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# taz.de -- Gute-Laune-Oper in Hamburg: Quietschbuntes Liebesexperiment
> Herbert Fritsch macht zum Saisonauftakt an der Staatsoper in Hamburg aus
> Mozarts „Così fan tutte“ Aufklärungstheater mit hohem Spaß-Faktor.
Bild: Die Opernbühne verwandelt Fritsch in ein knallig buntes Laboratorium. Un…
Zottelige Mäntel aus Kunstfell schleifen über den Boden, wenn sie nicht
gerade ins Flattern geraten, weil ihre Träger wieder wild zwei Frauen
umwerben. Guglielmo und Ferrando haben sich verkleidet. Auch mit Perücken:
Die hüftlangen Headbanging-Haarmatten fallen ins Gesicht, schließlich
sollen ihre Verlobten sie nicht erkennen, während sie baggernderweise deren
Treue testen.
So weit, so überschaubar – in digitalen Zeiten kann man schnell im
Internet, Dienstleistungen einer Treuetester-Agentur buchen. Doch Mozart
wäre nicht Mozart, wenn er, der Menschenkenner, nicht gemeinsam mit seinem
Textdichter Lorenzo da Ponte eine subtile Geschichte gestrickt hätte, die
es in sich hat. Denn das Treueexperiment hat mit Don Alfonso einen
Zeremonienmeister, der es genießt, wie das Hormonkarussell immer mehr ins
Rasen gerät und die Masken fallen. Am Ende werden alle ihre Unschuld
verloren haben.
Regisseur Herbert Fritsch schickt in seiner rasanten Hamburger Inszenierung
von Mozarts „Così fan tutte“ Don Alfonso als bösen Clown ins Rennen. Sein
weiß geschminktes Gesicht mit den roten Wangen und dem roten Punkt auf der
Nase verzieht er gern zum diabolischen Grinsen, die Hände in weißen
Handschuhen untermalen seine Worte und weisen vielsagend den Weg. Ferrando
und Guglielmo lassen sich auf eine Wette mit Don Alfonso ein und schon
müssen die jungen Männer tun, was er will. Zum Beispiel so tun, als ob sie
in den Krieg ziehen würden und dann wiederkommen in haarig-zotteligen
Kostümen als Yeti-Doubles.
## Buntes Bühnenbild
In der Hamburger Neuproduktion wird viel gelacht – aus Verlegenheit und
Panik, aus Lust und auch immer wieder aus Spaß an der Hinterlist. Manche
Lacher hat Mozart schon hineinkomponiert, noch mehr Gelächter hat die
Hamburger Neuproduktion hineingeschmuggelt. In den musikalisch freieren
Rezitativen stottern die Sänger zudem gern mal oder sie dehnen Laute. Don
Alfonso rattert seine Rezitative teilweise in einem aberwitzigen Tempo
runter.
Das amouröse Verwirrspiel mündet schnell in tatendurstiges Verhandeln: wer
nimmt wen? Dass die Verlobten, die Schwestern Dorabella und Fiordiligi,
keine erotischen Kostverächterinnen sind, machen sie gleich in ihrem ersten
Duett klar, wenn sie vorfreudig auf ihrem Sitz herumrutschen oder breit
grinsend das Date mit ihren Geliebten bekakeln.
Wirkten Guglielmo und Ferrando unverkleidet verklemmt, befreien sie sich in
Wallemantel und fransigem Ganzkörperanzug von Konventionen. Testosteron
liegt in der Luft, wenn sie ihre quasi-behaarten Körper anpreisen. In
Fritschs Inszenierung agieren alle mit vollem Körpereinsatz und wie mit
Ausrufezeichen. Da wird gewippt und gehüpft im Takt, da schwingen und
kreisen Hüften, Arme zucken, Füße tippeln. Die Energie der Musik fährt in
die Körper. Und auch in ein knallorangenes Cembalo, das in der Mitte der
Bühne steht und von Zeit zu Zeit wie ferngesteuert spielt: mal ruhiger, mal
rasend wie kurz vor der Explosion – ein Spiegel des Geschehens.
Fritsch hat sich dafür ein ganz eigenes Bühnenbild gebastelt. Ein
quietschbuntes Laboratorium: Die Wände changieren in allen
Regenbogenfarben, je nach Stimmung. Auf der Bühne lagern große,
mehrflächige Blöcke in vielen Bunttönen – ob Grellgrün, Leuchtgelb,
Königsblau oder Blutrot. Die Blöcke sind mal Sitz, mal Versteck, dann
wieder Stütze. Und für Despina, die Kammerzofe der Verlobten, werden die
Blöcke zur Slalomstrecke, wenn sie wieder wie aufgescheucht über die Bühne
fegt.
## Energiegeladenes Ensemble
Es gelingt Fritschs Inszenierung, aus dem Geist der Commedia dell’arte
trotz des hohen Grundtempos zur Ruhe zu kommen, wenn die Figuren ihr
Seelenleben ausbreiten. Fiordiligi verliebt sich ja wirklich in Ferrando,
den Verlobten ihrer Schwester. Dem geht das Ganze auch näher als erwartet.
Was diese Gefühlslagen für den Schluss bedeuten, daran haben sich schon
viele Regisseure und Interpreten abgearbeitet.
Auch wenn am Ende der ganze Budenzauber den Frauen erklärt wird und ein
Sinnspruch-Chor die alte Ordnung beschwört: Der Treuetest hinterlässt
Spuren. Hier bleibt Fritschs Haltung zu blass im Vergleich zu dem, was
zuvor die Bühne beben ließ. Auch vernachlässigt er, dass Mozart und Da
Ponte bewusst die Liebesverwicklungen in der Schwebe gelassen haben.
Das stimmig besetzte Solistensextett gibt alles – szenisch wie stimmlich.
Allen voran Tenor Dovlet Nurgeldiyev als Ferrando mit innigem Mozart-Ton
und Sopranistin Maria Bengtsson als Fiordiligi. Ihr virtuoser Gesang sucht
das Ausdrucksextrem, zumal Mozart dieser Figur Arien komponiert hat, die
inklusive barocker Affekt-Einsprengsel, großer Sprünge und langer
Leidenstöne tief hören lassen. Die schwedische Sopranistin schont sich
nicht, um diese Tiefenbohrung vorzunehmen.
Der Chor der Staatsoper Hamburg und das Philharmonische Staatsorchester
Hamburg tragen energiegeladen ihren Teil bei zu diesem
Gute-Laune-Saisonauftakt, angefeuert von Dirigent Sébastien Rouland.
Zeitloses Aufklärungstheater mit hohem Spaß-Faktor – die Empfehlung ist
klar: hingehen, allein schon, um Mozarts nach wie vor aufregende Musik zu
hören!
14 Sep 2018
## AUTOREN
Dagmar Penzlin
## TAGS
Staatsoper Hamburg
Herbert Fritsch
Mozart
Oper
Theater
Literaturwissenschaft
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