# taz.de -- Landtagswahl: „Unser Ideal ist ein starker Staat“ | |
> Lars Harms, Spitzenkandidat des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), | |
> über friesische Perspektiven, Minderheitenpolitik und die Koalition mit | |
> SPD und Grünen | |
Bild: „Jedwege kulturelle Identität ist eine Bereicherung“: SSW-Spitzenkan… | |
taz: Herr Harms, fühlen Sie sich eigentlich als Friese, | |
Schleswig-Holsteiner, Däne, Deutscher oder Europäer? | |
Lars Harms: Ich bin eindeutig Friese, deutscher Staatsbürger friesischer | |
Nationalität. Ich spreche außer Deutsch und Friesisch auch Platt und | |
Dänisch und liebe alle meine Kulturen. Insofern bin ich auch Europäer. | |
Sie betrachten Schleswig-Holstein, in dem Sie und der SSW mitregieren, aus | |
dezidiert friesischer Perspektive? | |
Sicher habe ich eine friesische Sichtweise. Wenn es zum Beispiel um die | |
Bedeutung des Küstenschutzes geht … | |
Gott schuf das Meer, der Friese die Küste, wie es so schön heißt? | |
Ja, das gehört zur friesischen Sichtweise. Ein gewisser Grad an | |
Bodenständigkeit ist schon dabei. | |
Sehen Sie kulturelle Identitäten als Bereicherung, gerade für ein Land wie | |
Schleswig-Holstein? | |
Jedwede kulturelle Identität ist eine Bereicherung, das darf man niemandem | |
absprechen. Dem Zuwanderer aus Italien ebenso wenig wie dem Flüchtling aus | |
Syrien oder Afghanistan. Die dürfen bei aller geforderten Integration in | |
Deutschland ihre kulturellen Identitäten behalten und pflegen. | |
Sie sind Mitglied in mehreren friesischen Vereinen und Organisationen, aber | |
auch in einer Wohnungsgenossenschaft der Sinti. Warum? | |
Diese Genossenschaft wurde 2005 gegründet, um eigenständiges, | |
gemeinschaftliches Wohnen für Sinti und Roma zu ermöglichen. Und da fühlte | |
ich mich angesprochen, aus Solidarität unter den Minderheiten – und nicht | |
nur als Politiker – zum Gelingen ein bisschen was beizutragen. Und es ist | |
ein Leuchtturmprojekt für ganz Deutschland geworden, was da in Kiel-Gaarden | |
entstanden ist. | |
Haben Sie, hat der SSW, eine speziellen Blick auf Minderheitenfragen, auf | |
Migration, auf Flüchtlingspolitik? | |
Ja, eindeutig. Minderheiten in Deutschland müssen geschützt und gefördert | |
werden, da gibt es für uns als SSW keine Diskussion. Weil wir aber fast | |
alle zwei oder drei Identitäten in uns haben, verstehen wir, denke ich, | |
besser als die deutsche Mehrheitsgesellschaft Menschen, die aus anderen | |
Teilen der Welt zu uns kommen und ihre Bedürfnisse und Anliegen. Kulturelle | |
Identitäten müssen geachtet und dürfen nicht beschnitten werden. | |
Sie wollen soziale und kulturelle Integration ohne Gegenleistung fördern? | |
Nein. Es muss eine klare Ansage geben, welche Grundwerte hier in | |
Deutschland, in Schleswig-Holstein gelten. Freiheit, Demokratie, | |
Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Toleranz | |
gegenüber jedweden Minderheiten – das sind Prinzipien, die respektiert | |
werden müssen auch von Menschen, die diese aus ihren Kulturkreisen so nicht | |
kennen. Zugleich aber müssen sie ihre eigene Kultur behalten und leben | |
dürfen. | |
Schwerpunkte des vor einer Woche auf einem Parteitag verabschiedeten | |
SSW-Wahlprogramms sind Integration, Bildung und Soziales. Sie stehen zum | |
Beispiel für ein humanitäres Bleiberecht und die kostenlose | |
Gesundheitskarte für jeden Flüchtling? | |
Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist ein Muss. Es ist absolut sinnvoll, | |
sie aus der Solidargemeinschaft heraus zu finanzieren, gern auch zusätzlich | |
mit Steuergeld. Es kann nicht sein, dass eine Behörde entscheidet, ob ein | |
Flüchtling eine medizinische Behandlung bekommt oder nicht. Dafür sind | |
Ärzte da, und deshalb ist die Gesundheitskarte notwendig. | |
Das humanitäre Bleiberecht ist in weiten Teilen Fakt und wird nur noch von | |
Menschen bestritten, die nicht guten Willens sind. Flüchtlingen, die seit | |
Jahren und Jahrzehnten mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus hier leben, | |
