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# taz.de -- Herbert Fritsch an der Schaubühne: Man denkt immer, man ist wichtig
> Das Publikum fest im Griff: Herbert Fritsch inszeniert an der Berliner
> Schaubühne „Zeppelin“ nach Motiven von Ödön von Horváth.
Bild: Sich hängen lassen als Spiel
„Mir scheint, ich bin hier überflüssig.“ Wer diesen Gedanken aus leidvoll…
Erfahrung kennt, ist eigentlich genau richtig im Kosmos von Herbert
Fritsch. In Zeiten, wo das Basteln an der eigenen Bedeutung beinahe zur
täglichen Pflichtübung geworden ist, kümmert er sich mit Hingabe um die
Zurückgebliebenen. Denkt man an die vielen Fans dieses Theaterregisseurs,
ist er damit erstaunlich vielen sympathisch.
[1][Herbert Fritsch], der seine Figurenanordnungen lange Jahre an der
Volksbühne in Berlin unter [2][Frank Castorf] herausbrachte, zeigte am
Dienstag seine erste Premiere an der Schaubühne in Berlin und will hier
langfristig vor Anker gehen. Schon das sorgt für große Aufmerksamkeit. Dass
er sich in „Zeppelin“ mit Texten von Ödön von Horváth aus dem Nachlass u…
aus Vorarbeiten zu „Kasimir und Karoline“ beschäftigen wollte, schien zudem
ein vielversprechendes Konzept.
Kann man sich doch Fritsch und Horváth sehr gut als verwandte Seelen
denken, die beide das Metaphysische auf dem Jahrmarkt suchen und sich mit
Vorliebe den kleinen Illusionen widmen. Es treten denn vor allem auch die
Abnormitäten auf, die in „Kasimir und Karoline“ vorgeführt werden.
Den eingangs zitierten Satz hört man oft in „Zeppelin“, hingeseufzt und
auch gepiepst von einer der kurzbekittelten Darstellerinnen. Oder auch,
„Man denkt immer, man ist wichtig, aber meiner Meinung nach ist das
falsch.“ Spontanen Beifall erhält: „Verstehen werdet ihr das später.“
Inhaltlich ist der Höhepunkt erreicht mit der politischen Ansage: „Im
klassenlosen Staat wird es keine Scherzartikel mehr geben.“ Und beliebt ist
die Frage: „Wo ist Irma?“ Der gleichnamige Hurrikan tobte zur Probenzeit.
Einzelne Sätze also machen Spaß; zu Dialogen und Szenen aber verbinden sie
sich nicht. Denkt man zurück, was Fritschs Schauspieler in „der die mann“
mit den Gedichten von Konrad Bayer veranstalteten, wie viele Doppel-, Drei-
und Vierfachdeutung da in die Worte hineinkam, ist „Zeppelin“ eher
enttäuschend schlicht. Die Kinderkostüme, in die alle gesteckt sind, deuten
zwar auch in Horváths Zeit zurück, Anfang 20. Jahrhundert, aber sonst
bleiben die Drähte stumm, die von den sozialen und philosophischen
Erschütterungen der Welt damals in die von heute hätten reichen können.
Auf der riesigen Bühne der Volksbühne wirkte das Fritsch-Ensemble oft
puppenhaft klein, von einem geheimen Spielmacher willenlos hin und her
gejagt. Geblieben ist die infantile Stilisierung in Kostüm und Gestus, das
Zappeln und Greinen. Doch die Bühne ist diesmal eng, vollgestellt mit dem
Gerüst eines Zeppelins, über das die Truppe wie Kinder auf dem Spielplatz
turnt. Mal baumeln sie als nasse Lappen an den Stangen, mal rennen sie
staunend drumherum, mal triumphiert, wer es bis oben geschafft hat;
Abstürze gibt es auch.
Der Zeppelin sieht dabei auch wie das Skelett einer riesigen Bombe aus.
Schließlich war er ja nicht nur ein utopisches Bild für die Reise durch die
Luft, sondern bald auch kriegstechnisch im Einsatz. Diese Ambivalenz
zwischen Sehnsucht und Bedrohung kommt im körperlichen Spiel der
Inszenierung gut heraus.
Am Ende hängen alle in der Luft und warten. Und das Publikum wartet. Kommt
jetzt der Applaus? Er kommt, er hört wieder auf. Weiter warten. Lange geht
am Ende das Spiel der Verzögerung und lange noch einmal die trickreich
choreografierte Applausanordnung. Bis man viel mehr geklatscht hat, als man
eigentlich wollte. Da hat der gute Handwerker Fritsch sein Publikum fest im
Griff.
20 Sep 2017
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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