| # taz.de -- Kinofilm „Der lange Sommer der Theorie“: Die Revolution, ein Ro… | |
| > Drei Künstlerinnen treiben ihr Leben auf die Spitze. Hauptsache | |
| > extrovertiert, Hauptsache echt. Nur den Disput scheut der Film. | |
| Bild: Die Boheme-WG: (Katja) Katja Weiland, Nola (Julia Zange) und Martina (Mar… | |
| Das alte West-Berlin galt jahrzehntelang als Hauptstadt der | |
| Selbstverwirklicher. Generationen nutzten Randlage und Sonderstellung der | |
| geteilten Stadt, um hier ihre Experimente für radikale Lebensformpolitiken | |
| zu entfalten. Innerstädtische West-Bezirke wie Kreuzberg fristeten im | |
| BRD-Kapitalismus ein peripheres Dasein, boten Freiräume für linke | |
| Bewegungen. In den 1990ern, nach Mauerfall, kamen die heruntergekommenen | |
| zentralen Quartiere aus Ostberlin hinzu. Boheme-, Anarcho-, Kunst- und | |
| Hausbesetzerszene profitierten, so günstig waren die Mieten sonst | |
| nirgendwo. Doch die große Freiheit, sie schwand mit Gentrifizierung und | |
| steigenden Mieten. Die Stadt hat zu wenig gebaut, und umsonst gibt es | |
| nichts mehr. | |
| Und wenn also eine der Hauptdarstellerinnen in Irene von Albertis Essayfilm | |
| „Der lange Sommer der Theorie“ auf dem WG-Sofa fläzt und sich mit dem | |
| diskreten Charme der künstlerischen Subkultur ein auskömmliches | |
| Grundeinkommen wünscht, so hat das einen anderen Hintergrund als 1970, 1980 | |
| oder 1990. Da brauchte man so gut wie kaum Geld, um in Berlin zu überleben. | |
| Heute ist das anders – und statt des Rufs nach Autonomie dominiert der nach | |
| dem fürsorglichen Staat. Irene von Albertis Film knüpft in seinen | |
| Überlegungen an frühere Verlockungen an. Als Lebensweltpolitiken noch | |
| massenhaft anziehend schienen und einen gesellschaftspolitischen Anspruch | |
| erhoben. | |
| „Der lange Sommer der Theorie“ besteht aus fiktionalen, analytischen, | |
| dokumentarischen und bewusst irritierenden Sequenzen, deren Montage an | |
| frühe Filme Alexander Kluges erinnert. Das extrovertierte Spiel der | |
| Darstellerinnen, die eine auf sich selbst fixierte bohemistische | |
| Künstlerszene zeigen, ist mitunter im positiven Sinne provokativ, manches | |
| mutet aber auch ungewollt naiv an. | |
| Männliche Darsteller haben hier in konsequenter Umkehrung der | |
| Realitätsverhältnisse eher die Rolle von Stehlampen. Die Lust an | |
| Experiment, Spiel, Glam, Zitaten, Verkleidung und auch Retro-Ausstattung, | |
| die diesem Film zugrunde liegt, ist ein Ruf nach einer stärkeren | |
| Alltagsradikalität. Doch die Ästhetik des situativen Charmes kann nicht | |
| darüber hinwegtäuschen, dass das antipolitische Moment heute so kaum mehr | |
| trägt und in seiner Selbstbezüglichkeit auch enttäuscht. | |
| „Der Niedriglohnsektor ist immer noch vorwiegend weiblich besetzt!“ Eine | |
| solche Feststellung ist noch keine Gesellschaftskritik, auch wenn die | |
| Beobachtung richtig ist. Vielmehr unterliegt das in Entgegensetzung zur | |
| Arbeitswelt konstruierte und heroisierte freie Künstlerinnentum selber eine | |
| reaktionären und überheblichen Deutung. Dass Büro- und Lohnarbeit generell | |
| „Scheiße“ seien, glauben doch vor allem jene, die von Mami und Papi | |
| alimentiert werden. | |
| ## Gemütlich in der Blase | |
| Die Sehnsucht nach Widerspruch, Existenzialismus und Radikalität ist | |
| (ebenso wie der Wunsch nach Distanz zu Pragmatismus und Realität) eine | |
| völlig verständliche Botschaft dieses Essayfilms. Doch geht man in „Der | |
| lange Sommer der Theorie“ nur mit AkademikerInnen spazieren und richtet | |
| sich gemütlich in seiner Künstlerinnenblase ein. In einer Szene lässt von | |
| Alberti eine ihrer Darstellerin den Autor Philipp Felsch befragen. | |
| Der hat das überwiegend dem Merve Verlag gewidmete Buch „Der lange Sommer | |
| der Theorie“ geschrieben, welches der Film in seinen Titel zitiert. „Hallo | |
| Herr Felsch“, fragt die junge Frau im Hosenanzug, durch den Berliner Park | |
| spazierend, „sind wir jetzt im langen Winter der Theorie angekommen?“ | |
| „Ähm, ich bin an der Uni, ähm“, sagt Felsch da. „Die 68er waren begnade… | |
| Leser, aber haben keine begnadeten Theoretiker hervorgebracht.“ Heute sei | |
| das natürlich umgekehrt. Ist das wirklich so? Keine Nachfrage. | |
| Komisch, dieser Film stellt viele Behauptungen auf, hat aber scheinbar | |
| wenig Interesse an Disput. So zitiert er in Spielszenen den | |
| Existenzialismus der RAF, ohne deren Politik und Geschichte zu | |
| thematisieren. Er spricht in vieldeutigen Metaphern, bleibt aber im | |
| negativen Sinne uneindeutig, floskelhaft. | |
| Man setzt sich den Dramaturgen Carl Hegemann zum Interview auf die | |
| Theaterbühne, die Professorin Rahel Jaeggi auf ein Hausdach. Und eine | |
| Darstellerin fragt den Kunsttheoretiker Boris Groys, wie die aktivistische | |
| Linke wieder handlungsfähig werden könne. Etwa durch Überidentifikation? | |
| Antwort Groys: „Wenn man sich im richtigen Leben wie im Film fühlt.“ Denn | |
| „der wahre Revoluzzer ist romantisch. Für ihn ist das Leben wie ein Roman.“ | |
| Ja klar, so einfach ist das. Die Revolution: ein Film, ein Roman, eine | |
| Bühne – und eigentlich das eigene Selbst. | |
| 23 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
| ## TAGS | |
| Kinofilm | |
| Komödie | |
| Filmemacher | |
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