| # taz.de -- Regisseurin über Altern auf dem Land: „Wissen, wer Willi ist“ | |
| > „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ ist ein Film jenseits des | |
| > Weltbetriebs und der Großereignisse. Ann Carolin Renningers Film ist | |
| > angenehm daneben. | |
| Bild: Willi und seine Hühner | |
| Auch dieser Film hat Helden. Willi, 89, norddeutscher Bauer. Hühner. Bäume. | |
| Ein Rollator. Mehr braucht man nicht zu wissen. Vielleicht nicht einmal | |
| das. „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ ist ein Film, der gerade durch | |
| seine eigene Unvoreingenommenheit aufmerksam macht – auf den Bauern, auf | |
| ein Leben jenseits des Weltbetriebs und die Mittel des Films. | |
| taz: Frau Renninger, ein bewusst kleiner Film auf der bewusst großen | |
| Berlinale! Was bedeutet das für Sie? | |
| Ann Carolin Renninger: Wir haben bisher nur wahrgenommen, welche Filme im | |
| Forum laufen, weil das ist eigentlich für uns das Festival. Es freut uns, | |
| dass das Forum nach wie vor diese Offenheit hat, dass solche Filme gezeigt | |
| werden. | |
| René Frölke: Ich habe die Vermutung, dass unser Film eher danebenliegt und | |
| dass das vielleicht sogar ein Vorteil ist. | |
| Inwiefern liegen Sie mit dem Film „daneben“? | |
| Ann Carolin Renninger: Ich glaube, dass wir uns Freiheiten nehmen, die man | |
| sich nicht so nehmen kann, wenn man klassisch produziert, wie | |
| Fernsehanstalten. Wir würden für so was nicht normal gefördert werden. Das | |
| ist unser Vorteil: dass wir alles selbst machen. Wir hatten zehn | |
| Dreheinheiten, je zwei bis acht Tage. Wir haben uns in der Regel daran | |
| angepasst, was wir gesucht haben an dem Tag. Willi kommt ja aus meinem | |
| Heimatdorf, wohnt zehn Minuten von meinen Eltern. | |
| René Frölke: Wir waren oft einfach nur vor Ort, auf Besuch, wir mussten | |
| nicht unbedingt drehen. | |
| Wie haben Sie das entschieden? | |
| René Frölke: Das haben die Rollen und das Geld diktiert. Wir hatten ein | |
| bestimmtes Kontingent, eine Rolle kostet inklusive Entwicklung und | |
| Abtastung knapp 100 Euro, wir hatten ein Tageslimit von drei bis vier | |
| kleinen Rollen. | |
| In Minuten? | |
| René Frölke: 12. Wenn das aufgebraucht war, mussten wir entscheiden, ob | |
| weitergedreht werden durfte. | |
| Ann Carolin Renninger: Einmal hatten wir schon acht Rollen gedreht, dann | |
| hat man einen Kater am nächsten Tag, weil man so schön über die Stränge | |
| geschlagen hat. | |
| Die Figur Willi sagt dazu ja einmal: „Verbrauchst so viel Film und was hast | |
| du in Wirklichkeit aufgenommen? Gar nichts.“ | |
| Ann Carolin Renninger: Ja, dabei gab es keinen Austausch über das | |
| Filmemachen. Er hat das einfach so hingenommen, unbeeindruckt, so wie man | |
| ihn auch im Film erlebt. Er hat akzeptiert, dass wir mit der Kamera da | |
| sind, hat das mitbekommen, und plötzlich kommt dann so ein Kommentar, und | |
| man merkt, dass er sich natürlich Gedanken darüber macht. | |
| Hat ihn interessiert, was Sie an ihm interessiert? | |
| Ann Carolin Renninger: Es war ein stilles Einverständnis, ohne viele Worte. | |
| Es ging ums Zeitverbringen, nicht ums Filmemachen. | |
