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# taz.de -- Burleske zum linken Filmkosmos: „Kein einziger nicht verlogener S…
> Geht die Berlinale auch mit links? Julian Radlmaier über seinen neuen
> Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“.
Bild: Julian Radlmaier vor urbaner Kulisse
Julian Radlmaier kommt standesgemäß mit dem Fahrrad zum Interview. Als
Warm-Up genügt Schwarztee, dann sind wir mitten drin: bei der kämpferischen
Verteidigung des Kinos durch Jacques Rancière (den er übersetzt hat), der
absurden Poetik des Daniil Charms (die im Film auch eine Rolle spielt) und
schließlich seinem eigenen linken Filmkosmos.
taz: Herr Radlmaier, Ihre Filme tragen schöne linke Titel wie „Ein
proletarisches Wintermärchen“ oder „Ein Gespenst geht um in Europa“. Der
neue, „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, hatte nun gerade in
Rotterdam Weltpremiere. Wie war es?
Julian Radlmaier: Es wurde viel gelacht während der Vorführungen, was schon
mal gut ist. Ich bin nicht vielen Leuten begegnet, die den Film gesehen
hatten, aber eine Szene war doch lustig: Es gab so einen Typen, der ein
VIP-Frühstücksbuffet bewacht hat, zu dem wir nicht zugelassen waren. Er
hatte den Film gesehen und uns deshalb angeboten, zu ihm zu kommen, um
kostenlos essen zu können.
Sozusagen Solidarisierung als direkte Folge Ihrer „Selbstkritik“, wo Sie
die Hauptrolle spielen: einen Filmemacher, der von der Sozialhilfe lebt.
Ich fand es ganz nett, dass mir eine alte Damen in der Fußgängerzone gesagt
hat, ihr hätte der Film gefallen. Eine andere hielt ihren Daumen hoch. Es
ist gut, wenn sich nicht nur alles im Rahmen der Branche bewegt, sondern
auch andere andocken können.
Ihre Projekte handeln oft von der Aufhebung dieser Trennung zwischen Film-
und Lebenswelt. Das Team (hier als utopische Erntehelfer-Arbeitskommune auf
einer ausbeuterischen Apfelplantage) nimmt sich fast wie eine große Familie
aus.
Ich habe zwar bewusst eine „interne jokes“-Situation vermieden, versuche
aber, uns aus diesem professionalitätsfetischistischen
Produktionszusammenhang zu lösen, mit Leuten zu arbeiten, die Freunde sind.
Und vielleicht nichts mit Film zu tun zu haben. Was halt nur bedingt stimmt
…
Denn da gibt es genug Filmleute – Kritiker, Regisseure …
Eigentlich stimmt es nicht, was ich sage. (lacht) Es sind ja doch alles
Filmemacher. Oder die Eltern von Filmleuten.
Wie der Darsteller von Hong, des in der DDR aufgewachsenen Koreaners und
kommunistischen Weltveränderers, der mit dem Schweizer Sancho seine Runden
durch die Lohnarbeitswelten von heute zieht. Stimmt da irgendwas mit dessen
Biografie überein?
Mit DDR-Marxismus hatte Kyung-Taek Lie, glaube ich, nichts zu tun. Er kam
mit seinen Eltern nach dem Koreakrieg nach Deutschland, aber in den Westen,
und ist politisch sehr interessiert. Der Punkt ist ja die Verschiebung von
der realen Person zur Rolle. Meist funktioniert sie hier sogar umgedreht:
Der radikalste Kommunist unter meinen Freunden muss dann „zur Strafe“ einen
deutschtümelnden AfD-mäßigen Typen spielen.
Haben Ihre Kollegen und Freunde auch Einfluss auf das Skript? Auf den Text,
der so konkret, so abgehoben und so unglaublich komisch zugleich ist?
So kollaborativ ist der Ansatz nicht, dass sie das Drehbuch mitschreiben
würden. Mein Kameramann und mein Produzent sind stark involviert. Und hier
war auch Jan Bachmann sehr wichtig, sogar eine Art Koregisseur, er hat
inszeniert, wenn ich im Bild war.
