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# taz.de -- „Die Bakchen“ am Wiener Burgtheater: Ekstasen im Viervierteltakt
> Die Tragödie „Die Bakchen“ von Euripides bekommt am Wiener Burgtheater
> ein Update. Regisseur Ulrich Rasche macht Dionysos zum Wutbürger.
Bild: Auf den Laufbändern marschieren und skandieren die Schauspieler im Gleic…
Theben ist am Wiener Burgtheater ein portalfüllender Geschützturm.
Hydraulik hebt, senkt und dreht die dunkle Masse aus Stützen, Trägern,
Kolben und Getrieben im gleißenden Seitenlicht vor schwarzem
Bühnenhintergrund langsam und stetig, tilgt selbst noch den zartesten
Gedanken an Widerstand. So wappnet Ulrich Rasche in seiner Inszenierung von
„Die Bakchen“ die Stadt gegen drohende Zersetzung durch das Rauschhafte,
Fließende, Allversöhnende, eben Dionysische, mit dem Euripides in seiner
letzten nachgelassenen, im Jahr 405 vor unserer Zeitrechnung aufgeführten
Tragödie die Verhältnisse zum Tanzen bringt.
Die Dicke Theater-Bertha feuert keine Projektile in den Schnürboden. Sechs
schwarze Laufbänder setzen sich nach und nach in Bewegung. Darauf werden
SchauspielerInnen unablässig schreitend sich auf Abgründe zubewegen, die
diese Höllenmaschine im Dunkeln lässt, gebremst nur von der Gegenläufigkeit
der Bänder. Der Takt der Schritte wird auf ihren Atem übergreifen, die
Worte trennen, die Silben dehnen und in den leeren Raum hinausstoßen.
Der Schauplatz Theben, den der antike Dichter seinem Athener Publikum als
das Andere ihrer Selbst vorführt, ist bis zur Unterlippe gewappnet gegen
jeden äußeren Feind. Aber es wird sich wehrlos erweisen gegen den Feind im
eigenen Kopf und im eigenen Bett. „Die Bakchen“ entdecken für das Theater
mehr noch als „König Ödipus“ früh die Wirkungsmacht des Unbewussten.
## Aufklärungskritik
Im Reich des jungen thebanischen Soldatenkönig Penteus (Felix Rech)
herrscht Vernunft. Aber tut sie das auch aus vernünftigen Gründen und mit
vernünftigem Ausgang? Womöglich hat Euripides, der mit dem politischen
Athen, dessen Weg zur Großmacht und wieder zurück, nie ganz einig war und
zuletzt ins Exil ging, ein Stück Aufklärungskritik avant la lettre
hinterlassen.
Vernünftig ist Pentheus alles, was in der hierarchischen Ordnung der Dinge
machbar erscheint, vor allem militärisch. Alles andere stört, das
Uneindeutige, das Ambivalente, das Dazwischen, die Frauen, die Anderen.
Genau das aber bricht in einer religiösen Erweckungsbewegung von Osten her,
von woher sonst, über die Stadt herein. Dionysos (Franz Pätzold), der
„kommende Gott“, verheißt eine Daseinserfahrung jenseits moralischer
Kategorien, Gemeinschaft ohne gesellschaftliche Konvention, Versöhnung mit
den Trieben.
## Empfänglich sind vor allem die Frauen
Empfänglich für die Botschaft, die hellhäutige Männer mit Grundbesitz in
Theben das Fürchten lehrt, sind vor allem die Frauen der Stadt, die fortan
als Mänaden in die Berge ziehen. Die Antwort der Herrschenden ist
Repression – und Neugier. Zudem ist das ganze eine Familienangelegenheit.
Der Gott, der in der eigenen Stadt nichts gilt, ist der Enkel des
Stadtgründers Kadmos (Martin Schwab).
Die Rache wird fürchterlich sein, das Konzept göttlicher Allmacht verteilt
Gnade nicht nach dem Verdienst der Menschen. Pentheus, der als Spanner im
Tannenbaum sitzt, um dem differenzfeministischen Ringelreihen der Mänaden
verbotene Blicke abzugewinnen, wird von der eigenen Mutter Agaue (Katja
Bürkle) im Rausch zerrissen.
Verzweifelt, aber ohne schnellen Vorwurf führt Kadmos Agaue in einer
talking cure aus ihrer Wahnepisode in die Wirklichkeit zurück. Seit diesen
Sätzen ist Bewusstsein, das von sich weiß, nur aus der Erkenntnis der
eigenen Schuld zu gewinnen. Martin Schwab und Katja Bürkle lassen hinter
dem Viervierteltakt Theater als komplexes Zeichensystem für einen
glückhaften Moment wieder durchscheinen.
## Der postmodernen Ironie den Garaus machen
Rasches Exerzierreglements im stundenlangen Gleichschritt zum Trommelschlag
(Perkussion: Katelyn King) verfolgen langfristig ein Programm. Es will
nichts weniger als der postmodernen Ironie im Theater den Garaus machen.
Hohe Form kann wiedergewonnen werden, aber nur durch die Arbeit von Körpern
und Maschinen, die sie der Idealität entreißt und auf dem Boden ihrer
Trümmer neu erstehen lässt.
Auch Pathos ist möglich, aber es stinkt fortan nach Schweiß und Getriebeöl.
Die lustvollen Abbrucharbeiten setzen sich fortlaufend selbst aufs Spiel in
der Gratwanderung zwischen dem Versprechen neuer Denkräume hinter den
Trümmern der Konvention und einem Rückfall in die wohlige Trance ihrer
Monotonie.
Was „Die Bakchen“ von der dunklen Seite der Vernunft wissen, ergreift
Rasche in Wien seltsam unterkomplex nur mit der Kneifzange. Als bloße
Ausgeburt menschlichen Geistes wäre die Religion umso mehr zu fürchten.
Über der Uniformität seiner Schrittfolgen sind Rasche Unterscheidungen
verloren gegangen. Dionysos tritt auf als zu kurz gekommener Wutbürger, dem
die Textbearbeitung den Jargon der Eigentlichkeit und moderne Abstrakta wie
„Identität“ in den Mund legt.
Die „thymotischen Energien“, von der die intellektuellen Ausläufer der AfD
schwafeln, sind in marodierenden weißen Männerhorden zweifellos andere als
in den Resten mutterrechtlicher Spiritualität, so sehr „mann“ sie beläche…
mag. Die Aufführung verkennt schlicht das Fortwirken der
Geschlechterdifferenz im Diskurs der Macht. Rasches Mänaden beiderlei
Geschlechts tanzen nicht, sie marschieren und stampfen. Der Glanz ihres
Chorkörpers ist schwitzend und heldenhaft männlich, die Brüste der Frauen
sind von fleischfarbenen Trikots weggebunden wie ein Makel. Der misogyne
Mief männlicher Machtroutinen durchströmt die ganze Apparatur. Große
Zweifel, ob das alles jemals so gemeint war.
17 Sep 2019
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Burgtheater Wien
Ulrich Rasche
Euripides
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Theatertreffen Berlin
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