# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Jubel der Geschlechter | |
> Im Leistungssport werden bei Erfolg unterschiedliche Fratzen- und | |
> Hampelgesten vollführt. Männer und Frauen verhalten sich unterschiedlich. | |
Bild: Spiderman-Jubel: Der damalige Herthaner Änis Ben-Hatira nach seinem 1:0 … | |
Als die Tennisspielerin Angelique Kerber am vergangenen Samstag nach dem | |
gewonnenem Matchball bei den Australian Open fassungslos erst umfiel und | |
danach so schön ratlos war vor der erdrückenden Kraft dieses Moments, kamen | |
mir auch ein paar Tränen. Ich wusste nicht recht, ob ich sie vor meinem | |
Sohn Lionel (9) zeigen sollte. | |
Der saß da staunenden Auges, freute sich und bejubelte anschließend die | |
unterlegene Serena Williams. Wie die sich gefreut hatte mit Kerber! Seinem | |
Kumpel Anton erzählte er nachher, dass Williams seine Lieblingsspielerin | |
geworden sei. Jubel, Empathie, dazu große authentische Gesten der | |
Verliererin – auch wenn bei jemandem aus den Vereinigten Staaten von | |
Hollywood Restzweifel immer bleiben. | |
Sehr ergreifend das alles. Tags später die Handball-Männer: Bei jedem Tor | |
aufgerissene, verzerrte Münder, die mit etwas kulturellem Wohlwollen an | |
Edvard Munchs „Der Schrei“ erinnerten. Ein Machogesicht nach dem anderen. | |
Soll Entschlossenheit bekunden und anstachelnd wirken. Meinetwegen. | |
Sympathisch ist das nicht. | |
Jetzt zum Bundesligawochenende wird es ähnlich ätzend weitergehen. Lassen | |
wir den geplant-inszenierten Torjubel weg wie die alberne Baby-Schaukel, | |
den Kuss auf Ehering oder Unterarm, die Fotogesten, Daumenlutscher, die | |
Salti. Und nehmen stattdessen den weitgehend spontanen Alltagsjubel: Wieder | |
wird es diese abstoßenden Fratzen geben. Heraushängende Zungen dazu, affig, | |
verzerrt, wirr. Wie Gefangene, die plötzlich befreit sind. | |
Der Exwolfsburger Diego (und andere auch) gab mal zu Protokoll: „Ein Tor zu | |
bejubeln ist wie ein Orgasmus.“ Neurologen nicken das ab: Der Botenstoff | |
Dopamin wird wie beim Sex plötzlich und heftig in die Nervenbahnen | |
geschüttet. Die Folge: Wohlbefinden, Glückskaskaden, Rausch. Von | |
„Explosionen im Körper“ nach Torerfolg spricht der Geck Cristiano Ronaldo. | |
Die Folge: Fratzen. Auch Trainer im „Testosterongeschäft Fußball“ (Katja | |
Kraus) werden erfasst: etwa Jürgen Klopp, der jetzt in Liverpool das | |
Gesicht verzerrt, falls seine Mannschaft mal trifft. Machen Männer im Bett | |
auch so ein Gesicht? | |
Wenn Simone Laudehr nach wichtigem Tor ihr Trikot hochzieht und ihr | |
Bauchmuskelarrangement entblößt, sieht man dabei ein glückseliges Gesicht. | |
Das gleiche Dopamin, aber: ganz andere Reaktion. Tiefenpsychologisch gilt | |
beim Manne der ödipale Konflikt als Motivationsquelle. Demnach ist das | |
gegnerische Tor das Objekt der Libido. Diesmal ist nicht mehr der Vater der | |
gemeine Zielverhinderer, sondern die gegnerische Abwehr. | |
Vulgärpsychologisch sind die Parallelen noch schlichter erklärt: Das | |
Ballgeschoss sei ein Schwanzsymbol und das erzielte Tor der „Orgasmus des | |
Fußballs“, schrieb Eduardo Galeano einmal. Luisa Francia sieht einen | |
Initiationsritus: „Fußball illustriert die einzige gemeinsame Aufgabe aller | |
männlichen Erdbewohner: befruchten. Bring ihn rein. Irgendwie. Überwinde | |
die Abwehr. Kämpf dich durch.“ Und dann: triumphal herumhampeln. | |
Zum sexuellen Zusammenhang passt, dass es ihn bei fußballernden Kindern | |
nicht gibt. Lionel gibt bei seiner E-Jugend nach Torerfolg den Supercoolen. | |
6 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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