# taz.de -- Reform in Algerien: Mehr Rechte für die Berber | |
> Dank einer seit langem geplanten Verfassungsreform wird die Sprache der | |
> Minderheit anerkannt. Das Land soll zu einem „zivilen Staat“ werden. | |
Bild: Blick auf die Altstadt von Algier | |
Madrid taz | Algerien steht vor einer Verfassungsreform. Das Land soll | |
demokratischer werden, die Minderheit der Berber sollen zu ihren seit | |
Langem eingeforderten Rechten kommen. Am Sonntag wird die Reform dem | |
Kongress – der Versammlung beider Kammern des Parlaments – zur Abstimmung | |
vorgelegt. | |
Bereits 2011, in Folge des Arabischen Frühlings, hatte Präsident Abdelaziz | |
Bouteflika eine Verfassungsänderung versprochen. Bouteflika und sein | |
Premier Abdelmalek Sellal sprechen jetzt von einer Reform für einen | |
„zivilen Staat“. Dank der breiten Mehrheit, die die Unterstützer des | |
Präsidenten im Kongress haben, wird sie auch angenommen werden. Eine | |
Debatte ist nicht vorgesehen. Ein Teil der Opposition überlegt sich | |
deshalb, die Sitzung zu boykottieren. | |
Die neue Verfassung soll der Regierung mehr Macht gegenüber dem Staatschef | |
einräumen. Künftig wird der Ministerpräsident nicht mehr vom Präsidenten | |
ernannt, sondern vom Parlament gewählt. Eine unabhängige Wahlkommission | |
soll gebildet werden, das Versammlungs- und Demonstrationsrecht sollen | |
gestärkt werden. | |
## Nur zwei Amtsperioden für den Präsidenten | |
Außerdem wird die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Legislaturperioden von | |
jeweils fünf Jahren beschränkt. Damit kehrt Bouteflikas Reform zu der | |
Regelung zurück, wie sie vor 2008 bestand. Damals ließ der Staatschef die | |
Verfassung ändern, um weiterhin für den Präsidentenposten kandidieren zu | |
können. Der 78-jährige Bouteflika wurde 2009 für eine dritte und im April | |
2014 für eine vierte Amtszeit gewählt, obwohl er seit einem Schlaganfall | |
gesundheitlich schwer angeschlagen ist. | |
Der wichtigste Punkt der Reform betrifft die Rechte der Berberminderheit. | |
Ihre Sprache, das Tamazight, wird erstmals in der Geschichte des Landes zur | |
„nationalen und offiziellen Sprache“. Die 30 Prozent der Bevölkerung, die | |
diese alte nordafrikanische Sprache benutzen, können nun auf eine | |
Gleichstellung des Tamazight in Schule, Ausbildung und Alltag hoffen. | |
Seit der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich 1962 hatte die Regierung | |
immer wieder versucht, Arabisch als einzige Sprache durchzusetzen. Sowohl | |
Tamazight als auch Französisch, die Kolonialsprache, in der sich Berber und | |
Arabophone verständigen können, sollte vollständig ersetzt werden – ohne | |
Erfolg. In der mehrheitlich berberischen Kabylei kam es immer wieder zu | |
Protesten und Aufständen für mehr Eigenständigkeit und kulturelle Rechte. | |
## Skepsis ist angebracht | |
„Endlich wird der Kampf mehrerer Generationen für legitime Forderungen | |
gewürdigt“, heißt es in einer Erklärung der wichtigsten laizistischen | |
Oppositionspartei, der „Versammlung für Demokratie und Kultur“ (RCD), die | |
vor allem in der Kabylei stark verankert ist. Der Rest der Reform sei | |
jedoch „Augenwischerei“. Die Reform, die nicht mit allen politischen | |
Kräften ausgehandelt worden sei, stelle „keinen wirklichen Fortschritt | |
dar“. Auch der ehemalige Ministerpräsident Ali Benflis sieht in der Reform | |
„ein rein politisches Manöver, um von der wirklichen Herausforderungen | |
abzulenken“. | |
Algerien steckt durch den Verfall des Preises für Erdöl und Erdgas in einer | |
Krise. Politische und wirtschaftlichen Clans streiten um Einfluss, während | |
Bouteflika die Geschicke des Landes längst nicht mehr lenkt. In seinem | |
Umfeld kommt es zu immer offeneren Machtkämpfen zwischen denen, die ihn | |
beerben wollen, darunter sein Bruder und Berater Said Bouteflika (58). | |
Das Präsidialamt hat in den letzten Jahren die Spitze der einflussreichen | |
Armee umgebaut und den Chef des allmächtigen militärischen Geheimdienstes | |
DRS in den Ruhestand versetzt. Der DRS wurde jetzt ganz aufgelöst. Ein | |
neuer Geheimdienst untersteht nun dem Präsidialamt statt den Generälen. | |
3 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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