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# taz.de -- Erbrecht für Frauen in Tunesien: Eine Ungeheuerlichkeit
> Frauen sollen genauso viel erben dürfen wie Männer, meint Präsident Beji
> Caïd Essebsi. Er widerspricht damit der Scharia. Das ärgert so einige.
Bild: Ist diese Frau schuld am Vorstoß von Präsident Beji Caïd Essebsi? Wohl…
Kairo taz | Tunesiens Präsident Beji Caïd Essebsi schlägt revolutionäre
Töne an. In einer Rede zum nationalen Frauentag hat er erklärt, das
tunesische Erbrecht reformieren zu wollen. Die Botschaft: Frauen und Männer
sollen in Zukunft zu gleichen Teilen erben können. Das ist ein absolutes
Novum in der arabischen Welt, dass ein Präsident etwas ankündigt, dass der
Scharia, dem islamischen Recht, widerspricht. Denn laut Scharia, die in
allen arabischen Ländern die Grundlage des Familien- und Erbrechts
darstellt, steht den Töchtern in der Regel nur der halbe Erbteil zu, den
die Söhne bekommen. So steht es im Koran festgeschrieben.
Dass der tunesische Präsident diese Regeln über Bord werfen will, im Namen
der tunesischen Verfassung, in der die Gleichheit von Mann und Frau
festgelegt ist, ist eine kleine Revolution. Kein Wunder, dass Institutionen
wie die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo gegen die Ideen des
tunesischen Präsidenten Sturm laufen.
Die Azhar-Scheichs traten sogar im ägyptischen Fernsehen auf. „Die
Erbschaft ist ganz klar im Text des Koran geregelt. Da gibt es keinen Raum
für Interpretationen. Der Text sagt, dass Gott die Order gibt, dass der
Mann in der Regel das Doppelte der Frau erbt“, erklärte der Azhar-Gelehrte
Mohammed El-Shahat Al-Guindy.
Die Antwort aus Tunesien kam prompt. Der tunesische Präsident Essebsi,
verwahrte sich gegen die Einmischung der Al-Azhar-Universität in die
inneren Angelegenheiten seines Landes. Auch das tunesische Fatwa-Büro
stellte sich hinter den Präsidenten. Dessen Vorschläge garantieren die
Gleichheit von Mann und Frau in ihren Rechten und Pflichten und sei auch
durch internationale Konventionen gedeckt, die Tunesien unterzeichnet habe,
urteilte das Büro des tunesischen Muftis.
Doch auch in Tunesien selbst wird die angekündigte Reform kontrovers
diskutiert. Die islamistische Ennahda-Partei äußerte sich zunächst
vorsichtig. Man wolle abwarten, welche Ergebnisse das Komitee erbringt, das
die Reform ausarbeiten soll, heißt es dort. Andere islamistische Parteien
wie die Tayar Al-Mahaba-Partei wollen dem Präsidenten das Vertrauen
entziehen. Fadhel Achour, der Vorsitzende des tunesischen Imam-Verbands,
forderte den Mufti Othman Battikh auf, zurückzutreten, weil er die Rede des
Präsidenten unterstützt.
Eine andere Kritik kommt vom ehemaligen tunesischen Präsidenten Moncef
Marzouki. Er wirft seinem Nachfolger vor, die Frauenfrage zu politisieren,
um von seinem Scheitern abzulenken. Auch in Ägypten ist eine heftige
Debatte ausgebrochen. Der ägyptische Menschenrechtler Gamal Eid,
gratulierte Tunesien zur Idee der Gleichheit im Erbrecht. Aber es gibt auch
Sarkasmus. „Der säkulare Araber ist für die Freiheit der Kleidung,
abgesehen vom Kopftuch, er ist für Meinungsfreiheit, außer wenn es um
Fatwas geht, und er ist für Religionsfreiheit, solange das nicht für den
Islam gilt“, heißt es in einem Tweet.
Das kleine Tunesien hat im Familienrecht schon öfter den Vorreiter in der
arabischen Welt gespielt. 1956 hat Tunesien die Vielehe abgeschafft. Das
Problem dabei: Der Prophet Mohammed hatte selbst mehrere Frauen. In den
islamischen Quellen heißt es aber, dass ein Mann, der mehrere Frauen
heiratet, sie alle nicht nur materiell, sondern auch emotional gleich
behandeln muss. Emotional mehrere Frauen gleich behandeln? So etwas,
sagten die tunesischen Reformer damals, könne nur der Prophet selbst, und
schufen die Vielehe kurzerhand ab.
18 Aug 2017
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Tunesien
Frauen
Kairo
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Reiseland Tunesien
Schwerpunkt Flucht
Putschversuch Türkei
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