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# taz.de -- Politisches Theater aus Afrika: Diktatoren auskehren
> Theater und Protestbewegungen verknüpfen sich in den Stücken, die zum
> Festival africologne im Theater Bauturm in Köln eingeladen sind.
Bild: Szene aus „Coltan Fieber“, einem virtuos verfremdeten Dokumentartheat…
„Mich nervt, dass wir in Afrika permanent dem europäischen Imperialismus
die Schuld geben als Entschuldigung für das eigene Nichtstun. Genau das
treibt die Leute in die Boote. Es ist Zeit, das Schicksal selbst in die
Hand zu nehmen. Nicht radikal agieren, sondern aktiv werden im eigenen
Viertel – und dann die Aktionen in konzentrischen Kreisen ausweiten.“ Der
burkinische Rapper Smockey alias Serge Bambara, einer der bekanntesten
Musiker Westafrikas, sitzt in Köln auf dem Podium des Diskussionsforums
„Rap und Revolte“ und gibt Tipps zur afrikanischen Selbstbefreiung.
Er muss es wissen – an Burkina Fasos Volksaufstand im Herbst 2014 war er
mit der von ihm und dem Reggae-Musiker Sams’K gegründeten Bewegung „Balai
Citoyen“ (Bürgerbesen) maßgeblich beteiligt. An vier Tagen fegten da
vorwiegend junge Leute den despotischen Präsidenten Blaise Compaoré nach 27
Jahren korrupter Herrschaft mit fröhlichen Massendemos aus dem Land. Sie
waren übrigens tatsächlich mit Blätterbesen ausgerüstet. Es waren
berauschende Tage in der Hauptstadt Ouagadougou, als die Politik mit der
Kunst zusammenfiel, getragen vom Enthusiasmus und Stolz der Bevölkerung.
Smokey erzählt, wie sie Essig und Wasser gegen das Tränengas organisierten
und Straßensperren errichteten, um Autofahrer mit Flugblättern zu
sensibilisieren und dabei unaufhörlich zu Gewaltlosigkeit aufforderten —
oft kam er deshalb zu spät zur eigenen Vorstellung.
## Volksaufstand fegt durch ein Festival
Denn gleichzeitig fand in Ouagadougou das Theaterfestival „Récréatrales“
statt, von dem der Großteil der bei africologne geladenen Gastspiele
stammt. Das Theater im Bauturm war damals für die eigene Koproduktion
„Coltan-Fieber“ vor Ort und so beeindruckt vom Volksaufstand, dass es die
aktuellen afrikanischen Protestbewegungen zum Hauptthema des Festivals in
diesem Jahr gemacht hat.
Der Tanzabend „Nuit blanche à Ouagadougou“ des burkinischen Choreografen
Serge Coulibaly eröffnete nun auch „africologne“ und ist mitreißendes
Agitprop-Theater. Smokey umkreist und überwacht in langem Mantel die Szene,
klagt rappend die miesen Lebensbedingungen in Burkina Faso an, die
Korruption, den Expräsidenten und die ihm zugeschriebenen Morde, fordert
zum politischen Kampf auf. Dazu tanzen vier Tänzer des „Faso Danse Théâtre…
akrobatisch, wütend und kraftvoll den harten Alltag nach, die demütigende
tägliche Suche nach Geld. Ein alter, blinder Mann sitzt am Rande wie der
Schatten des gestürzten Präsidenten.
## Freude über Neuwahlen
Burkina Faso sei auf einem guten Weg, die Akten der politischen Morde unter
Blaise Compaoré würden gerade geöffnet, erzählt Smokey auf dem Podium. Für
den 11. Oktober 2016 seien Neuwahlen angesetzt, der Termin müsse um jeden
Preis gehalten werden, sein „Bürgerbesen“ wache darüber, dass auch alles
demokratisch verlaufe, „Sabotage lauert überall“.
Gerade eben habe der Übergangspremierminister verkündet, die ehemalige
Präsidentengarde RSP müsse doch nicht aufgelöst werden — das mache ihm
Sorgen. Es ist faszinierend, wie gemäßigt und verantwortungsvoll, geradezu
staatsmännisch der Rapper auftritt, während westliche Rapper ihre Relevanz
oft eher mit Gewaltfantasien oder Randgruppenbeschimpfungen zu erzeugen
versuchen.
Neben Smokey sitzt Thiat, Rapper aus dem Senegal und Mitgründer der
Bewegung Y’en a marre (Genug ist genug) aus Journalisten und Musikern, die
es 2011 schafften, eine dritte, verfassungsbrechende Amtszeit des
Präsidenten Abdoulaye Wade zu verhindern. Er erzählt, wie Y’en a marre in
Dörfern und Stadtvierteln politisch bewusste Zellen gründet, um vor Ort die
Lebensbedingungen zu verbessern.
„Wir müssen von unten nach oben agieren – einer Statue, die man entfernen
will, schlägt man ja auch nicht den Kopf ab“. Er bedauert, dass das
Dialogforum „Rap und Revolte“ nicht in Afrika stattfinde – Vernetzung sei
gerade jetzt für den Kontinent besonders wichtig.
