# taz.de -- Danièle Huillet und Jean-Marie Straub: In den großen Filmen liegt… | |
> In Berlin sind die Werke von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub wieder | |
> zu entdecken. Mit Retrospektive, Ausstellung und Gesprächen. | |
Bild: Jede Zeile für sich sprechen: Giorgio Barrata in „Der Tod des Empedokl… | |
Die Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub dringen durch alle | |
Phasen der dem Kino eigenen Bewegung zu jener Ruhe vor, die den großen | |
Kunstwerken zugrunde liegt. Diese Ruhe hat mit der Art des Sprechens der | |
Personen zu tun und mit dem Licht: damit, wie bei den Innenaufnahmen das | |
Licht durch die Fenster hereinkommt. Unvergesslich bleibt mir in dieser | |
Hinsicht „Chronik der Anna Magdalena Bach“ (1967): Man hat immer den | |
Eindruck von einem Drinnen und zugleich einem Draußen, auf das hin der Film | |
sich öffnet. | |
Dieses Hinausgehen aus dem Film auf ein anderes zu, das jenseits des Films | |
liegt, war bedeutsam für Straub/Huillet. Sie wurden nicht müde, den | |
Unterschied zwischen Licht und Beleuchtung in Filmen hervorzuheben, | |
insofern diese den Innenraum isoliert und jenes ihn transparent auf das | |
Außen hin macht. | |
Die ersten Filme aus ihrer Münchener Zeit sind früh nicht nur ihrem | |
biografischen Ort nach. In ihnen spiegelt sich Frühe, bekundet sich von | |
Anfang an eine völlig originale Substanz. „Nicht versöhnt“ (1964), nach | |
Heinrich Bölls Roman „Billard um halb zehn“, wurde nur von wenigen als ein | |
stürmischer und berauschender Angriff empfunden, dem sie sich gern ergaben. | |
Für andere, wie mich, hatte dieser buchstäblich traumhafte Film jene | |
langsam einsickernde Schönheit, die wir fast unbemerkt mit uns forttragen, | |
bis sie uns am Ende ganz in Besitz nimmt. | |
Im Vordergrund steht der physische Eindruck, das macht „Nicht versöhnt“ so | |
stark. Erst nach und nach erschließt sich der Sinn, der Zusammenhang, in | |
dem ein Bild, ein gesprochener Satz, eine Szene steht. Schließlich kommen | |
wir aber dahin, diese Geschichte dreier Generationen einer rheinischen | |
Architektenfamilie nicht in den Kategorien eines zeitlichen Verlaufs auf | |
uns wirken zu lassen, sondern gleichsam räumlich, simultan: die Gegenwart | |
des Vergangenen. | |
Bis in ihre letzte Schaffenszeit wahrten und wahren Danièle Huillet (sie | |
starb 2006) und Jean-Marie Straub die Merkmale ihres gemeinsamen, in | |
stetiger lernender Erneuerung beschrittenen Lebenswegs. Dessen Stationen | |
sind abzulesen an den großen Namen von Schriftstellern, Musikern und | |
Malern, deren Werke sie zum Gegenstand ihrer Filme machten; an den | |
Landschaften und Städten, die die beiden Filmemacher bewohnten. Sie selbst | |
wurden zeitweise von denen bewohnt, deren Bücher sie lasen, deren Bilder | |
sie sahen, deren Musik sie hörten. Ich stelle mir das wirklich als eine Art | |
Einverleibung vor. | |
## Energie und Kraft | |
In ihren Filmen nach Kafka, Hölderlin, Brecht, Pavese, Corneille und | |
anderen verbinden sich erdnahe Energie und Kraft mit vereinsamt anmutender | |
Bewusstheit und Kulturreife. Alle jene Musiken, Bücher und Bilder haben in | |
Straub und Huillet etwas ausgelöst. | |
Dazu kommt die Dankbarkeit für das Empfangene, verbunden mit der Lust, | |
selber etwas Schönes auf die Leinwand zu bringen. Entsprechend behandelten | |
sie ihre Buchvorlagen: Sie wurden nicht durch den Fleischwolf der Adaption, | |
‚Verfilmung‘ genannt, gedreht, sondern als die Literatur, die sie sind, im | |
Medium des Films zum Klingen gebracht. | |
„Der Tod des Empedokles“ (1986, nach Hölderlin): Nicht dem Sinn gemäß wi… | |
gesprochen, sondern jede Zeile für sich. So kommen Einschnitte im | |
Sprachfluss zustande, die von den Zuhörenden zu überspringen sind. Dazu | |
Straub: „Auch sind die Bewegungen, die ein Pferd beim Springen macht, | |
schöner, wenn man die Hürde dabei sieht, über die das Pferd springt.“ Und | |
Klaus Heinrich: „Hörbar folgt hier Zeile auf Zeile, und der Text bekommt | |
auf diese Weise die Beschaffenheit eines sozusagen unablässig Kinetischen. | |
Also Hölderlin ist das Kino.“ | |
## Randfiguren der Gesellschaft | |
„Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter“ (1968): Hier werden die | |
unterste Kolportage und die Randfiguren der Gesellschaft transparent zu den | |
obersten Bedeutungen hin. Zu den schönsten Stellen gehört der Wechselgesang | |
zwischen Braut und Bräutigam, „Das Lied der Liebe“, gesprochen von zwei | |
Menschen von heute, aber zurückgehend auf den mittelalterlichen Dichter | |
Juan de la Cruz. Hier erscheint eine höhere Ordnung der Dinge. | |
Bei Straub/Huillet regiert der Affekt, die Lust an erhöhten, weit | |
gespannten Stimmungen, die Nebeneinanderstellung der Ekstase und des | |
Naiven. Juan de la Cruz war ein Mystiker, bei ihm ging es um die | |
Vereinigung mit Gott. Die Religion hat man zwar aufgegeben, nicht aber die | |
durch sie erworbenen Gemütssteigerungen und Erhebungen. Sie bleiben | |
kennzeichnend durch das gesamte Œuvre Straubs und Huillets hindurch. | |
13 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Nau | |
## TAGS | |
Film | |
Retrospektive | |
Freie Universität Berlin | |
Spielfilm | |
Neuer Deutscher Film | |
Filmfest Bremen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Religionsphilosoph Klaus Heinrich: Gelehrsam und so freundlich | |
Er lehrt ein aufregend gegenwärtiges Denken, das befreit und glücklich | |
macht. Zum 90. Geburtstag des Religionsphilosophen Klaus Heinrich. | |
Spielfilm „Der Tod von Ludwig XIV.“: Der König stirbt | |
Im Film „Der Tod von Ludwig XIV.“ erkundet Albert Serra das Unvergängliche | |
im Vergänglichen. Seine Einsichten setzt er faszinierend präzise in Szene. | |
Film über Kunst und Kommunismus: Hundstage | |
In Julian Radlmaiers neuestem Film verdingt sich ein erfolgloser Regisseur | |
bei der Apfelernte und wird in einen Hund verwandelt. | |
Filmfest in Venedig: Der Goldene Löwe verblasst | |
Die Filmfestspiele von Venedig setzten dieses Jahr besonders auf | |
essayistische Formate. Insgesamt war der Wettbewerb aber eher schwach. | |
DVD "Klassenverhältnisse": Kino bekommt seinen Kafka | |
Mit "Klassenverhältnisse" haben Danièle Huillet und Jean-Marie Straub | |
Kafkas Roman "Der Verschollene" 1983 kongenial verfilmt. Die nun | |
erschienene DVD ist verschwenderisch gestaltet. |