# taz.de -- Film über Kunst und Kommunismus: Hundstage | |
> In Julian Radlmaiers neuestem Film verdingt sich ein erfolgloser | |
> Regisseur bei der Apfelernte und wird in einen Hund verwandelt. | |
Bild: Ist das Kunst oder kann der weg? Hauptfigur Julian Radlmaier vor seiner V… | |
Hier wird der Kapitalismus durch einen einfachen Rechen zu Fall gebracht: | |
Frau Gottfried tritt beim Rennen auf das Gartengerät und bekommt den Stiel | |
vor die Birne, bleibt leblos auf der Wiese neben ihren Apfelbäumen zurück. | |
Ein Ungeschick aus zahllosen Komödien, ein Running Gag der Filmgeschichte, | |
den der Berliner Regisseurs Julian Radlmaier in seinem neuen Film | |
„Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ aufgreift. | |
Radlmeier ist ein Filmemacher, der sich bewusst zu Traditionslinien des | |
Kinos positioniert. In Gesprächen nennt er als Referenzen seines Schaffens | |
Jean Renoir, Pier Paolo Pasolini, Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, | |
Yasujirō Ozu oder Charlie Chaplin. Sein Hochschul-Abschlussfilm an der | |
Berliner DFFB erzählt formbewusst von einer Gruppe TagelöhnerInnen, die | |
erst für Frau Gottfried Äpfel ernten und dann auf die Neuentdeckung des | |
Kommunismus hoffen. | |
Einer von ihnen ist ein verliebter, erfolgloser Jungregisseur. Dieser | |
erfundene Kerl heißt auch Julian und faselt ständig von Marxismus und | |
Klassenkampf. Vor allem, um die Kanadierin Camille zu beeindrucken. | |
Eigentlich kriegt er Sozialhilfe, aber das käme nicht gut an, weder bei ihr | |
noch in der Kunstszene. Angeblich dreht er also einen Film über | |
proletarische Offenbarungen und versucht, Camille als Hauptfigur | |
anzuwerben. Die Plackerei auf Frau Gottfrieds Apfelplantage ist somit | |
Feldforschung, Spiel, Farce? Camille sieht das nicht so, stellt sich bald | |
in den Dienst der Arbeiterbewegung. Sie findet Genossen aus der Schweiz und | |
Südkorea, mit denen sie an revolutionäre Wunder glauben will. | |
Von Wundern lassen sich aber nicht alle überzeugen. Selbst als die Chefin | |
k. o. ist, kann sich die Gruppe nicht auf eine Vision einigen. Wohin mit | |
der Gesellschaft? Wohin mit dem Staat? Alles wird kompliziert und Julian | |
entpuppt sich als Opportunist und Hasenfuß, der die Diskussionen | |
manipuliert. Konfrontiert mit Camilles Idealismus, beginnt sein Schwindel | |
zu wackeln. Als Problem der kommunistischen Revolution sieht die | |
Arbeitsgruppe das Individuum. Menschliche Egos machen nur Probleme. Braucht | |
es also einen Kommunismus ohne KommunistInnen? | |
Oder wäre das nicht wie ein Film ohne Regie? Es sind Freunde, Bekannte und | |
solidarische KünstlerInnen, die an Radlmaiers Seite die halbwahren | |
Charaktere des Films erfinden. So manche Mitwirkende wie Jan Bachmann oder | |
Sandro Koberidze sind Radlmaier über die gemeinsame Hochschule DFFB | |
verbunden und haben bereits miteinander Filme gemacht. Dennoch entwirft | |
„Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ keinen Insiderkosmos, sondern gibt | |
sich einladend für diejenigen, die das Kino als Denkraum für Filmkultur und | |
gesellschaftliche Realitäten verstehen und die darin eine kollektive | |
Verantwortung erkennen. | |
## Ein Mönch, der Äpfel schmuggeln soll, als Visionär | |
Radlmaier ist geschickt: Sein Film verkleidet das Autorenkino als | |
Kollektivprojekt. Was passiert, sieht pluralistisch aus, wurde den | |
LaiendarstellerInnen und Profis aber auf den Leib geschrieben. Er festigt | |
seine Autorenschaft, indem er mit Verwechslungen spielt und damit Konturen | |
zieht: Der bürgerliche Opportunist Julian, das ist natürlich nicht Julian | |
Radlmaier. Aber sie haben miteinander zu tun, weil beide keine | |
Arbeiterkinder sind. Die eigentliche Frage: Kann ein bürgerliches Kunstwerk | |
eine Umwälzung der Machtverhältnisse fordern, oder sind die KünstlerInnen | |
nicht am Erhalt von Schutzräumen und Deutungshoheiten besonders | |
