# taz.de -- Film über Liebe, Rassismus und Frausein: Die Körper kennen einand… | |
> Was ist das, die Liebe? Danach fragt die französisch-koreanische | |
> Regisseurin Ounie Lecomte in ihrem Spielfilm „Ich wünsche dir ein schönes | |
> Leben“. | |
Bild: Wer bin ich und wenn ja wie viele? Protagonistin Élisa (Céline Sallette… | |
Die französische Koreanerin Ounie Lecomte hat mit den Schauspielerinnen | |
Céline Sallette („Der Geschmack von Rost und Knochen“) und Anne Benoît | |
einen Film gedreht, der selbst nach Arthaus-Maßstäben nicht so aufregend | |
ausschaut. Filme mit unbekannter Regie, die mutig und cool genug sind, | |
Schauwerte nicht vorne anzustellen, gehen sowohl in Festivalprogrammen als | |
auch an Kinokassen leider viel zu oft unter. Der Beweis: Seit der | |
Weltpremiere von „Je vous souhaite d’être follement aimée“ im Herbst | |
2015 beim Busan-Filmfestival war das Werk in Europa fast nirgendwo zu | |
sehen. | |
Es finden sich zum Glück auch immer wieder coole und gelassene Verleihe, | |
die dann zwei Jahre später diese Filme noch mal unterstützen. Dass der Film | |
sich auf den Surrealisten André Breton und dessen Idee von Liebe beziehen | |
will, geht im eingedeutschten Kinotitel trotzdem unter: „Ich wünsche dir | |
ein schönes Leben“. Genaues Beobachten lohnt sich also. Lecomte entpuppt | |
sich in ihrem erst zweiten Film als uneitle, überraschend reife | |
Regisseurin, die es im Auge zu behalten gilt. | |
Dabei wirkt alles zunächst schrecklich arrangiert, als würde Lecomte ihrem | |
Film, den genauen Bildern von Kamerafrau Caroline Champetier („Holy | |
Motors“) und ihren Schauspielerinnen nicht ganz vertrauen: Gleich zu Beginn | |
ein Behördengang, der alles erklärt. Elisabeth hat ihre Mutter noch nie | |
gesehen, vor 30 Jahren wurde sie in einem Waisenhaus abgeladen. Es gibt | |
Neuigkeiten. Ihre echte Mutter wurde in Dunkerque, an der Atlantikküste | |
Frankreichs gefunden, will aber keinen Kontakt. | |
Die junge Physiotherapeutin verlässt also Paris und zieht mit ihrem Sohn | |
Noé für eine Weile ans Meer. Dann wird’s auch noch politisch: Noé sieht | |
marokkanisch aus und freundet sich nur mit Einwandererkindern an. Und dann | |
die Konflikte: Beide provozieren unentwegt Annette, die mit einer tiefen | |
Ausgebranntheit in der Schule vor sich hin arbeitet. Annette heißt für die | |
Jungs nur „Pitbull“, weil sie so humorlos ausschaut und anscheinend ein | |
Rassismusproblem hat. Noch mit 57 Jahren lebt sie mit ihrer | |
kontrollobsessiven Mutter zusammen. Ab und an hütet sie auch Hunde, die | |
rasten irgendwann aus und reißen sie um. Als Annette mit einer | |
Muskelzerrung in Elisabeths Praxis auftaucht, wird natürlich klar, dass | |
das kein Zufall ist und alle miteinander verwandt sind. | |
Die Konstruiertheit der Geschichte spielt aber im gleichen Moment auch | |
schon keine Rolle mehr. Wenn für einen Moment auf einmal der Körper ganz im | |
Zentrum steht. Es geht dann um die Begegnung von zwei Menschen, die eben | |
aus dem gleichen Fleisch sind. Zwei Menschen, die sich innig nah sein | |
könnten, aber es noch nie waren. Elisabeth massiert Annette später noch | |
einmal und legt in ihrem Körper dabei so viel Erinnertes frei, dass sie die | |
Tränen nicht mehr kontrollieren kann. Diese Körperverbundenheit allein wird | |
eine verstoßene Tochter aber nicht trösten. | |
## Frauenkörper, die nicht sexualisiert werden | |
Pitbull wird sich weiter im Ton vergreifen, selbst wenn eine Freundschaft | |
entsteht und beide es gut meinen. Elisabeth will dann sogar weitere | |
Beweise, dass diese karge Person wirklich ihre Mutter sein soll. Beide | |
finden im Grunde nicht das, was sie sich erhofft haben. Und doch ist ihre | |
Begegnung in Gang gesetzt und nicht zu stoppen. Erst in der Begegnung | |
erfahren wir auf einmal von Annettes Innerlichkeit, der großen Entdeckung | |
dieses Ausgrabungsfilms. Durch die abgedroschene Rhetorik dieser Figur | |
hindurch gelingt es Anne Benoît eine fragile und dann doch entschlossene | |
menschliche Größe herauszuspielen, die sich nicht abtun lässt. | |
Lecomte webt mit der Cutterin Tina Baz währenddessen die Bilder und | |
Situationen dieser kalkulierten Geschichte so ungekünstelt zusammen, dass | |
weder der psychologische Fluss der Figuren noch der der Erzählung | |
überinszeniert wirken. Und bald fällt im geschickten Rhythmus des Films | |
auf, dass selbst die beiläufigen Gesten hier ein ganz eigenes Buch in sich | |
tragen, insbesondere auch von einer selbstbewussten Phänomenologie des | |
weiblichen Körpers erzählen, die von der Kamera zur Abwechslung einmal | |
nicht sexualisiert oder instrumentalisiert wird. | |
Letztlich entwirft der Film im Sinne Bretons dann noch eine Suche nach der | |
Liebe, nach der Liebe zwischen der einst jungen Annette und Elisabeths | |
Vater, die über die Jahre ganz tief von Verletzungen, familiären | |
Autoritäten und antrainierten Ressentiments verstellt wurde. Die Integrität | |
dieser Liebe muss sich über die komplette Erzählung gegen alle Widerstände | |
beweisen und wird dann doch zu einer Frage der Form. | |
Breton sieht in der Liebe eine Form der Selbstsicherheit und jedes aus | |
Liebe geborene Kind als deren unwiderlegbare Fleischwerdung, als | |
Beanspruchung eines Ideals im Realen. Über die psychologische Feinheit und | |
Realitätsnähe ihres Films gelingt es Lecomte, dieses Denkexperiment zu | |
berühren. Die Verbindlichkeit und Begrenztheit des Realen hebelt sie in nur | |
einem einzigen eleganten Schlussdialog aus. Das ist beachtlich. | |
14 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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