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# taz.de -- Berliner Theaterpreis für Herbert Fritsch: Das ist doch die Wally!
> Herbert Fritsch erhält den Berliner Theaterpreis. Unsere Autorin freut
> sich darüber in Wien, wo Fritsch an der Burg die Puppen tanzen lässt.
Bild: Verdutzt unter dem Trompetenbaum: „Komödie der Irrungen“ von Fritsch…
Eigentlich ist es albern, dachte ich. Da ist man einmal in Wien und dann
guckt man Fritsch im Burgtheater. Als ob wir den nicht zuhause in Berlin an
der Volksbühne hätten. Noch. Doch dieser hier ist neu und es ist
Shakespeare, „Die Komödie der Irrungen“ und Shakespeare kann nie verkehrt
sein. Außerdem liebe ich Herbert Fritschs komisches Bildertheater.
Vorher absolvieren Paul und ich das Touristenprogramm. Wir gehen in die
Albertina, das große Wiener Kunstmuseum, direkt „über’s Eck“ von der Wi…
Oper und dem Hotel Sacher, wo wir die obligatorische Torte kaufen. Im
ersten Bezirk in Wien ist alles direkt nebeneinander. Es kommt einem vor,
als wären die Prachtbauten Spielfiguren auf einem Schachbrett, jemand wäre
aus Versehen gegen den Tisch gestoßen, hätte alles zusammen geschoben und
dann wäre es eben so stehen geblieben.
Wir haben Gustav Klimts goldene Küsse gesehen, die blutroten Vulven auf den
Gemälden von Egon Schiele, die beeindruckend verstörenden Zeichnungen von
Pieter Bruegel dem Älteren und Hieronymus Bosch mit ihrer ganzen
unterhaltsamen Weltuntergangsmetaphorik, die golden gerahmt in den
Prunkräumen des ehemaligen Herzogspalais hängen. Und Dürers Hasen! Den
echten.
Danach kaufen wir einen Pullover gegen die Kälte im Schlussverkauf – es
„hatte“ sechs Grad unter Null, wie der Wiener sagt – am Graben, der Wiener
Einkaufsmeile, dort, wo die Frauen echte Pelzmäntel tragen und die Herren
Hüte und selbst die Filialen von C&A&H&M in original Art-Déco-Läden
untergebracht sind, mit Kristalllüstern an der Decke und
Mahagoniholzvertäfelung um die blanken Spiegel an allen Wänden.
## Die billigen Plätze
Zum Schluss gehen wir wienerisch essen. „Schulterscherzl vom Rind mit Rösti
und Fisolen“*.Es war köstlich. Dazu einen gespritzten Apfel**, jetzt ist
uns wieder warm.
Satt und glücklich kehren wir ein ins Burgtheater. Galerie Mitte links,
ganz oben, die billigen Plätze. Von hier aus sieht man die Bühne in der
Totalen. Das ist gut, denn Herbert Fritsch macht Bildertheater. Das
gesprochene Wort ist ihm fast egal, Narration nicht wichtig. Er arbeitet
mit den Körpern der Schauspieler, die unter seiner Regie zu Gliederpuppen
werden.
Jeder Schauspieler bekommt eine grellbunte Maske, ein kreischbuntes Kostüm
und eine Geste. Ausgelöscht ist alle Psychologisierung und jeder
Naturalismus, ausgelöscht ist fast auch der berühmte Burgschauspieler
selbst. Fritsch macht Schautheater, Kasperletheater, Commedia dell’arte.
Die Spieler werden zu Puppen im bunten Bühnenraum, den Herbert Fritsch
stets selbst entwirft.
Fritschs Bühne hier in der Burg hat eine merkwürdig verschobene
Dreidimensionalität. Ich muss an Dalí denken. In der Mitte thront ein roter
Bilderrahmen, der auch eine eckige Vulva sein kann, aus der die
Schauspieler einer nach dem anderen herausklettern, -fallen oder springen.
Links steht ein Galgen, rechts ein Trompetenbaum – keine Pflanze mit
duftenden Blüten, sondern ein Gebilde aus lauter zusammen gebauten
Posaunen, die tatsächlich Musik machen (Musik: Bernhard Gander). Mittels
Licht (Friedrich Rom) variiert die Bühne von Abendrot bis Zwiebelrot.
