| # taz.de -- Fußballmanagerin Katja Kraus zur WM: „Özils Kern ist das Nicht-… | |
| > Mesut Özil als Marke: Deutschlands einzige Fußballmanagerin Katja Kraus | |
| > über die Klischees von doofen Kickern und zu viel Testosteron. | |
| Bild: „Politiker haben die Möglichkeit, ihre Haltung zu zeigen. Für die Spo… | |
| taz: Frau Kraus, was in der Erdoğan-Diskussion nie erwähnt wird, ist für | |
| Sie das 1x1 Ihres Fußballagenturjobs: Weltmarken wie Mesut Özil bedienen | |
| unterschiedliche Märkte, [1][sein Erdoğan-Bekenntnis] zielte auf einen | |
| national geprägten türkischen Markt. | |
| Katja Kraus: Sie unterstellen, dass die Begegnung kalkuliert war, um | |
| wirtschaftliche Interessen zu unterstützen. Das kann ich mir, zumindest für | |
| die beiden Spieler, mit diesem Maß an strategischem Herangehen nicht | |
| vorstellen. Bewusstes Handeln hieße ja dementsprechend, die Brüskierung | |
| eines mindestens ebenso wichtigen Zielmarktes in Kauf zu nehmen. | |
| Was glauben Sie? | |
| Was ich mir gut vorstellen kann, ist eine innere Auseinandersetzung mit | |
| Zugehörigkeit und Identität. Und die Not, darin allem gerecht zu werden. | |
| Vor einigen Jahren habe ich einem Werbefachmann zugehört, der Mesut Özil | |
| beriet und erklärte, der Kern der Marke Mesut Özil sei, sich nicht zu | |
| bekennen. Das hat mich überzeugt und ist mir seither in vielen Formen | |
| begegnet. | |
| Fehlendes Profil als Markenkern? | |
| Es klingt paradox. Aber ich fand es in mehreren Dimensionen interessant. Es | |
| ist sehr aktuell in einer Zeit, in der viele Jugendliche einen | |
| Bekenntnisdruck verspüren, den sie aber nicht leisten wollen. | |
| Was diese an Özil schätzen, ist also das, was wir kritisieren: Dass er | |
| außerhalb des Spielfeldes kein ‚Charakter‘ zu sein scheint und anscheinend | |
| nur Playstation spielt. | |
| Belegt es, dass der Spieler keinen Charakter hat, weil er Persönliches über | |
| das Spielfeld hinaus offenbar nicht sichtbar machen möchte? Oder ist es | |
| womöglich charakterstark, sich den etablierten Regeln zu entziehen, die | |
| Nationalhymne eben nicht zu singen? Seiner Beliebtheit bei jungen Menschen | |
| schadet das nicht, er hat eine riesige Fanbasis, insbesondere in den | |
| sozialen Netzwerken. In jedem Fall ist das Bild sehr stringent. Er spielt | |
| sogar so Fußball, immer präsent, immer anspielbar, aber selten mitten im | |
| Geschehen. | |
| Ich sehe sofort Teenie-Jungs vor mir, die Özil-artig drauf sind. | |
| Obwohl junge Menschen in so großer Freiheit aufwachsen, überall hinreisen, | |
| alles ausprobieren können, empfinden sie sich häufig als unfrei. Der Druck | |
| der Festlegungen: Was will ich werden, wer will ich sein, was ist meine | |
| nationale Identität und wie stelle ich das unter Beweis? Die Reaktion ist, | |
| sich zu entziehen und vage zu bleiben. Diese Schablone kann man aber auch | |
| auf andere Bereiche anwenden. Natürlich vor allem auf die Politik, wo es | |
| eine Erfolgsstrategie ist, klare Bekenntnisse zu vermeiden. Eine Folge | |
| davon ist, dass ein harmloser Satz wie 'Wir schaffen das’ eine solche | |
| Wirkung hat. | |
| Jetzt werden aber alte Mittelschicht-Ressentiments ausgepackt, dass | |
| Fußballer angeblich sowieso alle doof seien. | |
| Immerhin lässt sich die Nation dann von einer Ansammlung von Doofen | |
