# taz.de -- Mohamed Amjahid über weiße Privilegien: „Rassismus gehört zu D… | |
> „Zeit Magazin“-Reporter Mohamed Amjahid weiß, was es bedeutet, als Person | |
> of Color in Deutschland zu leben – und hat ein Buch darüber geschrieben. | |
Bild: Keine schwarzen Menschen, dafür jede Menge Weiße in Blackface: Parallel… | |
taz: Herr Amjahid, wir sitzen hier in einem Café in Berlin-Prenzlauer Berg. | |
Wie würden Sie als Anthropologe diesen Ort beschreiben? | |
Mohamed Amjahid: Orte wie dieser sind weiße Parallelgesellschaften. Wenn | |
ich mich hier umschaue, sehe ich nur weiße Menschen. Mit | |
Parallelgesellschaft meine ich übrigens Räume in einer multikulturellen | |
Stadt wie Berlin, die sozial segregiert sind und wo sich Communitys | |
herausbilden. Ob das schlimm ist, ist erst einmal nicht die Frage. Es geht | |
nur um die Beobachtung, dass wir beide hier die einzigen People of Color | |
sind. Mir – als einem der „anderen“ – fällt das einfach auf. | |
In Ihrem Buch „Unter Weißen“ erzählen Sie von dem Rassismus, den Sie | |
täglich erleben. Aber auch von den Erfahrungen, die Ihre Eltern als | |
marokkanische Gastarbeiter in Frankfurt-Höchst gemacht haben. Was hat sich | |
verändert? | |
Der Rassismus ist sichtbarer geworden und in einigen Ausprägungen auch | |
skurriler. Mein Vater ist bereits in den siebziger Jahren als Ziegenficker | |
bezeichnet worden, noch bevor Jan Böhmermann dachte, das wäre lustig. Auf | |
Twitter haben mich nach Böhmermanns Schmähgedicht viele Menschen als | |
Ziegenficker beschimpft und damit ihre Meinungsfreiheit zelebriert. Im | |
Gegensatz zu meinen Eltern kann ich aber darauf reagieren. Sie kamen als | |
Gastarbeiter hierher, nicht gut ausgebildet, und wurden dumm angemacht. Was | |
hätte meine Mutter denn sagen können? Ich antworte: Jetzt habt ihr den | |
Salat – ich bin jetzt hier, habe ein Buch geschrieben, das vielleicht nicht | |
allen gefällt, aber einen Beitrag zur Diskussion leistet. Ich sehe auch | |
ganz viele andere nicht-weiße Menschen, die sich anstrengen, das Beste aus | |
ihrer Position zu erreichen. Ich weiß nicht, ob man schon feststellen kann: | |
Es geht in die richtige Richtung. Aber mehr und mehr Menschen haben die | |
Möglichkeit, sich zu artikulieren. | |
An einer Stelle zitieren Sie Ihre Mutter, die sagt: „Wenn man anders ist, | |
wird man nie normal sein können.“ Ist das auch Ihre eigene Erfahrung? | |
Manchmal hilft es, wenn man sich einen bestimmten Habitus zulegt und sich | |
anpasst. Aber ich kann nicht meine Haut abziehen – die Norm ist nun mal | |
weiß. Egal wie man sich anstrengt, man wird diese Norm nicht erfüllen. Es | |
gibt natürlich ganz krasse Beispiele wie Michael Jackson. Da steckt sehr | |
viel struktureller Rassismus dahinter, sodass jemand auf die Idee kommt: | |
Ich möchte nicht mehr schwarz sein. Meine Mutter hat Aufhellungscremes | |
benutzt. Das muss man sich mal vorstellen: Es gibt multinationale Konzerne, | |
die Geld verdienen mit der Illusion, dass man sozial aufsteigt, wenn man | |
sich bleichen lässt. Abgesehen davon, dass es ungesund ist, hat das ganz | |
viel mit einem Knoten in der Seele zu tun. Diese Jahrhunderte des | |
Kolonialismus haben uns einen Minderwertigkeitskomplex eingehämmert und uns | |
vorgegaukelt, dass es eine Farbskala gibt wie beim Teppichkaufen: je | |
heller, desto besser. | |
In Ihrem Buch sprechen Sie nicht nur von Rassismuserfahrungen, sondern | |
immer wieder von Privilegien. Warum ist Ihnen das so wichtig? | |
Mein Buch ist ein Plädoyer für eine selbstkritische Haltung. In Deutschland | |
ist es ganz schwierig, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Aber man muss sich | |
immer wieder klarmachen, dass wir in dieser Gesellschaft nicht dieselben | |
Startvoraussetzungen haben. Jeder bringt individuell eine eigene Biografie | |
mit, in einigen Sphären hat man es leichter. Ich habe es absolut leichter | |
als Mann. Es tut mir nicht weh und ich gebe auch nichts von meinen | |
Privilegien ab, wenn ich das zugebe. Rassismus oder rassistisches Verhalten | |
trägt man nicht in der DNA, sondern es ist etwas, das man lernt und was | |
strukturell schon seit mehreren Jahrhunderten in unsere Köpfe gehämmert | |
wird. Viele wollen nicht realisieren, dass Deutschland ein | |
Einwanderungsland ist. Diese Debatten kennen wir aus den letzten fünf | |
Jahren. Diversity wird als etwas Bedrohliches angesehen. Multikulti hat | |
