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# taz.de -- Buchpremiere „Unter Weißen“: Rassismus schlummert in jedem
> In seinem Buch „Unter Weißen“ konfrontiert Mohamed Amjahid die weiße
> Mehrheitsgesellschaft mit ihren Privilegien. Nun stellte er es vor.
Bild: Mohamed Amjahid hat am Dienstag in Berlin sein Buch „Unter Weißen“ v…
Afrikaner kennen keine Fahrradwege, glaubt Ulrike. Dem Bruder ihrer
Schwiegertochter, der gerade zu Besuch ist, möchte sie dieses Konzept daher
gerne näherbringen. Während sie mit Mohamed Amjahid durch ihr osthessisches
Dorf läuft, deutet sie auf den markierten Streifen, rudert mit den Armen
und sagt: „Daaas iiist eiiin Faaahradweeeg.“ Amjahid starrt sie an. Er
hatte sich mit Ulrike bei ihrem Marokko-Urlaub schon über die
Dreifaltigkeit und den Klimawandel unterhalten – auf Deutsch.
Das ist eine der zwei Geschichten, die Amjahid aus seinem Buch „Unter
Weißen: Was es heißt, privilegiert zu sein“ am Dienstag in der Werkstatt
der Kulturen in Neukölln vorliest. Sein Buch, das am 20. Februar erscheint,
ist voller persönlicher Anekdoten, die von diskriminierendem Verhalten, gut
gemeinten Hilfsangeboten und rassistischen Vorurteilen erzählen.
Differenziert und selbstironisch beschreibt er aus der Ich-Perspektive, was
es bedeutet, als Nichtweißer in einer weißen Mehrheitsgesellschaft zu
leben.
Der 28-jährige Amjahid ist als Sohn marokkanischer Gastarbeiter in
Frankfurt am Main geboren. Im Buch erzählt er vom Rassismus, den seine
Eltern Anfang der 90er in Deutschland erlebt haben: Ein Neonazi schlug
seiner Mutter in der S-Bahn auf den Kopf. Die Polizei erklärte ihr damals,
Gewalt gegen Ausländer passiere halt ab und zu – und unternahm nichts.
Sein Vater wurde als „Ziegenficker“ beschimpft, weshalb Amjahid Jan
Böhmermanns Schmähgedicht nicht lustig findet. „Natürlich darf Satire
weiterhin alles, aber dann darf ich selbstverständlich auch rassistische
Satire als rassistisch entlarven“, sagt Amjahid.
## Vergiftete Lobeshymnen
Als er sieben Jahre alt war, kehrten seine Eltern mit ihm und seinen zwei
Schwestern zurück in ihre Heimat. Nach seinem Abitur kam Amjahid zurück
nach Deutschland, um Politikwissenschaften zu studieren. Danach absolvierte
er ein Volontariat beim Tagesspiegel, arbeitet nun als Journalist beim
ZEITmagazin.
Ihn nervt, dass er oft als Integrationsvorbild herhalten muss, sagt er im
Podiumsgespräch mit Jenny Friedrich-Freksa, Chefredakteurin der Zeitschrift
Kulturaustausch. Inzwischen wehre er sich aktiv gegen „vergiftete
Lobeshymnen“. Denn diese bedeuteten im Umkehrschluss, dass alle anderen
schlechte Migranten seien, etwa weil sie weniger gut oder mit Akzent
Deutsch sprechen.
„Unter Weißen“ ist ein wichtiges Buch. So unterhaltsam, absurd und witzig
die Erzählungen auch sind, sie zeigen vor allem eins: Rassismus findet sich
nicht nur in abgelegenen Dörfern, bei AfDlern und Trump-Wähler*innen,
sondern schlummert in jedem Menschen. Auch bei allen wundervollen Menschen
in diesem Saal, inklusive ihm selbst, betont Amjahid. Rassismus sei
angelernt.
Amjahid verdeutlicht in seinem Buch an vielen Beispielen, dass People of
Color in unserer Gesellschaft immer noch deutlich schlechtere
Voraussetzungen haben als Weiße. „Genauso, wie es einen Unterschied macht,
einen Penis zu haben oder nicht, oder aus welchem sozialen Milieu man
kommt“, erklärt Amjahid.
## Die Perspektive umdrehen
Es gehe nicht darum, auf seine Privilegien zu verzichten, sondern sich
ihrer bewusst zu werden. Biodeutsche, wie Amjahid die weiße
Mehrheitsgesellschaft nennt, müssten kaum befürchten, wegen ihrer Hautfarbe
oder ihres Namens benachteiligt zu werden.
Sein Buch bezeichnet er als anthropologische Feldstudie. Während seines
Studiums habe er immer wieder von weißen Männern gelesen, die in
„exotische“ Länder fuhren und darüber berichteten. Er wollte die
Perspektive umdrehen. Als privilegierte Weiße bezeichnet zu werden, müssten
manche erst mal lernen auszuhalten. „Aber keine Panik!“, wendet er sich ans
Publikum.
Ein Zuschauer fragt, ob eine „gewisse Farbenblindheit“ nicht auch eine
Lösung gegen Rassismus darstellen könnte. Amjahid ist skeptisch. Der Wunsch
nach Gleichmacherei kaschiere, dass wir nicht in einer homogenen
Gesellschaft leben und für Menschen unterschiedlicher Hautfarbe
verschiedene Rahmenbedingungen gelten, meint er.
Seine Mutter wünscht sich ein weißes Enkelkind mit blauen Augen, das im
Leben erfolgreich ist und nicht diskriminiert wird, erzählt Amjahid. Und
die zweite Geschichte, die er an diesem Abend vorliest, handelt von seiner
ersten Freundin: Ihre braunen Haare waren sehr hell, ihre Haut war weiß.
Seine Mutter war zufrieden: „Hast du gut gemacht, mein Junge!“ Die
Beziehung zerbricht, als seine Freundin sich ernsthaft sorgt, verkauft und
gegen Kamele eingetauscht zu werden.
15 Feb 2017
## AUTOREN
Julika Bickel
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Gastarbeiter
Schwerpunkt Rassismus
antimuslimischer Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Migration
Lesestück Meinung und Analyse
Ausgehen und Rumstehen
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