obwohl alle wissen, dass sie nicht in ihre Heimat zurückkehren können, | |
müssen wir eine dauerhafte Perspektive bieten. Und wir müssen ihnen | |
frühzeitig Bildung, Ausbildung und Arbeit ermöglichen. Das gilt gerade auch | |
für Afghanen: Sie können und dürfen wir nicht zurückschicken in den | |
wahrscheinlichen Tod, sie haben dort keine Perspektive. Also müssen wir sie | |
ihnen hier ermöglichen. | |
Sie wollen eine Ferienbetreuung für alle Grundschulkinder und | |
Sozialstaffeln für Kitakinder? Wie soll das genau aussehen? | |
Niemand hat so viel Urlaub, dass er die Ferienzeiten voll abdecken könnte. | |
Also müssen wir das tun und fangen schon mal bei den Kleinsten an, bei den | |
Grundschulkindern. Bei den Kitas ist es uns leider finanziell nicht | |
möglich, die Gebühren vollkommen abzuschaffen. Das würden wir gerne, denn | |
wir finden, dass Bildung von der Wiege bis zur Bahre kostenlos zu sein hat. | |
Aber das ist teuer und Schleswig-Holstein arm. Also fangen wir an mit | |
Zuschüssen von 100 Euro bei den Krippenkindern, den Unter-Drei-Jährigen. | |
Unser Ziel aber bleibt es in den nächsten Jahren, die Kinderbetreuung | |
vollständig kostenlos zu machen. | |
Letztlich wollen Sie einen solidarischen Wohlfahrtsstaat nach | |
skandinavischem Vorbild? | |
Das ist immer noch unser Ideal. Der Staat muss eine Funktion haben. Nicht | |
weniger Staat kann das Ziel sein, sondern ein Staat, der sich kümmert um | |
alles, was weder die Gemeinschaft noch der Markt lösen können oder wollen. | |
Ein starker Staat ist ein Kern unserer Demokratie. | |
Klingt nach einer klaren Absage an jedwede Koalition mit der FDP. | |
Ja. Wir wollen unsere Küstenkoalition mit SPD und Grünen weiterführen. | |
Andere Optionen kommen für uns nicht in Frage. | |
Was ist denn so super an SPD und Grünen hier in Schleswig-Holstein? | |
Super ist, dass wir politisch weitgehend auf einer Wellenlänge liegen und | |
miteinander kompromissfähig sind. Unser Bündnis ist sehr pragmatisch und | |
sachorientiert, auch wenn alle drei Partner ihre eigenen politischen | |
Vorstellungen haben. Wir haben den Willen und die Kraft, Lösungen zu suchen | |
und zu finden, statt uns in Streitereien zu verzetteln, die den Bürgern | |
nichts bringen. | |
Aber dann bindet sich der SSW an das Schicksal von SPD und Grünen: Wenn es | |
mit denen nicht zum Weiterregieren reichen sollte, habe Sie keine | |
Alternative – SPD und Grüne aber schon. | |
Der SSW bindet sich an seine politischen Vorstellungen. Die sind nur mit | |
SPD und Grünen umsetzbar, mit den anderen Fraktionen nicht. Es ist besser, | |
in die Opposition zu gehen als seine Prinzipien für die Macht zu opfern. | |
Wer SSW wählt, wählt Küstenkoalition oder Opposition? Kein dritter Weg? | |
Harms: So ist es. | |
Aber ihre jetzigen Partner haben andere Optionen. | |
Wer SPD wählt, bekommt vielleicht die Ampel oder die Große Koalition, eine | |
Stimme für die Grünen kann eine Stimme für Schwarz-Grün oder Jamaika sein. | |
Bei uns ist der Kurs klar. | |
Und warum finden Sie diese offenbar doch recht wankelmütigen Partner so | |
„super“, wie Sie vorhin sagten? | |
In der Koalition sind sie verlässlich. Und wenn es für die Fortsetzung bei | |
der Wahl eine Mehrheit gibt, wovon ich überzeugt bin, werden auch SPD und | |
Grüne sie fortsetzen wollen. | |
Warum kandidiert der SSW im September nicht für den Bundestag? Einen Sitz | |
dürften sie sicher haben. | |
Die Regularien im Bundestag sehen vor, dass Einzelabgeordnete verminderte | |
Rechte haben: Sie dürfen keine Anträge stellen, sie haben kein Rederecht. | |
Ein Mandat ohne Wirkungsmöglichkeiten bringt nichts. Darauf können wir | |
verzichten. | |
Falls es zur Fortsetzung der Koalition in Kiel reicht: Welches Ministeramt | |
strebt der Spitzenkandidat Lars Harms an? | |
Der SSW wird sicher wieder ein Ressort beanspruchen. Welches das sein wird, | |
und mit wem es besetzt wird, sehen wir dann. | |
5 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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