# taz.de -- Neue Oper: Verdoppelte Schnapsidee | |
> In einer „Minibar“ lassen Stipendiaten der „Akademie Musiktheater heute… | |
> frustrierte Mittelständler eine Revolution einfordern. | |
Bild: Verbogener Bildrand: Ein Abend im Rausch. | |
HAMBURG taz | Mit Schnapsideen ist das so eine Sache. Sie entstehen meist | |
in angenehmer Gesellschaft und guter Stimmung. Alkohol oder andere | |
Substanzen steigern die Euphorie und senken die Kritikfähigkeit herab. Ob | |
eine Idee wirklich etwas taugt, gilt es dann am nächsten Morgen zu | |
überprüfen, wenn der Kater nachlässt. Die 15 jungen Theaterschaffenden der | |
„Akademie Musiktheater heute“, die vor zwei Jahren während ihres | |
Stipendiums in Madrid weilten, haben an ihrer Schnapsidee festgehalten. | |
Die Initialzündung zu ihrer jetzt uraufgeführten Oper „Minibar“ bildete e… | |
gemeinsamer nächtlicher Barbesuch in der spanischen Hauptstadt. Das | |
Setting, das sie sich damals bei zunehmender Feierfreude ausdachten, | |
bestand aus einer Bar, in der sieben Menschen zufällig aufeinander treffen | |
und emotional eskalieren. Die Produktion markiert den Auftakt einer | |
Partnerschaft zwischen der Deutschen-Bank-Stiftung und der Hamburgischen | |
Staatsoper. Die Premiere am 19. Februar in der Opera stabile war gut | |
besucht, nur wenige Stühle blieben leer. | |
„Minibar“ ist das Ergebnis gebündelter Gruppenarbeit. Änne-Marthe Kühn h… | |
die von mehreren Autoren beigetragenen Texte und Dialoge zu einem Libretto | |
zusammengefasst und es an zwei Teams übergeben. Sven Daigger komponierte | |
dazu eine „sitcom opera in 14 episodes“, Manuel Durão schrieb eine | |
„musikalische Farce“. Doppelt besetzt wurden somit außerdem die | |
musikalische Leitung, die Inszenierung und das Bühnenbild. | |
Als sichtbarer Zusammenhalt für beide Teile von „Minibar“ dient eine | |
auffällige Gestaltung des Bühnenbodens und der Wände der Opera stabile. | |
Eine optische Täuschung, die auf einem einfachen geometrischen Muster | |
basiert, gaukelt dem Zuschauer beim Betrachten des Geschehens auf der | |
Arena-artigen Bühne in der Mitte des Raumes eine verzerrte | |
Hintergrundwahrnehmung vor. Der jeweilige Bildrand „verbiegt“ sich, egal | |
wohin man blickt, als wäre man schon reichlich beschwipst. | |
Andere Aspekte der Inszenierung lassen diese Pfiffigkeit leider vermissen. | |
Ist zum Beispiel mit der angedeuteten Bar-Atmosphäre nicht etwas schief | |
gelaufen, wenn sie eher das Sprechzimmer eines Plastischen Chirurgen in | |
Eppendorf assoziieren lässt oder den Wartesaal eines großen alten Bahnhofs? | |
Halbwegs geglückt wirkt dagegen der Versuch, den nicht ganz einfachen | |
Inhalt des Stücks zu vermitteln: das Schicksal von sich selbst zu Tode | |
optimierenden Mittelschichtlern in einer neoliberalisierten | |
Leistungsgesellschaft; ihre kaputte Kommunikation, Selbstbezogenheit und | |
Autoaggression, Ignoranz und Maskerade, Vereinzelung und Vereinsamung; die | |
Suche nach tieferem Sinn und die Sehnsucht nach wahrem Glück. | |
Ein komplexes Themenfeld, das in nur 90 Minuten und mit relativ wenig Text | |
schwer zu greifen und abzubilden ist. Vielleicht haben die | |
Akademie-Stipendiaten etwas zu viel gewollt – aber sich an zu hoch | |
gesteckten Zielen zu übernehmen, ist immer noch sympathischer als von | |
Anfang an zu wenig zu wollen. | |
Im zweiten Teil von „Minibar“ soll die Figur des „Hörgerätemanns“ die | |
anderen Protagonisten dazu bringen zu lernen, einander wieder zuzuhören, | |
anstatt sich ständig nur mit sich selbst und den eigenen Problemen zu | |
beschäftigen. Das ist eine Metapher, die einen unweigerlich anspringt. Doch | |
wer die Gefühlswallungen, die gegen Ende des Stücks in einer hilflosen | |
Forderung nach „Revolution (irgendwie)“ münden, einigermaßen verstehen | |
möchte, sollte vorher besser das Programmheft zu Rate ziehen. | |
Neben den Sängerinnen und Sängern, darunter Gabriele Rossmanith als | |
„Alleinerziehende“ und Daniel Todd, der als „besoffener“ Tenor erstaunl… | |
authentisch agiert, sorgen vor allem die vom Berliner Zafraan-Ensemble | |
umgesetzten Kompositionen für angenehme Überraschungen. Manuel Durãos | |
„musikalische Farce“ amüsiert durch Anleihen bei Schlager, Pop und Muzak. | |
Ausgesprochen leichte Kost also, die in diesem Kontext allerdings ungewohnt | |
ist und in der dargebotenen Konsequenz schon wieder provokatives Potenzial | |
hat. | |
Im Kontrast dazu bestimmen sehr dynamische und unruhige Klänge die vierzehn | |
Episoden der „sitcom opera“. Sven Daiggers Musik flitzt mal in aller Hektik | |
am Jazz vorbei, mal liegt sie fast in Fetzen darnieder. Und wenn die | |
Bargäste in einem Anflug von manisch gekünstelter Freude zu einem | |
rhythmisch vertrackten „Prosit!“ aufrufen, lassen die Musiker kurz von | |
ihren Instrumenten ab und sprechsingen im Chor: „Hahaha, hehehe, hui ui, | |
Sekt, Bier, Schnaps, Hasch …“ | |
Rausch, Optical-Art und clevere Musik – das sind interessante Zutaten für | |
einen Opernabend. „Minibar“ mag zwar zuweilen etwas altklug daherkommen, | |
aber darüber kann man noch hinwegsehen. Und dass dieses Projekt, das sich | |
scheinbar Neoliberalismuskritik (irgendwie) auf die Fahne geschrieben hat, | |
ausgerechnet von der Stiftung der Deutschen Bank ermöglicht wurde, ist wohl | |
einfach bittere Ironie. Wer sich daran nicht stört: Flachmann nicht | |
vergessen! Dann kommt das mit der optischen Täuschung richtig gut. | |
26 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Michele Avantario | |
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