| # taz.de -- Filmkomödie „Casting“: Die Figuren sind so präzise wie selten | |
| > Es beginnt wie ein Dogma-Film: Nicolas Wackerbarths „Casting“ weitet | |
| > seine Filmbetriebssatire zur vielschichtigen Gesellschaftsparabel. | |
| Bild: Corinna Kirchhoff und Andreas Lust beim „Casting“ | |
| Casting ist mehr als ein Modewort, es ist zum Grundmodell alltäglicher | |
| Entscheidungsfindung geworden. „Gecastet“ werden nicht nur künftige | |
| Mitbewohner, fast jede Art von Bewerbung wird mittlerweile als Rollenspiel | |
| aufgefasst. Nicolas Wackerbarths „Casting“ holt den Zuschauer in der | |
| unglamourösen Gewöhnlichkeit dieser Situation ab – und führt sie einerseits | |
| zurück zu ihrem Ursprung am Filmset, baut sie andererseits aber aus zu | |
| einer wunderbar präzisen Parabel über heutige Macht- und | |
| Geschlechterverhältnisse. | |
| Es beginnt wie eine Art Dogmafilm, Handkamera und abrupte Schwenks | |
| inklusive: Da wird Schauspielerin Almut (Ursina Lardi) von Assistentin Ruth | |
| (Milena Dreißig) für einen „Recall“ eingewiesen. „Du siehst gut aus!“… | |
| Ruth zur Begrüßung, „wir gehen jetzt nur noch schnell in die Maske.“ „W… | |
| jetzt Maske?“, erwidert Almut und bleibt in der Tür stehen, „du hast doch | |
| gesagt, ich seh gut aus!“ Die Maskenbildnerin (Nicole Marischka) kommt ins | |
| Bild und meint, dass Vera, die Regisseurin, das so wolle. | |
| Almut ist genervt. Die Kamera schwenkt über Gesichter der Anwesenden, die | |
| alle mehr oder weniger versuchen, die aufkommenden Spannungen zu | |
| überspielen. Eigentlich ist nichts passiert, und trotzdem hat Wackerbarth | |
| die Welt, in der sein Drama spielt, in faszinierender Klarheit etabliert. | |
| Da gibt es die Regisseurin Vera und ihre offenbar schwankenden | |
| Vorstellungen. Assistentin Ruth scheint eine geübte Vollstreckerin zu sein, | |
| die hemmungslos private Freundlichkeit für berufliche Manipulationen | |
| einsetzt, während die Maskenbildnerin besorgt die Stimmungswechsel | |
| verfolgt. | |
| Die prekärste Rolle nimmt die Schauspielerin ein: Vordergründig dreht sich | |
| alles um sie, während es gleichzeitig doch um ihre Ersetzbarkeit geht. | |
| Weshalb im Lauf des Films Ursina Lardi von Marie-Lou Sellem, Corinna | |
| Kirchhoff, Andrea Sawatzki und schließlich Victoria Trauttmansdorff | |
| abgelöst wird, die alle in grandioser Unterschiedlichkeit weibliche | |
| Schauspieldiven verkörpern. | |
| ## Nicht die naheliegenden Klischees | |
| Zwischendurch erfährt man, dass hier eine Fernsehneuverfilmung von | |
| Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ realisiert werden | |
| soll. Die Rolle der Karin, Petras Schmerzverursacherin, übernimmt hier ein | |
| Karl, für den schon eine Besetzung gefunden ist. | |
| Es ist bezeichnend für Wackerbarths Methode, dass er diesen Aspekt quasi | |
| beiläufig einführt. Eine bloße Parodie auf den deutschen Film- und | |
| Fernsehbetrieb hätte vielleicht damit aufgemacht: Fassbinder, und wie er | |
| heute im durchsubventionierten Anstalts-TV als Aushängeschild dafür dient, | |
| Kunst zu machen, während man ihn gleichzeitig mittels | |
| „Heterosexualisierung“ zurück in die Norm holt. Wackerbarth dagegen setzt | |
| den Fassbinder-Stoff subtil und damit respektvoll ein. Man muss, um | |
| „Casting“ zu verstehen, keine Fassbinder-Filme parat haben, aber der Film | |
| erinnert mit Nachdruck daran, welche reichen Resonanzräume sie bieten. | |
| Das Drama, das Wackerbarth in „Casting“ unterdessen entfaltet, ist völlig | |
| unabhängig vom Stoff der „Bitteren Tränen …“ und gehorcht auch nicht den | |
| üblichen Klischees von Satiren übers Filmemachen. Weder ist Regisseurin | |
| Vera (Judith Engel) die hehre Künstlerin, die ihr Projekt vor den | |
| Kommerzinteressen ihres tumben Produzenten Manfred (Stephan Grossmann) | |
| retten muss, noch ist sie die Zicke, die ihrem dienenden Stab mit Launen | |
| auf die Nerven geht. Vielmehr ist sie beides, aber nie für lange Zeit, denn | |
| in „Casting“ sind die Dinge ständig im Fluss. | |
| ## Kommentare zur Sexualität | |
| Während sich die Schauspielerinnen abwechseln, von Vera und ihren Leuten | |
| mit interessanten Abstufungen in Ehrfurcht und Unterwürfigkeit begrüßt, | |
| spielt sich Anspielpartner Gerwin (Andreas Lust) mehr und mehr in den | |
| Vordergrund. Zuerst nur dafür engagiert, im Castingprozess den Petras | |
| gegenüber als Karl zu lesen, buhlt er bald selbst um den Part. | |
| Doch in den schwankenden Machtverhältnissen der Drehvorbereitungen nimmt | |
| sein Schicksal kuriose Wendungen. Gerade als er glaubt, die nötige | |
| Aufmerksamkeit erregt zu haben, findet er sich umgeben von Frauen, die ihn | |
| mit Kommentaren zu seinem Körper und seiner Sexualität traktieren. Im | |
| Kontext der Setgeschichten, die im Zuge des Weinstein-Skandals die Runde | |
| machen, erscheint das fast als erfrischende Umkehrung der üblichen | |
| Konstellation – aber auch als hellsichtige Analyse des impliziten Sexismus | |
| des Filmemachens, bei dem Menschen in Augenschmaus verwandelt werden. | |
| Obwohl Wackerbarth die leicht zu machenden Witze über eitle Schauspieler | |
| und besessene Regisseure vermeidet, ist ihm ein überraschend unterhaltsamer | |
| Film gelungen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Figuren so präzise | |
| wie selten in einem deutschen Drehbuch (verfasst zusammen mit Hannes Held) | |
| den schwammigen, stammelnden Nettigkeitston der aktuellen Umgangssprache | |
| treffen, in dem sich hinter einem harmlosen „Ist das okay für dich?“ | |
| weitreichende Übergriffe verstecken können. | |
| 2 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
| ## TAGS | |
| Castingshow | |
| Rainer Werner Fassbinder | |
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| Komödie | |
| Spielfilm | |
| Michael Haneke | |
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