# taz.de -- DVD "Klassenverhältnisse": Kino bekommt seinen Kafka | |
> Mit "Klassenverhältnisse" haben Danièle Huillet und Jean-Marie Straub | |
> Kafkas Roman "Der Verschollene" 1983 kongenial verfilmt. Die nun | |
> erschienene DVD ist verschwenderisch gestaltet. | |
Bild: Der Kameramann William Lubtchansky präsentiert die Geschichte in präzis… | |
Von Karl Rossmann, einem, der nach einer Dienstmädchenaffäre weggeschickt | |
wird, in Amerika eine Stellung zu finden, erzählt Franz Kafkas erster Roman | |
"Der Verschollene". Kafkas Freund und eigenmächtiger Herausgeber des fürs | |
Feuer bestimmten Nachlasses Max Brod machte aus dem Verschollenen | |
"Amerika". Als Danièle Huillet und Jean-Marie Straub 1983 darangingen, | |
diesen ersten, wie alle anderen unvollendeten Roman Kafkas zu verfilmen, | |
wählten sie den marxistisch inspirierten Titel "Klassenverhältnisse". | |
Explizit wird die Deutung nur im Titel. Für den Rest des Films ist diese | |
Lesart eine Sache der filmischen Einstellung. Und damit, wie immer bei den | |
Puristen Straub/Huillet, eine Sache der Haltung. Zur Vorlage und zur Welt. | |
Den Worten Kafkas und dem Handlungsverlauf des Romans bleiben sie dabei, | |
auf ihre Art, sehr treu. Die Frage der Haltung ist buchstäblich zu nehmen, | |
als Frage danach zum Beispiel, wie Rossmann (Christian Heinisch), der | |
immerzu gedemütigt wird, sich hält. Lange steht er kerzengerade aufrecht, | |
stellt sich so den Vorgesetzten und den strengen Regeln einer | |
vorgeschriebenen Welt, die ihn anfallen als Papiertiger aus dem Hinterhalt. | |
Rossmann stellt sich dem Onkel (Mario Adorf) zum Beispiel, der ihn | |
verstößt, weil er die Einladung eines Geschäftsfreunds annimmt. Dem | |
Oberportier (Andi Engel), der ihn beschimpft, weil er ihn angeblich nicht | |
grüßt. Später gerät Rossmann in schlechte Gesellschaft (Manfred Blank als | |
Robinson, Harun Farocki als Delamarche), geht zu Boden, verliert seinen | |
Rock und findet eine letzte Hoffnung im Theater von Oklahoma, das jeden | |
nimmt und an den Ort zu stellen verspricht, der ihm gemäß ist. | |
Die Klassenverhältnisse, als solche, die einen, der eine Stellung sucht, um | |
seine Haltung bringen, setzen Danièle Huillet und Jean-Marie Straub in | |
Szene. Von einer schneidenden Klarheit und klirrenden Schönheit sind die | |
schwarz-weißen Bilder der Kameraleute Caroline Champetier, William | |
Lubtchansky und Christophe Pollock. Dem Spiel des Lichts und des Dunkels | |
zwischen Vorder- und Hintergrund, auf Haar und Gesicht und Körper der | |
Figuren kann man beim Ansehen verfallen. Ungerührt nehmen die Einstellungen | |
den Raum in den Blick. Es ist kein auf die Figuren zentrierter, ihnen | |
fluide folgender Spiel-, sondern ein harter kantiger Bildraum, der Rossmann | |
beengt und aus dessen Rahmen er gelegentlich fällt. | |
Vollends isoliert ihn der Schnitt. Selten teilt Rossmann mit einer anderen | |
Figur das Bild. Erst im Schnitt kommen die miteinander Sprechenden, | |
Rossmann - allein im Bild - und sein oft zur Gruppe formiertes Gegenüber | |
zusammen. Oder eben gerade nicht. Die Begriffe Schuss und Gegenschuss sind | |
hier für einmal beinahe wörtlich zu nehmen. | |
Am berückendsten aber am Film ist die neutönende Musik der Gesten und der | |
Sprache, die Straub und Huillet den Körpern und Worten ihrer Darsteller | |
abringen. In einer Dokumentation, die Harun Farocki bei den Proben gedreht | |
hat, kann man sehen, wie dieses Sichbewegen und Sprechen als Sprechbewegung | |
geübt wird. Straub und Huillet lassen die Sprechenden nicht dem Sinn der | |
Worte folgen, sie lassen sie die Sätze zu Teilen zerstückeln, und sie | |
schaffen der Sprache im Bild so einen eigenen Raum. Sehr angemessen ist das | |
der Sprache Kafkas, die niemals ein Instrument derer ist, die sie sprechen, | |
eher das Henkersseil, das sich ihnen mit rabiater Zärtlichkeit Wort für | |
Wort um den Hals legt. Zu Klassen-, Sprach- und Einstellungsverhältnissen | |
also haben Straub und Huillet Kafkas Roman von einem, der eine Stellung | |
sucht und seine Haltung verliert, geformt und dem Kino so seinen eigenen | |
Kafka geschenkt. | |
Die Doppel-DVD der Edition Filmmuseum ist verschwenderisch ausgestattet. | |
Neben Harun Farockis Dokumentation finden sich auf der zweiten DVD auch ein | |
Interview-Porträt von Straub/Huillet, außerdem eine Analyse der | |
Anfangssequenzen. Dazu auf der ersten DVD ein ROM-Bereich mit hunderten von | |
Seiten Drehbuch- und anderem Material. Als perfekte Ergänzung empfiehlt | |
sich die fast zeitgleich in Frankreich veröffentlichte | |
Straub-Huillet-3-DVD-Box, die unter anderem "Machorka Muff", "Nicht | |
versöhnt", "Moses und Aron" und "Von Heute auf Morgen" enthält. | |
6 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Film | |
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