# taz.de -- Rassistische Narrative aus Europa: Kants ganz anderer Kontinent | |
> Wenn es um Afrika geht, beruft sich Schengen-Europa auf alte rassistische | |
> Erzählungen und Wörter. Eine gerechtere Sprache ist möglich. | |
Bild: Sprache ist nicht in Stein gemeißelt. Verzicht auf kolonial geprägte Au… | |
„Die Zukunft ist bereits da, sie wurde nur nicht gerecht verteilt.“ Die | |
mahnenden Worte des Internetvisionärs William Gibson widersetzen sich der | |
kapitalistischen Logik eines „Warum sollte ich teilen, wenn ich nicht | |
muss?“ Das betrifft auch Europas Politik, AfrikanerInnen auszusperren. | |
Bundespräsident Gauck mahnte daher am vergangenen Wochenende in Malta: „Wer | |
viel hat, muss viel teilen.“ | |
Einst tränkte Europa den Atlantik mit dem Blut von Millionen versklavter | |
Menschen. Millionen vereitelte Zukünfte. Aus europäischer Sicht nicht zum | |
Überleben bestimmt, trotzten afrikanische Menschen und von ihnen errichtete | |
Diasporas diesem Leid widerständig neue Zukünfte ab. Diese haben Afrika | |
ebenso wie Amerika und Europa nachhaltig verändert. Letztere können nicht | |
mehr als „weiße“ Kontinente begriffen werden. | |
Das „weiße“ christliche Europa ist nichts als ein konservativer Mythos. | |
Aber mächtig. Sich auf Herkünfte berufend, verschließt er Europa. Im | |
Ergebnis wird das Mittelmeer, wie einst der Atlantik, zum Massengrab | |
afrikanischer Menschen. Einst wie heute, im kolonialen wie im | |
Schengen-Europa, sucht(e) Europas Unrecht Zuflucht in rassistischen | |
Erzählungen und Wörtern. | |
Humanistische, christliche und aufklärerische Binarismen wie Tier und | |
Mensch, Schwarz und Weiß, Natur versus Kultur, Emotion versus Verstand, | |
Entwicklung versus Stagnation waren willkommene Vorlagen für rassistische | |
Theorien um „Hautfarbe“, Schädel und Blut. „Weiße“ Intellektuelle wie | |
Daniel Defoe, Immanuel Kant, Georg Wilhelm Hegel und Eugen Fischer erfanden | |
ihr Afrika, das vor allem eines sein musste: „ganz anders“. Europa stand in | |
dieser Logik für Kultur und Zukunft – in Antithese zu Afrika als Natur im | |
„Warteraum der Geschichte“, wie der indische Historiker Dipesh Chakrarbarty | |
es nennt. | |
## „Warteraum der Geschichte“ | |
Koloniale Erfindungen Afrikas sind längst nicht Geschichte. Und Sprache | |
spielt dabei von jeher eine zentrale Rolle. Im Sprechen über Afrika (als | |
anderes) weigerte sich Europa, sowohl bereits bestehende lokale Begriffe zu | |
übernehmen als auch eigene Begriffe analog anzuwenden. Neue Wörter wurden | |
geschaffen, alte umgedeutet und auf diverse gesellschaftliche Kontexte des | |
afrikanischen Kontinents verallgemeinernd angewendet. | |
Da diese Fremdbezeichnungen von der Idee „menschlicher Rassen“ getragen | |
sind, ist auch jedes Zitieren eine Giftdosis. Deswegen spreche ich in | |
Vorträgen und wissenschaftlichen Artikeln die Wörter nicht aus. Doch in | |
diesem Zeitungsartikel gibt es nach Diskussionen mit der taz-Redaktion nur | |
die Möglichkeit, die nächsten Absätze nicht zu lesen. In ihnen bespreche | |
ich zehn rassistische Begriffe. | |
## | |
Ein Beispiel für eine Begriffsübertragung von einem historischen Kontext | |
auf das je zeitgenössische Afrika ist „Stamm“. Es folgt einer | |
evolutionistischen Konzeptualisierung von gesellschaftlicher Entwicklung | |
und unterstellt „Primitivität“ und damit das Fehlen „zivilisatorischer“ | |
politischer Strukturen. Zu den Bedeutungserweiterungen von Begriffen aus | |
dem Tier- und Pflanzenreich zählt das Schimpfwort: „Bastard“. In Flora und | |
Fauna benennt es die Nachfahren verschiedener Spezies, die selbst nicht | |
fortpflanzungsfähig sind. | |
## Diskriminierende Einverleibung | |
Wird er auf Menschen übertragen, so steht dahinter die Logik, | |
Menschlichkeit – ja – die Legitimität abzusprechen, am Leben zu sein und | |
dieses weiterzugeben. Umso erschreckender, dass dieser Begriff bis heute | |
(ebenso wie „Mulatte“, der in Anlehnung an mulo/Maulesel derselben Logik | |
folgt) zur Bezeichnung von People of Colour mit einem weißen Elternteil | |
herangezogen wird. | |