## Verwirrung, Verwechslung, Verdoppelung
Das Stück ist verwirrend, leider nicht im guten Sinn. Es geht um zwei
Zwillingsbrüder, die zweimal vertauscht wurden und beide gleich heißen, von
denen die einen die Sklaven der jeweils anderen sind, was diese aber nicht
wissen, woraus allerlei Verwechslung und Komik erwachsen sollte. Nur leider
klappt das nicht. Die Verwirrung für den Zuschauer beginnt schon damit,
dass beide Zwillingspaare von jeweils nur einem Schauspieler dargestellt
werden.
Sebastian Blomberg spielt die beiden Herren mit dem Namen Antipholus und
Simon Jensen die beiden Diener mit Namen Dromio. Und nun rennt immer ein
Diener zum falschen Herren, überbringt falsche Nachrichten und kriegt dafür
Prügel. Es gibt auch Frauen: Adriana, die Ehefrau des einen Antipholus und
Luciana, ihre Schwester, sowie eine Kurtisane und eine Äbtissin, die am
Ende die Mutter von allen ist.
Die Komödie ist die Urform des Theaters. Wir tun so, als ob, dabei wissen
wir, dass es nur gespielt ist. Die Komik ergibt sich aus dem Spiel und aus
der Überraschung. Und aus dem Erfahrungsvorsprung des Zuschauers gegenüber
den handelnden Figuren und der Lust, ihnen beim Scheitern zuzusehen. Wir
sehen das Hindernis, über das der Harlekin gleich stolpern wird, er sieht
es nicht, er stolpert, wir lachen.
## Das Museum wird lebendig
In Fritschs „Komödie der Irrungen“ verirrt sich jede Komik. Die beiden
Hauptdarsteller können die Unterschiede zwischen ihren Zwillingen nicht
klar herausarbeiten, dadurch fehlt den Zuschauern dieser Vorsprung und das
komische Potenzial ist verschenkt. Die allgegenwärtigen sexuellen
Anspielungen machen diesen Verlust nicht wett.
Aber die Inszenierung macht trotzdem Spaß. Weil Herbert Fritsch es schafft,
wahnsinnig schöne Bilder auf Bühnen zu zaubern. Bei der gefeierten
„Spanischen Fliege“ in Berlin 2011 war die Bühne ein riesiger
Biedermeierteppich, auf dem die Schauspieler dank eines zwischen den
Teppichfalten eingebauten Trampolins herumhopsten wie heruntergefallene
Mensch-ärgere-dich-nicht-Figuren. Bei „Murmel Murmel“ wurde die Bühne zum
Fernseher und die Schauspieler zu Teletubbis und Sesamstraßenfiguren. Ich
hätte mich vor Lachen wegschmeißen können.
Nun sitze ich wieder da wie das Kind vor dem Kasperletheater und schaue den
Puppen beim Tanzen zu. Und dann plötzlich kommt der Moment, wo sich die
Kurtisane (Mavie Hörbiger) in einem Gewand aus weiß und blutrot mit
feuerroter Lockenpracht und nacktem Bein in dem roten Bilderrahmen räkelt
und ich denke: „Stopp! Warte. Das kenn ich. Das hab ich heute schon mal
gesehen! Das ist doch die Wally, die Muse von Egon Schiele!“
Und ich gucke mich weiter auf der Bühne um und erkenne in dem akrobatischen
Kerkermeister im schwarzen Einteiler (Merlin Sandmeier) den Tod aus den
Gemälden von Schiele und Klimt, Trompetenbaum und Galgen scheinen aus
Renaissancegemälden herausgelöst und die Äbtissin am Ende ist ein Zitat des
Schiele-Gemäldes „Kardinal und Nonne“.
## Gratulation trotzdem!
Fritsch kommentiert hier die Wiener Moderne von damals und das Wien samt
Burgtheater von heute in seiner absurden Überladenheit und dem ganzen
besoffen sein von seiner eigenen historischen Bedeutung. Nur leider fehlt
die Geschichte.
Paul fand es schlimm, ich fand es trotzdem super. Die übrigen Zuschauer
klatschten beifällig, ein paar Bravos, einmal Buh.
Auf dem Weg nach Hause suche ich im Internet nach
Jahrhundertwende-Gemälden, die man noch auf der Bühne finden konnte, da
kommt die Meldung: Herbert Fritsch bekommt den Theaterpreis 2017. Ich
gratuliere von Herzen und erhebe meinen Spritzer***!
*„Scherzl“ bedeutet Schwanz, Stiez, Kanten; Rösti sind gebratene
Kartoffelsplitter; Fisolen sind grüne Bohnen.
**eine Apfelsaftschorle
***hochdeutsch: Weißweinschorle
30 Jan 2017
## AUTOREN
Lea Streisand
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