# taz.de -- Missglückter Kassenschlager: Vor sich abnutzender Kulisse | |
> Die Staatsoper Hamburg eröffnet die Saison mit einer Neuproduktion von | |
> Mozarts „Zauberflöte“ – und sorgt für einen Buh-Sturm. | |
Bild: Ein Sog, der nicht alle erfasst hat: Die Zauberflöte | |
Ihre Melodien sind zum Mitsingen – und doch ist und bleibt „Die | |
Zauberflöte“ rätselhaft. Wolfgang Amadeus Mozarts letzte Oper hat jetzt an | |
der [1][Staatsoper Hamburg] die neue Saison eröffnet und gleich bei der | |
Premiere für einen Sturm von Buh-Rufen gesorgt. Die Inszenierung von Jette | |
Steckel versucht, die Widersprüche des Stücks für ein biografisches | |
Stationendrama zu aktivieren. Vergeblich: Trotz greller Licht-Show zündet | |
das Ganze nicht. Die Neuproduktion überzeugt dagegen vor allem musikalisch. | |
Tamino ist einer von uns und stirbt gleich zu Beginn: Herzinfarkt in der | |
ersten Zuschauerreihe! Das Notarzt-Team rollt ihn auf einer Liege direkt | |
ins ewige Licht. Und flugs verwandelt sich der bärtige Senior wieder in | |
einen Säugling. Die drei Damen im Dienst der Königin der Nacht treten als | |
Nonnen auf. Tamino wächst offenbar in einem Kloster auf. | |
Und so erzählt Jette Steckel die Zauberflöte als Gang durch Taminos Leben. | |
Dafür streicht sie immer wieder Dialoge aus dem Original, um mit vielen | |
Licht-Spielereien biografische Wendepunkte anzusteuern. Unzählige Vorhänge | |
aus LED-Lichterketten liefern eine grell blinkende Kulisse, sie wirken wie | |
Pixel in einem gigantischen Computerspiel. | |
Pamina, die große Liebe in Taminos Lebens, springt als Lichtgestalt in | |
dessen Sinn. Labyrinthe, Muster, Weltraum-Bilder – alles lässt sich mit den | |
blinkenden Kugeln zaubern. Auf Dauer strapaziert das Ganze allerdings die | |
Augen, zumal diese kalte Ästhetik sich abnutzt. Und die Sänger geraten in | |
den Schatten, wo sie oft rumstehen oder auf der Stelle laufen, während die | |
Drehbühne rotiert. Intensive Interaktion bleibt die Ausnahme. | |
Die Königin der Nacht und ihr Gegenspieler Sarastro treten nicht auf der | |
Bühne auf. Während sie ihre Arien im Orchestergraben singen, werden per | |
Videokamera ihre Gesichter als holzschnittartige Konterfeis auf die Bühne | |
projiziert. Beide Figuren werden so zu Handlungsprinzipien, zu inneren | |
Kräften, die sowohl in Tamino als auch in Pamina wirken. | |
Ihren gemeinsamen Gefährten Papageno, der quirlige Vogelfänger im Original, | |
macht Jette Steckel zum Außenseiter, zum Aussteiger mit Dreadlocks. Auch er | |
turnt zu Beginn als Kind und Halbstarker über die Bühne – aus dem | |
Ghettoblaster scheint seine Auftrittsarie zu tönen: „Der Vogelfänger bin | |
ich ja.“ Später lebt Papageno im Pappkarton. Und die Inszenierung lässt ihn | |
ganz nah ans Publikum ran. Am Ende des ersten Aktes animiert Papageno etwa | |
das Publikum zum Mitsingen. | |
Der britische Bariton Jonathan McGovern belebt das verkopfte Konzept, indem | |
er ungeachtet all der Spezialeffekte mit Herzblut singt und spielt – | |
ziemlich nassforsch und nahbar. Er findet stark gealtert am Ende sein | |
weibliches Pendant. So wie Tamino und Pamina als Greise – nach vielen | |
Lebensprüfungen – gemeinsam ihren Weg vollenden. Der turkmenische Tenor | |
Dovlet Nurgeldoyev und die Sopranistin Christina Gansch singen | |
herzergreifend schön. | |
Überhaupt ist das Gesangsensemble erfreulich besetzt. Ob Christina Poulitsi | |
als Königin der Nacht mit glasklaren Koloraturen oder Dietmar Kerschbaum | |
als fieser Monostatos im Joker-Look. Mit weißgeschminktem Fratzengesicht | |
und seiner chronischen Angriffslust ist er auch darstellerisch eine Wucht. | |
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielt unter Leitung von | |
Jean-Christophe Spinosi einen peppigen Mozart – mit Tempo, Zwischentönen | |
und viel Ausdruck. | |
Mozarts Zauberflöte gehört laut Bühnenstatistik zu den Kassenschlagern. Und | |
diese Oper gilt als Einstiegsdroge für potenzielle Opernfans. Natürlich ist | |
es gut, an der Staatsoper Hamburg nach über 30 Jahren eine Neuproduktion | |
anzusetzen, auch wenn die bisherige Inszenierung des Künstlers Achim Freyer | |
von zeitloser Schönheit war. Jette Steckels letztlich recht poesieloses, | |
blutarmes Stationendrama kann da nicht mithalten. Die Inszenierung zerstört | |
nicht den Charme des Stücks. Vieles wird jedoch zu sehr verpixelt, | |
abgeflacht. Schade. | |
Nächste Aufführungen: 27. und 29. September sowie 3., 6. und 12. Oktober | |
27 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.staatsoper-hamburg.de | |
## AUTOREN | |
Dagmar Penzlin | |
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