Zu den Neologismen gehören Bezeichnungen, die der rassistischen Logik von | |
„Hautfarben“ verpflichtet sind. Dazu gehört das „N-Wort“ ebenso wie | |
„Farbige“ und „Schwarzafrika“. „Häuptling“, „Hottentotten“ und | |
„Buschmänner“ wiederum sind Neologismen, die bestehende politische | |
Strukturen in Afrika verallgemeinern und diskriminieren. Das Suffix -ling | |
hat immer eine diskriminierende Wirkung (wie in Emporkömmling) oder drückt | |
hierarchische Unterlegenheit aus wie in Schmetterling, der eben eines nicht | |
tut: schmettern. | |
## Diskriminierende Einverleibung | |
Ein „Häuptling“ ist also eines nicht: ein echtes Haupt, ein „wahrer“ | |
Politiker. „Hottentotten“ bezeichnet alle Gesellschaften, in deren Sprachen | |
sogenannte Klicklaute vorkommen. Diese Sprachen wurden in europäischen | |
Ohren mit Hufgeräuschen von Pferden verglichen. „Busch“ wiederum suggeriert | |
wie etwa auch „Dschungel“ einen Naturraum, der sich menschlicher Ordnung | |
entzieht (es sei denn, Mann heißt Tarzan oder Robinson Crusoe). | |
Als „Buschmänner“ galten konkret jene Gesellschaften des südlichen Afrika… | |
die nicht in den Küstenregionen lebten, sondern in Gegenden, die für Weiße | |
zunächst schwer zu kolonisieren waren. | |
Die diskriminierende Einverleibung afrikanischer Menschen schließt dabei | |
ein, dass alle Menschen als „Männer“ galten: So wenig sinnvoll das | |
Zweigendern von Menschen auch sein mag, alle Menschen als Männer zu | |
bezeichnen, folgt der humanistischen Logik, nur überlegene Lebewesen nach | |
Geschlecht zu differenzieren. Im Duden erlangt diese Absurdität eine | |
Klimax, wenn es hier zur Wiederfindung des zweigendernden Musters heißt: | |
„Buschmannfrau“. | |
## Widerständige Selbstbezeichnungen | |
Will man sich dem Rassismus sprachlich entgegenstellen, so stehen | |
Eigenbezeichnungen zur Verfügung. Dazu zählt etwa Schwarze oder People of | |
Color. Beides sind widerständige Selbstbezeichnungen, die aus | |
antirassistischen Bürgerrechtsbewegungen heraus umfunktioniert wurden. Sie | |
meistern die schwierige Gratwanderung, genau zu benennen, wo der Rassismus | |
einen Menschen positioniert, und zugleich dieser rassistischen Verortung zu | |
widersprechen. | |
Allerdings haben es diese Wörter in der Bundesrepublik Deutschland bislang | |
sehr schwer. Zugleich herrscht aber unter vielen „weißen“ Deutschen große | |
Empörung über die Verbannung rassistischer Begriffe. 2013 etwa hat der | |
Literaturkritiker Denis Scheck in der ARD Sendezeit dafür erhalten, in der | |
rassistischen Montur der Minstrel Shows verkleidet – von Blackfacing, über | |
rote Lippen und weiße Handschuhe –, für die Verwendung des „N-Worts“ in | |
Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ zu streiten. | |
Mal abgesehen von dem kleinen Detail, dass Lindgren gar nicht in Deutsch | |
schrieb und Übersetzungen allgemein davon leben, zeitgemäß zu sprechen: Was | |
bewegt privilegiert lebende „weiße“ Erwachsene wie Denis Scheck dazu, für | |
ein garstiges Wort (in einem Kinderbuch) zu streiten? | |
## Sprache, die gerechter ist | |
Die Antwort liegt in einer Gegenfrage: Was passiert, wenn sich Wörter wie | |
das „N-Wort“ nicht mehr als „nicht rassistisch gemeint“ hofieren lassen? | |
Ein schaler Beigeschmack wird sich auf Jahrzehnte „weißer“ deutscher | |
Medienarbeit legen. Diese wird schon seit Langem von Initiativen von People | |
of Color in Deutschland herausgefordert, etwa Noah Sows „Der braune Mob e. | |
V.“ oder die Neuen Deutschen Medienmacher, die journalistischem und | |
alltäglichem Sprechen neue Horizonte eröffnen. | |
Der Verzicht auf kolonialistisch geprägtes Vokabular wird die Geschichte | |
nicht ungeschehen machen. Jedoch eröffnet er die Möglichkeit einer Sprache, | |
die gerechter ist. Und nicht zuletzt bereitet dieser Verzicht neuen lokalen | |
und globalen Zukünften den Weg mit dem Mittelmeer als Brücke, nicht als | |
Bollwerk zwischen Europa und seinem Nachbarkontinent Afrika. | |
14 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Susan Arndt | |
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