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# taz.de -- Biopic über Pablo Neruda: Verschwommene Erinnerungen
> Ausschweifender Bohemien und Salonkommunist: Regisseur Pablo Larraín
> inszeniert den chilenischen Nationaldichter Pablo Neruda.
Bild: Der Salonkommunist mit kritischem Blick
Anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises 1971 äußerte der
chilenische Dichter Pablo Neruda, er wisse nicht, ob er jene Tage 1948
„erlebt, geschrieben oder geträumt“ habe. Damals war er auf der Flucht vor
den Sicherheitskräften der Regierung González Videla und versteckte sich an
wechselnden Orten des Landes, bevor er schließlich nach Frankreich
emigrieren konnte. Während dieser Erfahrung entstanden zahlreiche Gedichte
seines berühmten „Canto General“ („Der große Gesang“), einer in Versen
verfassten Chronik Lateinamerikas.
Nerudas verschwommene Erinnerung liefert dem chilenischen Regisseur Pablo
Larraín die Ausgangsidee zu seinem neuen Spielfilm „Neruda“, der von dieser
kurzen Episode im Leben des Poeten handelt und eine fiktive Geschichte
innerhalb eines historischen Rahmens erzählt. Erst kürzlich hatte der
Filmemacher mit seinem Werk über die Präsidentengattin Jackie Kennedy auf
sich aufmerksam gemacht. Nun betonte er im Gespräch mit der taz über sein
jüngstes Projekt: „Es ist nicht möglich, einen Film über Neruda zu machen.
Sein Werk ist so umfassend. Deshalb ist ‚Neruda‘ auch kein Film über
Neruda, sondern über das Nerudianische – seinen Kosmos und sein Universum.“
In Larraíns Spielfilm treffen wir so auf einen empfindsamen Bohemedichter
und kämpferischen Salonkommunisten, der in seinem Haus ausschweifende Feste
feiert. Sogar die Prostituierten, die er aufsucht, lieben seine mit Pathos
vorgetragenen Verse. Aus der Perspektive des auf ihn angesetzten Polizisten
Peluchonneau, gespielt von Gael García Bernal, nähert sich der Film der
Person Nerudas an.
Im Gespräch schwärmt der 1976 geborene Larraín vom Facettenreichtum des
chilenischen Dichters: „Er war beispielsweise ein großer Koch, wusste viel
über Weine, liebte die Literatur und reiste durch die ganze Welt. Er war
Diplomat und Sammler, Vorsitzender der kommunistischen Partei und Senator.
Jemand, der Präsident Chiles hätte werden können. Und noch dazu war er ein
großer Dichter.“
## Legendäre Flucht aus Spanien
Pablo Neruda, 1904 geboren, wuchs als Sohn eines Eisenbahners in Temuco, im
Süden Chiles, auf. Bereits in seiner Jugend veröffentlichte er seine ersten
Gedichte und lernte bald die bereits berühmte Poetin Gabriela Mistral
kennen. 1927 begann er eine Laufbahn als Diplomat und ging 1934 als
Honorarkonsul nach Madrid, wo er Freundschaft mit dem spanischen Dichter
Federico García Lorca schloss. Doch 1936 brach nach dem Putsch General
Francos in Spanien der Bürgerkrieg aus, und García Lorca wurde von
aufständischen Militärs ermordet.
Danach versuchte Neruda mit spanischen Intellektuellen und Künstlern in
Paris international auf die Situation in Spanien aufmerksam zu machen. In
dem Gedichtzyklus „España en el corazon“ (dt.: „Spanien im Herzen“)
beschreibt er die Schrecken des Bürgerkriegs und bezieht Position für die
Republikaner. 1939 organisierte Neruda in einer legendären Aktion die
Ausreise von 2.000 spanischen Bürgerkriegsflüchtlingen auf der „Winnipeg“
nach Chile. Auf dem französischen Dampfer gelangte auch Víctor Pey nach
Chile. Larraíns Film zeigt den Exilspanier als zuverlässigen und rationalen
Genossen, der den chaotischen Neruda in den ersten Tagen nach dem Abtauchen
beherbergt und seine weitere Flucht vorbereitet.
Neruda wird im Film von dem chilenischen Schauspieler Luis Gnecco
dargestellt. Neben Mercedes Morán, die die Rolle der argentinischen Malerin
Delia del Carril, der damaligen Lebensgefährtin des Dichters, überzeugend
verkörpert, changiert Gneccos Interpretation Nerudas jedoch wenig
variantenreich zwischen Paternalismus und unfreiwilliger Komik – und das,
obwohl Larraín im Gespräch betont: „Neruda ist eine vielschichtige
Persönlichkeit, und in diesem Film verwandelt er sich mehrmals. Es ist ein
Film über Filme – mit Elementen des Film Noir –, ein Polizeifilm, ein
Roadmovie, ein Western, eine schwarze Komödie.“
## Wechselnde Orte
Tatsächlich lassen die wechselnden szenischen Orte und spektakulären
Landschaften die filmischen Zitate hinter dem Geschehen erahnen. Doch
während Larraín in seinem auf der Berlinale 2015 ausgezeichneten Spielfilm
„El Club“ über Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche Chiles ein
differenziertes und ambivalentes Porträt seiner Protagonisten gelang,
scheint das formale Spiel mit cineastischen Elementen in „Neruda“ die
Konstruktion komplexer Charaktere eher zu behindern. Unscharf erkennbar
bleibt auch die Absicht des chilenischen Filmemachers: „Wenn ich einen Film
über jemanden mache, kann ich kein Denkmal aus ihm machen. Mich
interessiert keine Hommage. Ich möchte den Menschen in der Krise zeigen.“
Während in der filmischen Inszenierung die Regierung González Videlas die
aufständischen Arbeiter in den Armenvierteln gefangen nimmt, beginnt für
Neruda eine von ihm als „wilde Jagd“ titulierte Verfolgung. Doch die führt
im Verlauf der Handlung niemals zu seiner Festnahme und behält dadurch ihr
spielerisches Moment. Irgendwann bittet sein junger Assistent Neruda
deshalb erschöpft: „Das Einzige, worum ich dich bitte, ist etwas
bescheidener zu sein.“
In einer der stärksten Szenen des Films lässt sich die Aktualität einer
historischen Auseinandersetzung mit der Figur Nerudas erahnen. Während
eines Festessens tritt eine Genossin angetrunken an die Tafel Nerudas und
seiner Partnerin und bittet darum, den Poeten küssen zu dürfen.
Geschmeichelt lässt er sie gewähren. Doch die Frau, die ihren
Lebensunterhalt mit Putzen verdient, stellt ihm sogleich eine weitere
Frage, die augenblicklich Unbehagen entstehen lässt: „Werden wir nach der
Revolution alle gleich sein, so wie ich – oder so wie Sie?“ Nach einem
Moment gespannter Stille antwortet Neruda endlich: „So wie ich.“ Die Party
geht erst mal weiter.
22 Feb 2017
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
## TAGS
Pablo Neruda
Chile
Spanien
Kommunismus
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Mord
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