interessiert? | |
Zumindest Frau Gottlieb hat ein klares Interesse: ein anti-utopisches. Vor | |
ihrem Zusammenstoß mit dem Garteninstrument schreit sie wie eine Furie | |
herum und will einen Mönch, den eigentlichen Visionär des Films, von ihrer | |
Apfelplantage vertreiben. Für Gottlieb steht er unter Verdacht: Er soll | |
Äpfel nach Polen verscherbelt haben – vorbei an ihrem | |
„Oklahoma“-Apfelimperium. Die Theaterschauspielerin Johanna Orsini | |
Rosenberg war schon in den antikapitalistischen Filmen des Österreichers | |
Daniel Hoesl toll. Hier gibt sie mit diebischer Freude eine abgebrühte | |
Ausbeuterin. Eine Tante, der niemand etwas vormacht. | |
Radlmaiers Neugierde an Leuten, die das Proletariat so richtig rannehmen, | |
ist nicht neu. Zu den Feindbildern können sich seine Figuren positionieren. | |
Seine Bösewichte sind Karikaturen konservativer Wirtschaftsentscheider und | |
funktionieren so charmant, weil Superlative kapitalistischer Propaganda in | |
Verbindung mit verkrusteten Wertsystemen in sich schon etwas Komisches | |
haben. Doch die Arbeitertruppe wirkt in ihrer Einfältigkeit nicht minder | |
stilisiert. Herrlich befremdlich ist etwa der georgische Dichter Zurab | |
Rtveliasvili alias Zurab der Arbeiter, der für Profit über Leichen geht, | |
seinen Bart wie Lenin trägt und bei jeder Gelegenheit Propagandasprüche | |
abfeuert. | |
Hier sind alle in ihrer eigenen Welt. Das unterstreichen viele Aufnahmen, | |
die im 4:3-Format des Films wie Porträts daherkommen. Wenn die Leute ihre | |
Sätze frontal zur Kamera statt zueinander aufsagen, wirkt ihre Mimik | |
überdeutlich. Radlmaier regt mit derlei Verfremdungen zu Neugierde an, ohne | |
den ironischen Grundton aufzugeben. Durch so viel Formwillen ist es für die | |
Figuren schwer, miteinander zu sprechen. Es geht hier aber eben weniger um | |
Schauspiel, Psychologie oder eine Erzählung als um aufeinanderprallende | |
Gedankenentwürfe. | |
## Der Kapitalismus ist ihm zu kompliziert | |
Das Magische an Radlmaiers Filmmärchen ist, dass politische, soziale und | |
filmästhetische Methoden in diesem Potpourri aus Statements und absurden | |
Situationen als neu denkbar formuliert werden – und zwar im Tonfall des | |
Utopischen, also des Zukünftigen. | |
Dabei hat das Utopische hier keine klare Richtung und muss nicht Politik | |
werden, sich nicht als Realisierung eines Gesellschaftsentwurfs behaupten. | |
Das Utopische wird stattdessen als Hoffnung darauf gedacht, dass selbst | |
verquere oder gescheiterte Ideen der Geschichte immer wieder in neue | |
Verhältnisse miteinander treten und unerwartete Wege durch die Gegenwart | |
zeichnen können. | |
Doch wie funktioniert eigentlich die titelgebende Selbstkritik, wenn es | |
ständig nur Gruppenprozesse gibt und keine Identität sich herausschält? | |
Julian verschwindet im letzten Drittel des Films zumindest ganz | |
unvermittelt. Und wo greift eine Gegenwartskritik, wenn die Gegenwart | |
dieses Films sich doch gegen die Wirkmacht jeder einzelnen thematisierten | |
Ideologie sträubt? Der erfundene Filmemacher Julian hat auf derlei Fragen | |
keine Antwort und liefert dem Publikum im Film bei einem inszenierten | |
Kinogespräch bloß Floskeln. Der Kapitalismus ist ihm zu kompliziert und | |
Kunst gefällt ihm offensichtlich nur, wenn sie kein Risiko für ihn | |
bedeutet. | |
Zur Strafe wird er in einen Hund verwandelt, darum geht es ab den ersten | |
Minuten: Transformation als Utopie der Kunst. Drahtzieher der Verwandlung | |
ist der Mönch, der auch die Gottfried schon mit dem Rechen zu Fall gebracht | |
hat. Dieser Geistliche spricht nie und geht einfach der Nase nach. Julian | |
als neu entstandener Windhund lernt vielleicht genau das von ihm: Auf den | |
Riecher vertrauen. | |
8 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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