| # taz.de -- Wahl in Algerien: Ein Land resigniert | |
| > Die Algerier wählen ein neues Parlament. Es wird wohl alles beim Alten | |
| > bleiben – und doch ist die Abstimmung eine Premiere. | |
| Bild: FLN-Unterstützerin auf einer Wahlkampf-Veranstaltung in Algier, April 20… | |
| MADRID taz | Die Algerier sind an die Urnen gerufen. Am Donnerstag wird ein | |
| neues Parlament gewählt. Seit dem 9. April herrscht Wahlkampf, doch kaum | |
| jemanden interessiert die Abstimmung. Denn niemand zweifelt daran, dass mit | |
| der Nationalen Befreiungsfront (FLN) und deren Abspaltung, der Nationalen | |
| Demokratischen Versammlung (RND), einmal mehr die beiden Parteien gewinnen | |
| wer-den, die seit Jahrzehnten das Geschick des nordafrikanischen | |
| Krisenlandes lenken. | |
| Wenn überhaupt, dann sind es die Anekdoten der Wahlkampagne, die die | |
| Menschen interessieren. Eine handelt von den „Geisterfrauen“: Mehrere | |
| islamistische Parteien hatten auf ihren Plakaten die Gesichter der | |
| Kandidatinnen per Photoshop wegretuschiert. Was zurückblieb, war ein Kleid | |
| und ein Kopftuch. Die Wahlkommission schritt ein und verlangte von den | |
| Parteien, die Plakate zu ändern. Die Wähler hätten ein Recht zu sehen, wem | |
| sie ihre Stimme anvertrauen. | |
| Seit der letzten Parlamentswahl im Jahr 2012 sind die algerischen Parteien | |
| verpflichtet, einen Frauenanteil von mindestens 30 auf ihren Listen und | |
| später im Parlament zu haben. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode | |
| sind knapp 31 Prozent der Abgeordneten der Nationalen Volksversammlung | |
| Frauen. Nirgends in Nordafrika sind die Frauen so stark vertreten wie in | |
| Algerien. | |
| ## Resignation statt Wahlbegeisterung | |
| Was den Mächtigen im Land aber Sorgen bereitet, ist die Wahlbeteiligung – | |
| und der damit einhergehende mögliche Mangel an Legitimität des Urnengangs. | |
| Insgesamt 63 Parteien treten am Donnerstag an, die | |
| Wahlkampf-Veranstaltungen in den großen Städten des Landes waren aber nur | |
| spärlich besucht. | |
| Seit den ersten freien Parlamentswahlen 1991/1992 geht die Lust der Wähler, | |
| ihre Stimme abzugeben, zurück. Damals gewann die Islamische Heilsfront | |
| (FIS) im ersten Durchgang. Vor dem zweiten Durchgang brach die Armee die | |
| Wahl ab. Die FIS wurde verboten. Das Land versank in einem zehn Jahre | |
| dauernden blutigen Krieg, der rund 200.000 Menschen das Leben kostete. | |
| Zwar hat sich die Sicherheitslage in den letzten 15 Jahren deutlich | |
| verbessert, doch die wirtschaftliche und soziale Situation kaum. Das | |
| Parlament hat nicht wirklich etwas zu sagen. Eine starke Opposition gibt es | |
| nicht. Bei der Parlamentswahl 2012 lag die Wahlbeteiligung bei 43 Prozent, | |
| und das war – so zahlreiche Beobachter – eine beschönigte Zahl. Algeriens | |
| Bevölkerung steckt in einer tiefen Depression. | |
| Die Islamisten, die einst große Massen hinter sich vereinten, sind | |
| weiterhin verboten. Diejenigen, die unter dem Markenzeichen Islam antreten, | |
| unterstützten immer wieder die regierende FLN und sind somit weitgehend | |
| diskreditiert. Das nicht-religiöse Lager zerfällt in unzählige Parteien. | |
| ## Eine Premiere | |
| Und dennoch ist die Wahl an diesem Donnerstag so etwas wie eine Premiere. | |
| Es ist der erste Urnengang, der nicht unter der Kontrolle des übermächtigen | |
| Geheimdienstgenerals Mohamed Lamine Mediène „Toufik“ stattfindet. Dieser | |
| wurde 2015 von Präsident Abdelaziz Bouteflika in den Ruhestand geschickt. | |
| Einige Oppositionsparteien versprechen sich davon sauberere, | |
| demokratischere Wahlen. | |
| Zudem räumt eine Verfassungsrevision aus dem vergangenen Jahr dem Parlament | |
| mehr Kompetenzen ein. Die Opposition in der Nationalen Volksversammlung | |
| wird gestärkt. Mehrere Parteien, die bisher immer wieder zum Boykott | |
| aufgerufen hatten, nehmen am 4. Mai teil – allen voran die Versammlung für | |
| Demokratie und Kultur (RCD), die vor allem in der Kabylei, der Region der | |
| Berberminderheit, stark ist. | |
| Den Parteien geht es darum, Präsenz zu zeigen. Denn spätestens 2019 stehen | |
| Präsidentschaftswahlen an – wenn der schwerkranke Staatschef Abdelaziz | |
| Bouteflika sich nicht bereits zuvor zurückzieht. | |
| 3 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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