sich nicht nur in ganz rechten Sphären, sondern auch in der Mitte der | |
Gesellschaft als Schimpfwort etabliert. Die Leute kommen nicht damit klar, | |
dass andere Lebenswirklichkeiten existieren und dass andere Leute einfach | |
aus anderen Perspektiven und Positionen die Welt erleben. | |
Sie bezeichnen weiße Deutsche als „biodeutsch“. Warum haben Sie sich dafür | |
entschieden? | |
Das Wort hat sich mittlerweile etabliert. Mir war es wichtig, dass es nicht | |
herablassend oder aggressiv ist. Ich weiß, dass einige Menschen das lesen | |
und als Biodeutsche denken: Aha, das ist aber auch diskriminierend. Diese | |
Menschen kann ich beruhigen: Erst wenn wir hundert Jahre in die | |
Vergangenheit gehen könnten und ich deine Vorfahren ausbeuten könnte, erst | |
dann wäre das diskriminierend. Man muss privilegiert sein, um überhaupt | |
rassistisch zu handeln. Wir reden immer über diese „Migranten“ und | |
„Menschen mit Migrationshintergrund“, „marokkanische Wurzeln“, | |
„Deutschtürken“ – da finde ich es okay, von „Biodeutschen“ zu reden.… | |
bin mir sicher, die halten das aus. | |
Wobei der Begriff ja auch unter PoC sehr kontrovers diskutiert wird, gerade | |
weil damit eine biologische Dimension sprachlich markiert wird. | |
Ja, das stimmt. Ich rede deswegen eigentlich lieber von „weiß“ und | |
„nichtweiß“. Das finde ich treffender. Aber meine Wortwahl ist ein Angebot. | |
Ich denke nicht, morgen muss das im Duden und jeder Tageszeitung stehen. | |
Sprache entwickelt sich, um inklusiver zu werden und die Realitäten in | |
diesem Land wiedergeben zu können. Vielleicht gibt es ein anderes Adjektiv, | |
das besser geeignet ist als „biodeutsch“. Manche sprechen ja auch von | |
„autochthone“ oder „Copyright-Deutsche“. Aber das finde ich nicht so | |
griffig. Es ist legitim, dass man über Begriffe diskutiert. Mein Anliegen | |
ist, die Sprache weiterzuentwickeln. | |
Wie wichtig sind diese Auseinandersetzungen? | |
Bei meiner ersten Lesung in Berlin hat eine Person gefragt, ob es nicht ein | |
deutsches Wort gäbe, mit dem ich mich beschreiben kann. Warum stört sich | |
denn bitte jemand daran, wenn ich mich als Person of Colour bezeichne? Es | |
gibt oft einen ungewollten Widerstand gegen Interessengruppen in der | |
Gesellschaft, die ihre Stimme erheben und sagen: Ich bin von Rassismus | |
betroffen. Als Antwort kommt von Weißen dann oft: Ja, aber der Islam . . . | |
Trotzdem habe ich mit meinem Lektor versucht, nicht in die | |
Essenzialismusfalle zu tappen. | |
Was bedeutet das? | |
Ich würde essenzialistisch argumentieren, wenn ich sage: Qua Hautfarbe sind | |
alle Weißen Rassisten. Das stimmt natürlich nicht. Rassismus ist etwas | |
Erlerntes. Ich beobachte eine rassistische Struktur in der | |
Mehrheitsgesellschaft. Wir alle hegen diese rassistischen Vorurteile und | |
die sind tief in uns drin. Man kann damit umgehen, indem man sie | |
reflektiert. Und das aufzubrechen und zu verlernen, diesen Rassismus zu | |
verlernen, das ist ein Kraftakt. | |
In der Lesung, die Sie vorher angesprochen haben, saß auch ein Reporter des | |
rechtspopulistischen Magazins Compact. Beunruhigt Sie so etwas? | |
Nein, daran bin ich gewöhnt. Es sitzen fast immer Leute von dem | |
rechtsextremen Blog PI-News in der zweiten Reihe, wenn ich bei | |
Diskussionsrunden bin oder moderiere. Das gehört zu Deutschland. PI-News | |
gehört zu Deutschland. | |
Und wie gehen Sie damit um? | |
Konkret in diesem Fall: ignorieren. Man kann nicht mit jemandem | |
diskutieren, der mich, meinen Körper, mich als Menschen ablehnt. Es kann | |
keine Diskussion geben, wenn jemand sagt: Pack deine Sachen und geh nach | |
Hause. | |
Sie sagen sehr gelassen, dass Rassisten und Rechtsradikale zu Deutschland | |
gehören. | |
Ja. Rassismus gehört zu Deutschland. Martin Buber vertritt die Meinung: Der | |
Antisemitismus ist das Problem der Antisemiten. Ihr schleudert mir euren | |
Scheiß entgegen und ich soll mich aufregen? Ihr habt anscheinend sehr viele | |
Privilegien und Ressourcen und könnt in eurer Community hetzen, wie doof | |
alle Frauen mit Kopftuch sind und die Afrodeutschen sowieso. Was soll ich | |
dazu sagen? Das ist traurig, aber wir sind nun mal ein plurales Land. | |
26 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Amna Franzke | |
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