Auch auf der Bühne spiegelt sich in Köln das neue afrikanische Bewusstsein
politischer Teilhabe. In „Coma Bleu“ von der Autorin und Regisseurin Sylvie
Dyclo-Pomos aus der Republik Kongo erzählt eine Frau etwa, wie sie
Zivilanklage gegen ihre Regierung wegen Mordes erhebt und dabei selbst
angeklagt wird.
## Trauer und Gerechtigkeit
Im März 2012 kostete hier die Detonation eines Munitionslagers zahlreiche
Menschenleben und machte Tausende obdachlos – über den Tathergang kursieren
verschiedene Versionen, viele sprechen vom Versuch eines Staatsstreichs.
Vor den Fotos des zerstörten Viertels wird die 60-jährige Schauspielerin
Georgette Kouatila als Hausfrau gezeigt, die ihre Toten in einer Mischung
aus Resolutheit und Verzweiflung beklagt und schlicht nicht einsehen will,
warum es keine Gerechtigkeit geben sollte.
Letztlich passt auch so eine hinreißende Arbeit wie „Rue Princesse“ von der
Compagnie N’Soleh zum Thema: Die 2011 vom ivorischen Präsidenten Ouattara
mit Bulldozern zerstörte, berühmteste Vergnügungsmeile Afrikas wird auf der
Bühne zur Kleinparzelle der afrikanischen Selbstbefreiung. Vorangestellt
wird ein Ausschnitt des berühmten Dokumentarfilms von Alain Resnais „Auch
die Statuen sterben“ von 1953, in dem es um afrikanisches Kulturerbe und
seine koloniale Plünderung geht.
Mit kunstvoll veredelten Elementen des Coupé-Decalé wird lässig,
überwältigend und sexy eine rauschhafte Körperorgie gefeiert. Transvestiten
schlagen Salti, falsche Prediger mahnen zur Sittsamkeit und tauchen danach
selbst wieder ein ins Getümmel der acht Tänzer. Ein stolzer Abend, der in
Recherchen mit den Nachtgestalten der verlorenen Straße entstand und sich
immerzu verändert.
## Rohstoffausbeutung
Und dann gibt es noch die Koproduktion des Theaters im Bauturm mit der
burkinischen Kompanie Falinga, das groß angelegte „Coltan-Projekt“. Der
erste Teil, „Coltan-Fieber“ von Regisseur Jan-Christoph Gockel, ist ein
virtuos verfremdetes Dokumentartheaterstück um die neokolonialen
Verflechtungen von europäischen Smartphones und Rohstoffausbeutung in
Afrika, besonders im Kongo. Dort lagern 80 Prozent der Coltan-Vorräte, für
elektronische Geräte unverzichtbar.
Mithilfe einer rührenden Holzpuppe und dem doppelbödigen Rollentausch
zwischen schwarzen und weißen Schauspielern wird die wahre Geschichte des
ehemaligen Kindersoldaten und Minenarbeiters Yves Ndagano aus dem Kongo
erzählt, der auch auf der Bühne steht.
Kaum jemals hat der schnittige Werbespruch von Vodafone so höhnisch
geklungen: bei Vertrag jedes Jahr ein neues Smartphone. Ndagano aus Goma,
Ostkongo, stieg noch im Kugelhagel ins Flugzeug nach Köln. Für europäische
Kinder dagegen ist es schon eine Katastrophe, wenn nicht die neueste
Playstation unterm Tannenbaum liegt. Reiner Zufall, ob man in der
Kriegshölle oder im Konsumparadies geboren ist.
## Enorme Resonanz
Das wird zwar mit pädagogischem Zeigefinger, aber auch sehr berührend
erzählt und spielt souverän mit Täter- und Opferklischees, Kolonialismus
und Hautfarbenzuschreibungen. Der zweite Teil, „Musika“, erzählt die
Coltan-Problematik aus afrikanischer Sicht. Mit dem Bus werden die
Festivalbesucher auf das pittoreske Gelände Odonien in Köln-Nippes
gefahren.
Aristide Tarnagda, einer der bekanntesten Theaterautoren Westafrikas,
erzählt mit sechs kongolesischen Darstellern von den inneren Effekten der
Rohstoffkriege. Ein Moderator lädt auf der mit grünen Zweigen bedeckten
Bühne zur Klageshow. „Lassen Sie ruhig die Handys an, wir sind hier doch,
um Spaß zu haben und nicht auf einem Begräbnis.“ Und dann klagen sie,
pathetisch ritualisiert in wunderschönen afrikanischen Gesängen, doch über
die Toten der Rohstoffkriege.
Das Stück habe im Kongo eine enorme Resonanz erhalten, meint Aristide
Tarnagda im Anschluss. Dort sei es bereits revolutionär, mithilfe von
Theater überhaupt Bewusstsein für den Wert der eigenen Rohstoffe zu
schaffen. Und so lernt man bei diesem zehntägigen Einblick in afrikanisches
Theaterschaffen am Ende vor allem, dass politische Kunst an manchen Orten
der Welt eben doch etwas ändern kann.
24 Jun 2015
## AUTOREN
Dorothea Marcus
## TAGS
Afrika
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Musik
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Kongo-Tribunal
Schwerpunkt Rassismus
Sex
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