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# taz.de -- „Null“ in der Berliner Schaubühne: Das Nichts geformt zu etwas
> Herbert Fritschs Stück kommt sehr erfrischend ohne Gedankenschwere aus.
> Dafür gibt es Gabelstapler, Klettergurte und sehr oft ein „Hä“.
Bild: Neuentdecktes Spielgerät: der Gabelstapler
Es zieht Humor in die Schaubühne ein, und auch die Leichtigkeit des
Absurden. Denn Herbert Fritsch inszeniert mal wieder in den betonierten
Realismussälen am Ku’damm. Ganz so munter wie zu Volksbühnen-Zeiten, ach,
wird es zwar auch dieses Mal nicht. Aber immerhin versucht Fritsch jetzt
erst gar nicht – wie noch bei seinem Schaubühneneinstand „Zeppelin“ –
dramatische Vorlagen zu pulverisieren. Nein, dieses Mal fängt er beim
Nichts, eben bei der „Null“, an.
Und das tut dem Abend gut. In verschiedenen Konstellationen rennen die neun
Schauspieler da über die Bühne. Man mag sie sich als die Ziffern 1 bis 9
vorstellen, die angestrengt versuchen, ihre Kollegin, die später
eingeführte Rechengröße 0, zu produzieren. Die ist ein Lückenzeichen,
markiert das Nichts, ist aber zugleich der Aufstiegsindikator. Denn nur mit
Nullen kommt man zu Zehnern, Hundertern und Tausendern. Kein Million ohne
gleich sechs Nullen.
Mathematiklehrer sollten also diesen Abend buchen. Angehende Soziologen und
Politologen eher nicht; denn das soziale Potenzial der Null, ihre
Notwendigkeit zur Erzeugung großer Zahlen, die erst die Macht ausmachen –
um all das macht Fritsch einen großen Bogen.
Er konzentriert sich vielmehr auf komische Gegebenheiten, lässt sein
Ensemble Fratzen schneiden, rhythmisch Worte sprechen. Spektakulär wird
dann, wie die sechs Spieler und drei Spielerinnen in Klettergurten und
Seilen hängen. Da erhält das Nichts eine verblüffende Form. Von der
Schwerkraft befreit wird in der Luft geturnt. Es kollidieren Körper und
schwingen dann wieder auseinander.
## Ganz ohne Diskursgebrabbel
Man ist Fritsch dankbar für das völlige Fehlen von Gedankenschwere. Der
Zeigefinger der Spätaufklärung, das Diskursgebrabbel der Postmoderne, der
Skandalisierungsfuror der Machttheoretiker im sprachlichen Ausdruck – all
das bleibt außen vor. An dessen Stelle tritt als meistgesprochenes Wort das
„Hä“. Es kann ein „Hä“ des Staunens, des Unverständnisses und auch e…
der Abwertung sein. Fritschs Ensemble entwickelt daraus eine kleine
Disharmonie, die durchaus noch weiter hätte ausgestaltet werden können.
Weil Fritsch an der Schaubühne mit all den feinen Werkstätten neuen
ästhetischen Zielen zustrebt, macht er sich im zweiten Teil mit einem Hang
zur Großtechnologie das Leben schwer. Er lässt, nach einer überraschend
frühen Umbaupause, erst eine menschliche Hand, groß wie ein Kleinflugzeug,
in den Bühnenhimmel heben. Die Hand drückt zunächst Gulliver gleich die
kleinen Menschen auf dem Bühnenboden nieder.
## Viel technischer Aufwand für wenig Effekt
Das ist so hübsch anzusehen wie vorhersehbar. Später hängt sie nur in der
Luft, schwingt zuweilen, man weiß aber nicht, ob das gewollt ist, als
zuckende, zitternde, winkende Hand von Gott, Maradona oder nur Regiegott
Fritsch vielleicht, oder ob schlicht die Arretierungsfunktion der Motoren
versagt und nachgesteuert werden muss. Es wird viel (technischer) Aufwand
für wenig Effekt betrieben. Beim Einbinden technischer Großgeräte in eine
Dramaturgie komischer Menschen muss Fritsch noch einige Forschungsarbeit
leisten.
Das zeigt sich auch beim Einsatz eines Gabelstaplers. Natürlich ist das zu
Beginn ein toller Effekt. Schauspieler werden auf den Zinken der Gabel
herumgefahren, in die Höhe gehoben, sogar an einer langen Stange gerieben.
Der Chor auf einer Europalette besitzt ebenfalls Charme. Dann aber wird zu
selbstverliebt auf dem Großgerät über die Bühne geflitzt, gedreht und
pirouettiert. Da ist keine Leichtigkeit des Nichts mehr, nur noch die
nervende Freude eines großen Jungen, der von einem neuentdeckten Spielgerät
nicht genug bekommen kann. Schade.
Trotz mancher Schwächen in der Mitte dennoch ein reizvolles Schau-Spiel –
und ein kontrapunktisches Erlebnis in Berlins Theaterlandschaft.
28 Mar 2018
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
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