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# taz.de -- Slapstick am Burgtheater Wien: Gefährlich nah am Absturz
> Die Schwerkraft ist ein böses Tier: Herbert Fritsch inszeniert am
> Burgtheater Wien gewohnt quietschbunt und mit Momenten von Traurigkeit.
Bild: Mit blonden Zopfperücken und dicken Schnauzern tanzt das Ensemble
Rund zwanzig burgtheaterbedienstete SchauspielerInnen wienern mit weißen
Putzlappen, roten Schrubbern, roten Schuhen und roten Kopfbedeckungen den
ohnehin blitzblanken Bühnenboden – vor und zurück im Wiegeschritt. Ihre
Kittel im Erscheinungsbild der Firma „Alles sauber GmbH“ strahlen giftig
gelbgrün. Ist das gemeint als ein Vorgriff auf prekäre
KünstlerInnenexistenzen im Niedriglohnsektor, den die Rechtsregierung von
Kanzler Kurz jetzt auch in Österreich einführen will? Verschlüsselter
Protest gegen die Beschäftigungspolitik des künftigen Burgtheaterdirektors
Martin Kušej scheint diesmal aber nicht mitzuspielen.
Hier wird eher die pure Lust an einem Ballett der Dinge zelebriert. So
leicht sie ausschauen mag, erwächst sie nur aus präzisem Ensembledrill.
Gelbe Gummihandschuhe schnalzen nacheinander, graue Putzeimer werden im
alterierenden Takt auf den blanken Boden geschlagenen.
Immer wieder tanzt jemand zum gut gesetzten falschen Moment aus der Reihe.
Die Stoßrichtung des Extemporierens zielt eindeutig auf die Vorbühne und
führt in gefährliche Rampenabsturznähe. Spätestens hier würden auch
BetrachterInnen mit wenig Vorinformation verstehen, dass sie einer
Regiearbeit von Herbert Fritsch beiwohnen.
Mit dieser Assoziationsübung in maximaler Länge vom Stöckchen aufs Hölzchen
und wieder zurück – millimetergenau so, dass Langeweile gerade noch nicht
aufkommt, eröffnet Fritsch einen überbordend farbenprächtigen, darin dann
aber doch rätselhaft spröden Abend am Burgtheater, den er dem „Zelt“ in a…
seinen buchstäblichen wie übertragenen Bedeutungsschichten widmet.
## Widerstand der Dinge
Ein etwas fülliger Monsieur Tati mit angeklebtem Schnurrbart (Hermann
Scheidleder) tritt vor den in wechselnden Farben erleuchteten Rundhorizont.
Bettina Helmi (Kostüme) hat ihn in einen Steirerjanker aus hellgrauem
Walkfilz mit grünen Applikationen gepackt. Eine Teleskopgreifzange aus dem
Orthopädiefachgeschäft hilft ein kleines blaues Päckchen zu öffnen. Darin
verbirgt sich ein igluförmiges Zelt, das von zwei gekreuzten flexiblen
Stangen in der dritten Dimension gehalten wird. Stummfilmslapsticks treiben
den Schweiß auf die Stirn. Doch dann ist’s vollbracht.
Im Moment des Triumphs über den Widerstand der Dinge fliegen plötzlich
viele kleine blaue Zeltpakete aus der Einstiegsöffnung. Da muss ein Nest
sein. Ist es auch. Das gesamte Ensemble springt nacheinander aus dem
Bühnenuntergrund durch das Zelt nach oben.
Was sich als weiblich identifiziert, trägt blonde Zopfperücken, ein kurzes
Rüschenkleidchen mit Puffärmeln und adrette weiße Kniestrümpfe. Männer
haben angeklebte Schnurrbärte, dunkel geschminkte Augen, blasse Stirnen und
rote Backen. Ihre schnellen zackigen Bewegungen lassen sie flächig
erscheinen wie Pappfiguren zum Ausschneiden aus einem Laden für
Vintagespielzeug. Man fragt sich nur, wo jetzt die Hochräder und
Dampfmaschinen herkommen.
## Humor und Zwangsneurose
Der Humor der Väter der Klamotte und ihrer columbinenhaften Begleiterinnen
ist ausgesprochen zwangsneurotisch. Überall lauern sexuelle Konnotationen
in den Dingen, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Jedes längliche
Paket gewinnt phallische Qualitäten, jeder falsche Schnurrbart bleibt in
einer Rockrüsche hängen, was das jeweilige Funkenmariechen zunächst mit
einem lüsternen Augenrollen quittiert, um ihrem Galan sogleich eine zu
knallen.
Beim allgemeinen Zeltbau geht manches ins Auge und die eine oder andere
Zeltstange verhakt sich an einem Nasenflügel. Immer schön den Nippel durch
die Lasche, ihr wisst es ja. Das Fliegengitter macht die Objekte
zwischenzeitlich sogar zur Burka. Aber dann kehrt Ruhe ein in den Zelten.
Mückenschutzlampen leuchten in die Abenddämmerung. Das währt nicht lange.
Mit umgeschnallten Pfadfindergitarren und Quetschkommoden kehrt die Meute
wieder und nutzt diese als Perkussionsinstrumente. Es folgt ein fast
halbstündiger Säbeltanz für Clowns. Den Wettstreit zirzensischer
Überbietung orchestriert der virtuose Geräuschemacher des Abends (Matthias
Jakisic).
## Posthumane Fantasie
Wieder ein Moment der Ruhe. Die Zelte heben und senken sich manipuliert aus
dem Schnürboden vor dem nun wasserblau erleuchteten Rundhorizont wie
Lampions, die beim vietnamesischen Vollmondfest ins Meer ausgelassen
werden. Es dämmert eine tiefere Einsicht über die kinetische Fantasie des
Herbert Fritsch. Sie ist in Wahrheit posthuman. Die von ihr elektrisierten
Körper können doch nicht fliegen. Die Schwerkraft ist und bleibt ein böses
Tier. Das durchsetzt den ganzen Trubel mit stillen Momenten von
Traurigkeit.
Die Zelte senken sich, heben sich wieder. Die SpielerInnen stecken nun als
Beckett-Figuren versunken bis zum Hals im Bühnenboden. Dann ist Schluss.
Zur Applausordnung schwebt der Meister höchstselbst mit blonder Perücke und
roten Kleidchen aus dem Schnürboden. Viel Beifall für Virtuosität. Aber was
will sie? Ein Bild malen für die scheidende Burgtheaterdirektorin Karin
Bergmann – ist doch auch schön.
1 May 2019
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
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