# taz.de -- Angelique Kerber über Erfolg im Tennis: „Es war ein mühsamer Pr… | |
> Den WM-Titel in Singapur hat sie knapp verpasst. Angelique Kerber über | |
> ihren Durchbruch, den Sieg und über Selbstzweifel. | |
Bild: Angelique Kerber hat genug vom gelben Filzball und von dem ewigen Herumge… | |
taz: Frau Kerber, seit Sie die Nummer eins der Welt sind, sind Sie von | |
Interview zu Interview geeilt. Welche Frage können Sie nicht mehr hören? | |
Angelique Kerber: Ich finde keine Frage schlimm. Ich beschwere mich ja auch | |
nicht, dass ich jetzt Aufmerksamkeit finde. Auch dafür habe ich immer | |
gekämpft: Anerkennung für meine Leistung zu kriegen. | |
Sie haben sich in diesem Jahr viele Ihrer größten Träume erfüllt. Wie hat | |
Sie das als Mensch und Sportler verändert? | |
Als Mensch habe ich mich gar nicht verändert. Als Spielerin bin ich viel | |
selbstbewusster geworden. Ich weiß, was ich kann. Ich weiß, dass ich große | |
Leistungen in großen Spielen zeigen kann. Das Gefühl, seine ganze Karriere | |
gedreht zu haben, ist auch ein ziemlich gutes Gefühl. | |
Gedreht? | |
Mir ist nichts geschenkt worden. Ich bin durch einige tiefe Täler | |
marschiert, bevor es dann aufwärtsging. Zwischendurch hatte ich selbst den | |
Glauben verloren, dass es nach oben gehen kann für mich. Es ist schon eine | |
verrückte, aber auch wunderbare Geschichte, diese letzten fünf Jahre vom | |
Fastaufhören bis auf Platz eins. | |
Grand-Slam-Siege, olympisches Silber, der Sprung auf Platz eins und am | |
Sonntag WM-Zweite nach einer Zweisatzniederlage gegen die Slowakin | |
Cibulkova – das hat Sie zu einer Marke gemacht. Stimmt es, dass Sie gar | |
nicht gern in der Öffentlichkeit stehen? | |
Ich war niemand, der sich früher in den Mittelpunkt drängte. Der diese | |
Öffentlichkeit unbedingt brauchte. Aber ich genieße jetzt auch mal eine | |
schöne Feier, einen tollen Event. Das ist für mich auch eine Belohnung für | |
die harte Arbeit, die ich investiere. | |
Berühmte Vorgänger wie Steffi Graf oder Boris Becker klagten auf der Höhe | |
ihres Ruhms über ein Leben im goldenen Käfig. Wie sind Ihre Erfahrungen | |
bisher? | |
Ich fühle mich nicht gefangen, auf keinen Fall. Ich will mich da auch nicht | |
mit Steffi oder Boris vergleichen. Natürlich war der Rummel gerade nach dem | |
Australian-Open-Sieg unheimlich groß, da stürzte eine Welle über mich | |
drüber, es war wirklich überwältigend. Aber du musst das als Teil des Jobs | |
akzeptieren, wenn nicht, hast du ein Problem als Spitzenspielerin. | |
Als Nummer eins, auch vorher als Top-Ten-Spielerin kann man sich nie | |
zurücklehnen, verschnaufen, ausruhen. Es gibt auch unzählige | |
Verpflichtungen neben dem Centre Court. | |
Anfangs ist das eine enorme Belastung gewesen, etwas völlig Neues, | |
Ungewohntes. Nun habe ich das sehr gut im Griff, auch weil man gewisse | |
Automatismen entwickelt, nicht soviel Kraft investieren muss. Vieles läuft | |
einfach wie von selbst ab. Aber ich klage nicht darüber: Ich wollte dahin, | |
und nun erfülle ich da auch meine Pflichten. | |
Dieses Programm auf und neben dem Platz, das geht an die Substanz. | |
Ganz klar. Es ist eine neue Welt, in die man hineingeschleudert wird. Und | |
man muss sich schnell zurechtfinden, sich so aufstellen, dass man | |
klarkommt. Und man muss auch schnell lernen, Nein sagen zu können. | |
Sind Sie misstrauischer geworden im Umgang mit anderen Menschen? | |
Ich hoffe nicht. Ich spüre umgekehrt auch keinen Neid mir gegenüber. Oder | |
jemanden, der mir den Erfolg nicht gönnt. | |
Sie gelten ja als Perfektionistin, die sich selten mit dem Erreichten | |
zufrieden gibt. Wie blicken Sie aufs Jahr 2016 zurück? | |
Ich war immer äußerst ehrgeizig, hatte sehr hohe Ansprüche an mich selbst. | |
Das war auch nötig, um es überhaupt in das Profitennis zu schaffen. Es ist | |
wichtig, immer das Beste zu wollen, auch wenn man nicht immer das Beste | |
schafft. Und man muss aufpassen, dass da kein lähmender Druck oder eine | |
Verkrampfung entsteht. Ich brauchte meine Zeit, bis ich meine Ambitionen in | |