Wenn man so oft im Bild ist und über sich spricht – wie viel Eitelkeit
steckt da drin?
Also ich hoffe, dass ich mich so zum Idioten mache – auch in der Szene, in
der ich sozusagen schon das Q&A des Films bei seiner
Berlin-Festivalpremiere vorwegnehme –, dass das gar nicht Eitelkeit sein
kann. Meine Figur sagt in dem Film keinen einzigen nicht verlogenen Satz.
Für mich ist diese Figur so negativ, dass sie überhaupt nicht zur positiven
Selbstdarstellung taugt.
Wie wichtig war dieses verspielte „Ich bin das selber“?
Ich konnte in gar keinem Fall irgendeinen anderen Filmemacher inszenieren
und dann so tun, als würde das nicht mich betreffen, sondern einen anderen.
Wer soll das dann sein? Ich konnte den Schwarzen Peter niemand anderem
zuschieben, musste selber dafür einstehen, mit der Hoffnung, dass der
selbstreflexive Modus sich auch überträgt in eine Zuschauerwahrnehmung.
Dass man also nicht das Gefühl hat, da wird irgend jemand Drittes
denunziert. Das war eher ein Selbstbefragungsmodus. Alles andere wäre ein
stalinistischer Denunziationsfilm gewesen: Hier kommt der richtige
Filmemacher, der euch jetzt den Schlimmfilmmacher zeigt.
Die Befragung ist auch eine politische, für die gerade die Art, wie die
Figuren sprechen, eine formale Lösung findet. Ihr Kino bricht ja radikal
mit jedem Naturalismus.
Problematisch ist es, wenn das Kino Leute, die eine „ganz bestimmte
Sprache“ haben, auf „eine ganz natürliche“ Weise zeigt. Der Kurzschluss …
dann: Weil die so sprechen, sind sie in dieser gesellschaftlichen Position.
Ein Arbeiter spricht wie ein Arbeiter, deshalb ist er auch ein Arbeiter.
Ich verunklare das: Der Feldarbeiter spricht bei mir nicht wie ein
Feldarbeiter. Und ich glaube nicht, dass man dann über die Figur lacht.
Durch die Nichtverkörperung gibt es gerade die Reduzierung auf den Witz
nicht. Wir haben es immer noch mit dem Menschen zu tun. Und versuchen den
mit einer Straub’schen oder Pasolinesken Porträthaftigkeit zu filmen und
ihm Würde geben.
Und die Selbstkritik des Bürgerlichen?
Auf meine Lebenswelt bezogen ist die Frage, welche praktischen Folgen die
Auseinandersetzung mit politischer Theorie für mein Alltagsleben hat. Wenn
sich das nicht vermittelt, besteht die Sorge, dass man das nur aus
Distinktionsgründen betreibt. Oder weil es schick ist, sich politisch
leicht anradikalisiert zu geben.
Zu welchem Genre zählt Ihr Film: eine Confessiones-Parodie? Eine politische
Komödie mit magischen Wendungen?
Vielleicht ein burlesker Essayfilm. Er ist jedenfalls essayistisch
entstanden, es ging darum, bestimmte thematische Aspekte unterzubringen.
Aber in komödiantischer Form. Das andere wäre, dass ich vom Stil her
versuche, anderswo anzuknüpfen: Mir schwirrt manchmal das Wort „populärer
Modernismus“ durch den Kopf. Ein Versuch, an die populäre Tradition des
modernen Kinos anzuschließen.
Haben Sie Vorbilder?
Vom Grundgestus her Jean Renoir, und natürlich Pasolini. Ich will nicht so
vermessen sein, Charlie Chaplin zu sagen.
Wie ist man lustig?
Manche Szenen funktionieren ganz burlesk. Da sind Referenzen nicht wichtig.
Wenn ich zum Beispiel auf die Fresse fliege, geht das auch ohne Chaplin.
14 Feb 2017
## AUTOREN
Barbara Wurm
## TAGS
Kinofilm
Castingshow
Neuer Deutscher Film
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Korea
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