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# taz.de -- Kommentar Merkel in Nordafrika: Reise mit leichtem Gepäck
> Grenzsicherung und etwas Geld: Auf Besuch in Tunesien und Ägypten hatte
> Merkel keine Lösungen in Flucht- und Migrationsfragen anzubieten.
Bild: Die Kanzlerin bei einer Sondersitzung des tunesischen Parlaments
Migrations- und Flüchtlingsabwehr ist das erklärte Ziel der Nordafrikareise
Angela Merkels, die sie nach Ägypten und Tunesien geführt hat. Ein
Patentrezept hatte die Kanzlerin dabei nicht im Gepäck. Technische Hilfe
zur Grenzsicherung hat sie Ägypten versprochen – der übliche verzweifelte
Versuch, die Sicherung von Europas Mittelmeergrenze auszulagern, der nie
funktioniert hat. Fragwürdig ist es auch, Länder wie Ägypten, die es mit
Menschenrechten nicht so genau nehmen, als Europas Grenzpolizisten
einsetzen zu wollen.
Außerdem hat Merkel Unterstützung von Hilfsprogrammen für Flüchtlinge in
Ägypten angeboten. Eine gute Idee. Eine alleinstehende Frau mit vier
Kindern, die beispielsweise aus Somalia geflohen ist, bekommt dort keine
finanzielle Unterstützung. Sie muss mindestens fünf Kinder haben, um einen
kleinen Geldbetrag vom UNHCR zu bekommen. Ägypten zahlt nichts, es kann
kaum die eigenen Bürger über Wasser halten.
Für europäisch finanzierte Hilfsprogramme, abgewickelt über internationale
Organisationen und lokale Projekte, wäre das ein weites Betätigungsfeld.
Allerdings lässt sich eine solche Mammutaufgabe nicht mit ein paar
Millionen Euro hier und da bewältigen.
Immerhin, die europäische Idee von Auffanglagern in Nordafrika für
Flüchtlinge aller Nationalitäten scheint derzeit vom Tisch. Auch weil keins
der dortigen Länder mitspielen will. Zu groß ist etwa die ägyptische Sorge,
dann selbst zum noch größeren Magneten für Flüchtlinge aus ganz Afrika zu
werden. Also hat auch Merkel in Kairo klargemacht, dass es im Moment nicht
um Rückführung von Menschen geht, die nicht aus Ägypten kommen. Mit dem
ägyptischen Präsidenten hat sie über die schnellere Rückführung
ausreisepflichtiger Ägypter aus Deutschland gesprochen und wohl positive
Signale erhalten. Mit derzeit etwa 1.300 solcher Menschen in Deutschland
ist das aber eher ein Nebenschauplatz im Versuch, die Flüchtlingskrise zu
lösen.
## Umsiedeln statt internieren
Über das wichtigste Instrument hat Merkel in Kairo nicht gesprochen. Mit
Umsiedlungsprogrammen könnte man die Verwundbarsten und Bedürftigsten der
Flüchtlinge nach Europa bringen – Menschen, die Folter und Vergewaltigung
erlebt haben, deren unmittelbare Angehörige umgebracht wurden. Beim UNHCR
sind entsprechende Fälle registriert und dokumentiert, sie müssten nicht
erst in Auffanglagern gefunden werden.
Auch für die aufnehmenden Länder haben solche Programme einen
entscheidenden Vorteil: Die Anwärter können einem Sicherheitscheck
unterzogen werden; man weiß, wer kommt. Die Hoffnung auf Umsiedlung wäre
für Flüchtlinge auch die beste Motivation, nicht ihr Leben auf einem Boot
zu riskieren.
Mit Ausnahme Schwedens und Großbritanniens werden für Flüchtlinge in
Ägypten derzeit aber keine derartigen Umsiedlungsplätze angeboten. Die
wenigen, die es in Europa gibt, werden im Flüchtlingsdeal mit der Türkei
aufgebraucht. Mit Trump haben nun auch die USA ihre Umsiedlungsprogramme
praktisch eingefroren. Nur Kanada und Australien bieten noch Plätze an.
Weniger als 3 Prozent der Flüchtlinge in Ägypten kamen letztes Jahr in ein
solches Programm.
Was heißt das konkret für Kaltoum Adam, die aus dem sudanesischen Darfur
geflüchtet ist und bei einem Treffen in ihrer Wohnung im Kairoer
Armenviertel El-Baragil von ihrem Schicksal erzählt? Sie wurde
vergewaltigt; ihre Tochter, die als Haushaltshilfe arbeitet, wird massiv
sexuell belästigt; ihr Sohn kam eines Tages nicht von der Arbeit nach Hause
und ist spurlos verschwunden; ihr Nachbar bedroht sie mit einer Pistole.
Für ein Umsiedlungsprogramm qualifiziert sie sich dennoch nicht – dafür
müsste ihr Leid noch größer sein.
Merkel steigt nach ihrer Reise in Tunis wieder in ihr Flugzeug, das sie
nach Berlin bringt. Der vergewaltigten Kaltoum und ihren Kindern in Kairo
bleibt nur das Boot nach Europa.
Weitere Informationen zur europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik
finden Sie in unserem Rechercheschwerpunkt [1][migration-control.taz.de].
3 Mar 2017
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[1] http://migration-control.taz.de
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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