbemühungen zum Stillstand gekommen, und Tshisekedis Leichnam liegt | |
| auf unabsehbare Zeit in einem belgischen Kühlraum. | |
| ## Viel zu große Fußstapfen | |
| Falls die sterblichen Überreste Tshisekedis jemals nach Kinshasa | |
| zurückkehren, werden auf den Straßen gigantische Massen trauern. Der tote | |
| Tshisekedi ist mächtiger als der lebende, ebenso wie der tote Lumumba, der | |
| tote Mobutu und auch der tote Kabila. Und immer sind es die Söhne, die in | |
| ihre viel zu großen Fußstapfen treten, in erster Linie der in sich gekehrte | |
| Präsident Joseph Kabila als Nachfolger seines charismatischen Vaters. Nun | |
| kommt Tshisekedis Sohn Felix Tshisekedi als neuer Oppositionsführer dazu, | |
| angepriesen als „biologischer und ideologischer Sohn“ seines Vaters in | |
| schönster Kantorowicz-Manier – aber in seiner Legitimation vom toten Vater | |
| abhängig. | |
| Die großen Namen bleiben. Die Figuren, die sie ausfüllen, werden immer | |
| kleiner. Staatswesen müssen lebendig bleiben, um den Tod ihrer Führer zu | |
| überdauern. Wenn auf den biologischen Tod auch der politische folgt, | |
| verschwindet irgendwann alles. | |
| 7 Mar 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.newsday.co.zw/ | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Afrika | |
| Afrobeat | |
| Nigeria | |
| Autokratie | |
| Algerien | |
| Gambia | |
| Nigeria | |
| Algerien | |
| Nigeria | |
| Kongo | |
| Robert Mugabe | |
| Elfenbeinküste | |
| EU-Türkei-Deal | |
| Nordafrika | |
| Nigeria | |
| Simbabwe | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Repressionen und Gewalt in Gambia: Der Wunsch nach Gerechtigkeit | |
| Während der Herrschaft Yahya Jammehs wurden Tausende willkürlich verhaftet | |
| und gefoltert. Dem Land steht eine schwierige Aufarbeitung bevor. | |
| Nigerias Präsident Buhari: Lebt er noch? | |
| Wie steht’s eigentlich um den nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari? | |
| Er ist wieder mal nicht da. Ab und zu taucht ein Foto von ihm auf. | |
| Wahl in Algerien: Ein Land resigniert | |
| Die Algerier wählen ein neues Parlament. Es wird wohl alles beim Alten | |
| bleiben – und doch ist die Abstimmung eine Premiere. | |
| Vertriebenenlager in Nigeria: Der ständige Begleiter | |
| Drei Jahre nach der Entführung hunderter Schülerinnen ist Boko Haram auf | |
| dem Rückmarsch. Nun hat das Militär die Bevölkerung fest im Griff. | |
| Suche nach Massengräbern im Kongo: UN-Experten vermutlich entführt | |
| Sie suchten Massengräber. Jetzt suchen alle nach ihnen: Im Kongo sind | |
| UN-Experten verschwunden, die im Fall eines Massakers der Armee | |
| ermittelten. | |
| Unruhen in Simbabwe: Prozess gegen Protestbewegung platzt | |
| Eine Richterin setzt 65 Demonstranten, darunter Jugendliche, auf freien | |
| Fuß. Sie hatten gegen Präsident Mugabe demonstriert. | |
| Geld für meuternde Soldaten: Domino-Effekt an der Elfenbeinküste | |
| Schmutzige Slums, überfüllte Schulen, streikende Beamte: Die Regierung der | |
| Elfenbeinküste hätte Geld dagegen, doch das landet bei Soldaten. | |
| Kommentar Umgang mit dem Fall Yücel: Warum kuscht Merkel? | |
| Mit ihrer Flüchtlingspolitik setzt sie auf Despoten in Europa und Afrika. | |
| Damit macht sich die Bundeskanzlerin von diesen Regimen abhängig. | |
| Flüchtlingspolitik in Nordafrika: Gabriel gegen Auffanglager | |
| Merkel will mehr Geflüchtete schneller zurück nach Nordafrika schicken. | |
| Außenminister Gabriel hält die Idee hingegen für „nicht durchdacht“. | |
| Gerüchte um Nigerias Präsident: Buhari stellt sich tot | |
| Nigerias Staatschef Buhari hat seinen „Urlaub in London“ verlängert. Schon | |
| mehrfach ließen seine Sprecher wissen, er sei nicht tot. | |
| Proteste in Simbabwe: Mugabe warnt die Opposition | |
| Nach Straßenschlachten in der Hauptstadt Harare meldet sich jetzt der | |
| 92-jährige Präsident Mugabe zu Wort. Es werde keinen Umsturz im Land geben. |