| Was ist das Faszinierende an Willi? | |
| Ann Carolin Renninger:Ich kenne ihn seit meiner Kindheit, es war eine | |
| Mischung aus Angst und Ehrfurcht, gleichzeitig eine große Bewunderung. Das | |
| gab den Impuls, diesen Film zu machen. Ich wollte mich mit dem anarchischen | |
| Leben konfrontieren, wollte wissen, was das war, dieser Hof, wo man nicht | |
| unterscheiden konnte, wer ist Willi, seine Frau, die Tiere. Ich wollte mich | |
| reintrauen in dieses Haus, das etwas Magisches hat. Geht man zu weit, wenn | |
| man die Tür öffnet? Ich wollte sehen, wie sich das auf Film zeigt, was | |
| diesen Ort ausmacht. Und irgendwie sind wir dann immer weiter vorgedrungen, | |
| im Einverständnis. | |
| Ist Willi ein Ausnahmefall. oder steht er für eine gelebte Alternative zum | |
| urbanen Leben? | |
| Ann Carolin Renninger: Er ist keine laute Ausnahme. Jemand wie aus einer | |
| anderen Zeit. Aber auch eine Instanz. | |
| René Frölke: Er ist irgendwie übrig geblieben, lebt am längsten in dieser | |
| Ecke, deswegen kennt er sie auch am besten. Aber er ist nicht ohne Kontakt | |
| zu seiner Mitwelt, es kommen ja Leute vorbei, die mit ihm schnacken. | |
| Zum Beispiel bei der Geburtstagsfeier. Aber da bleibt Ihre Kamera eher auf | |
| die Kuchen gerichtet. | |
| René Frölke: Man muss ja mit den Leuten interagieren, kann nicht einfach | |
| zufällig dastehen mit einer Kamera und drehen. Es war auch sehr eng. Caro | |
| hat dann geschnackt, und ich hab geschaut: Wie sieht ein deutscher | |
| Geburtstag aus, Marzipantorte auf dem Tisch. Was wird da geredet? | |
| Übers Sterben … | |
| René Frölke: Das relativ Banale, der Preis für die Erdbeeren, liegt nah bei | |
| der Frage, wo möchte man begraben sein. Interessant auch die Invasion: | |
| Plötzlich, einmal im Jahr, ist die Bude voll! | |
| Ann Carolin Renninger: Man erkennt auch da Willi: Er nimmt das wie den | |
| Sturm, der am nächsten Tag kommt, lässt es über sich reinregnen. Und dann | |
| sind die ja auch wieder weg! | |
| Genauso wie er sich seinen Assoziationen fügt: Italien, Monte Cassino. | |
| Ann Carolin Renninger:Das kam immer wieder, wie eine Wiederholung. Für uns | |
| war es wichtig, seine Art, zu erzählen drinzuhaben, so wie seinen Gang zum | |
| Stall, um Hühner zu füttern, eine Praxis seines Alltags. | |
| René Frölke: Ein Erzählen weniger wegen der Erzählung selbst, sondern als | |
| Handlung. Diese weichen Übergänge, von der Beobachtung der Natur in die | |
| Vergangenheit und zurück zu den Schwalben. Die Italiengeschichte war die | |
| stärkste, weil sie auch so eine Logik kreiert hat. Ein ganz persönlicher | |
| Mythos. | |
| Welcher Mythos? | |
| René Frölke: Dass ein Geschehen zu einem Tun erklärt wird, ist ja Prinzip | |
| der mythischen Erzählung. Ein Junge, der vor den feindlichen Truppen | |
| fliehen, einen Fluss überqueren muss. Das könnte von Homer sein. Hier | |
| bleibt der Kern vom Mythos übrig, der sich auch in seinem Gang zum Stall, | |
| mit Rollator, zeigt. | |
| Ann Carolin Renninger: Die Geschichte legitimiert immer wieder seine | |
| Haltung zum Leben. | |
| Die da wäre? | |
| Ann Carolin Renninger: Hindernisse sind da, um überwunden zu werden. | |