die richtige Richtung lenken konnte. Das Jahr 2016? Es war perfekt. Einfach | |
grandios. | |
Jahrelang litten Sie in wichtigen Spielen unter eigenem oder öffentlichem | |
Erwartungsdruck. Wie sind Sie diese Last losgeworden? | |
Ich denke, durch meine bessere Fitness. Durch ein besseres Körpergefühl | |
habe ich eine ganz andere Statur gekriegt. Tennis ist heute physisch so | |
anspruchsvoll geworden, da brauchst du diese Gewissheit, jedes noch so | |
harte Duell durchstehen zu können. Es war ein langer, mühsamer Prozess, | |
auch den Druck abschütteln zu können, mehr Lockerheit und Gelassenheit zu | |
finden. | |
Sie haben früher auch mit einem Mentaltrainer gearbeitet. Wie hilfreich war | |
das für Sie? | |
Mir hat das geholfen, ganz sicher. Du kannst aber noch hundertmal Tipps und | |
Ratschläge bekommen – auf dem Platz bist du ganz allein. Der einsamste | |
Mensch überhaupt. Diese mentale Stärke jetzt – die kommt aus der Summe | |
aller emotionalen Erfahrungen. Du lernst aus Siegen, aus Niederlagen, aus | |
allem, was in dieser verrückten Tenniswelt mit dir passiert. | |
Denken Sie manchmal: Wäre ja ganz schön gewesen, schon Anfang 20 weiter | |
gewesen zu sein? | |
Nein. Ich finde es genau richtig, wie es gekommen ist. Dieses Jahr 2016 war | |
der Zielpunkt meines langen Marschs. Und was auf diesem Marsch passiert | |
ist, will ich auch gar nicht missen. Es ist heute ganz normal im Tennis, | |
dass die großen Erfolge erst später kommen, manchmal sogar jenseits der | |
dreißig. | |
Andere spielten vor Ihnen die Hauptrolle in der Öffentlichkeit, Ihre | |
Freundin Andrea Petkovic, dann auch Sabine Lisicki. Gab es da auch mal | |
Neidgefühle? | |
Gar nicht. Ich habe mich über die Siege gefreut, aber für mich gedacht: | |
Mensch, das kannst du doch auch schaffen. Es war immer ein gesunder | |
Konkurrenzkampf zwischen uns, eine positive Rivalität. | |
Von der Mitte der Saison 2011, als Sie in einer Krise aufhören wollten, bis | |
zu den Erfolgen dieses Jahres: Was war der entscheidende Faktor für diesen | |
Aufschwung? | |
Dass ich nie, nie, nie aufgegeben habe, auch wenn es schwer war für mich. | |
Und dass ich Menschen um mich herum hatte, die an mich geglaubt und die | |
mich ohne Wenn und Aber unterstützt haben. | |
Sie umgeben sich im Team Kerber nur mit vertrauten Gesichtern, die Sie, wie | |
Trainer Torben Beltz, schon seit Jugendtagen kennen. Was steckt dahinter? | |
Wenn man soviel Zeit zusammen verbringt in einem langen, langen Tennisjahr, | |
dann muss man sich sportlich und menschlich verstehen. Sonst hat man | |
schnell ein Problem. Der Erfolg hat auch mit dem absoluten Vertrauen zu | |
tun, das man im Team untereinander hat. | |
Sie reisen fast das ganze Jahr durch die Welt, kreuz und quer durch | |
Zeitzonen und über Kontinente hinweg. Wird man dieses Nomadendaseins nicht | |
auch mal überdrüssig? | |
Unser Arbeitsplatz ist die Welt, deshalb reisen wir 35, 40 Wochen umher. | |
Und was nicht zu verändern ist, muss man akzeptieren. Als Topspielerin muss | |
man aber mehr denn je aufpassen, seinen Turnierkalender gut einzuteilen und | |
sich auch die nötigen Pausen zu gönnen. | |
Wie schwer ist es, sich am Ende dieser langen, mörderischen Saison noch für | |
die WM hier in Singapur zu motivieren? | |
Es war das schönste, aber auch härteste Jahr meiner Karriere. Aber alle | |
Spielerinnen spüren diese Saison in den Knochen. | |
Danach können Sie endlich mal länger in Urlaub gehen? Können Sie in den | |
Ferien total abschalten? | |
Abschalten, das geht nicht auf Knopfdruck. Es braucht immer seine Zeit, bis | |
man von diesem massiven Stress herunterkommt – zwei, drei Tage dauert das | |
auf jeden Fall. Und dann merkst du aber, da sitzt jetzt eben keiner mehr | |
hinter dir, der sagt: Essen! Kraftraum! Training! Plötzlich wird alles | |
entspannter, man schläft besser, man denkt auch nicht mehr dauernd an | |
Tennis. | |
30 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Jörg Allmeroth | |
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