| Gibt es in dieser Praxis Schönheit? Ich finde Ihren Film schlicht schön. | |
| René Frölke: Das, was wir schön finden, ist eine Projektion, unsere | |
| Konstruktion. Er braucht das nicht, weil er mitten drin steckt. Für Willi | |
| ist das gar keine Kategorie. | |
| Ann Carolin Renninger: Für ihn gibt es nichts anderes. In einer Szene weise | |
| ich auf das schöne Licht hin. Er kann daran nichts finden, in dem Sinne, | |
| wie wir das schön finden. Für ihn hat das Licht eine Funktion, in Bezug auf | |
| die Vögel, das Wetter. Wir haben immer versucht, die Schönheit zu brechen. | |
| Durch die Art, wie wir sie aufgenommen haben, weil sie für sich genommen | |
| uns nicht so interessiert hat. | |
| Wie funktioniert das? | |
| Ann Carolin Renninger: Am stärksten im Ton, den wir oft weggenommen haben. | |
| Man kann ein Bild ja verstärken, dass es noch schöner wird, mit Ton. Wir | |
| haben ihn da bewusst weggenommen. Im Bild – allein schon durch die 24 | |
| Sekunden, denn mehr erlaubt die Bolex nicht – man muss die immer wieder | |
| aufziehen. | |
| René Frölke: Auch das Geräusch der Kameras. Wir wollten, dass die zu hören | |
| sind. Aber das war in dem kleinen Raum teilweise so krass, dass man das | |
| auch hasst bei der Montage. | |
| Ann Carolin Renninger: Diese Art, zu filmen, hat sich mit Willi verbunden: | |
| In der ersten Szene hört man, wie das Tongerät auf dem Rollator liegt, | |
| dadurch entsteht dieses Störgeräusch, das aber total determinierend für ihn | |
| ist. Er muss da immer durch. Das hat sich im Ton extrem gut abgebildet. | |
| Wenn wir eine Szene hatten, hatten wir sie und haben nicht, wie beim | |
| digitalen Dreh, noch zehnmal einen besseren Take probiert. Außerdem haben | |
| wir auch die Pausen, in denen wir nicht drehen konnten, abgebildet – das | |
| sind die schwarzen Löcher. | |
| Was ereignet sich erst recht, im Jahr der Nichtereignisse? | |
| René Frölke: Der Film hat ja keine Story, besteht nur aus einzelnen | |
| Momenten, nichts Großem. Das passiert beiläufig, das Nichtereignis, etwa | |
| dass die Schwalben so und so hoch fliegen oder tief fliegen und dass sie | |
| den ganzen Tag fliegen. Die banalen Dinge werden im Nichtereignis zum | |
| Ereignis. Der Titel ist ja halb geborgt von Michael Hamburgers „From a | |
| Diary of Non-Events“. | |
| Also eher ein Hinweis auf eure Methode als ein Statement zur | |
| weltpolitischen Situation, die ja nur noch voller großer Ereignisse ist? | |
| Ann Carolin Renninger: Das schwingt schon mit. Auch in der Lebenshaltung | |
| von Willi steckt das drin. Unsere Ideen, dass man Urlaub machen muss, all | |
| solche Sachen: Wenn wir bei ihm waren, spielte das keine Rolle mehr. Das | |
| hat mich sehr beeindruckt und geprägt in diesem Jahr. Seine Situation, | |
| wartend auf dem Hof zu sitzen. Eine wahnsinnige Gelassenheit, gepaart mit | |
| Pragmatismus. | |
| Kommt Willi zur Premiere? | |
| Ann Carolin Renninger: Nein, auf keinen Fall. | |
| René Frölke: Der lässt seine Hühner nicht allein. | |
| 12 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Wurm | |
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