| blendend unterhalten. Diese Zuschreibung ist langweilig und längst | |
| überholt, seit Fußball in allen Milieus gespielt wird. Aber klar, es gibt | |
| eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit für junge Menschen, die einfach das | |
| gemacht haben, was sie am besten können, nämlich Fußball spielen. Und die | |
| nicht darauf vorbereitet sind, was ihnen mit dem Erfolg widerfährt. Die | |
| permanente Bedeutungsüberhöhung bei einer zarten Persönlichkeitsreife | |
| fördert mitunter nicht das Beste zutage. Und dennoch ist der Fußballprofi | |
| 2018 anders als das tradierte Stereotyp. | |
| Was halten Sie von meiner These, dass man nur Fan von Nationalmannschaften | |
| ist, weil bei der WM das wirklich mit der eigenen Identität verknüpfte | |
| Vereinsteam nicht mitspielt? | |
| Ich glaube nicht, dass diese These stimmt. Große Turniere der | |
| Nationalmannschaften lösen eine riesige Identifikation aus. Vielmehr sind | |
| die Vereine gefordert, sich damit auseinanderzusetzen, wie sie Fans | |
| gewinnen und binden können. Die bedingungslose Verbundenheit zu einem Klub | |
| wird immer geringer. | |
| Sie waren Nationalspielerin. Haben Sie sich mit dem Team Deutschland | |
| identifiziert oder mit dem Land Deutschland? | |
| Ich bin kein gutes Beispiel. Natürlich war es schön, zu den besten | |
| Spielerinnen zu gehören, aber ich habe immer am liebsten in meinem Verein | |
| gespielt. Ich sage aber auch nicht wir, wenn ein deutscher Mensch, den ich | |
| noch nie gesehen habe, beim Eurovision Song Contest singt. | |
| Bei der WM können innerhalb von Sekunden Marken entstehen oder ihr Wert | |
| kann ins Unermessliche steigen. | |
| Na ja, aber dafür ist die Umschlagzahl viel höher und dadurch die | |
| Austauschbarkeit. Vor nicht allzu langer Zeit war ein Siegtorschütze in | |
| einem WM-Finale unsterblich. | |
| Helmut Rahn. Geoff Hurst. Gerd Müller. Mario Kempes, Paolo Rossi. | |
| Aber in wessen Bewusstsein ist Mario Götze, der Held des Titelgewinnes | |
| 2014? Sein Tor ist erst vier Jahre her. Es gibt heute viel mehr | |
| Aufmerksamkeit und spektakuläre Aktionen erreichen mehr Leute, aber die | |
| Bedeutung und der Erinnerungswert sind geringer. | |
| Sie müssten doch viel größer sein, weil viel mehr Leute Fußball anschauen | |
| und wichtig nehmen. | |
| Durch die Parallelität von allem passiert im nächsten Moment schon wieder | |
| etwas anderes, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Helmut Rahn hatte für | |
| Generationen eine ganze andere Bedeutung als Mario Götze für diese. Die | |
| ganz außergewöhnlichen, menschenverbindenden Momente gibt es immer | |
| seltener. Das hat auch mit der Fragmentierung von Medien zu tun. | |
| Wofür steht für Sie der Trainer Jogi Löw als Marke? | |
| Für Perfektionismus, für Überlegenheit. Für einen klaren Plan und | |
| Zielstrebigkeit. Und für Sauberkeit. | |
| Ein Schönspieler, was ja bis heute ein deutsches Schimpfwort ist? | |
| Nein, im Sinne von Integrität. Er tut nichts Böses. | |
| Global faszinierende Fußballer wie Ibrahimovic und Ronaldo haben auch etwas | |
| Gebrochenes … | |
| … etwas Verruchtes… | |
| … während unsere Jungs alle nett sind. | |
| Ich finde Philipp Lahm mit seiner Perfektion beeindruckend. Er hatte immer | |
| die Deutungshoheit des Spiels. | |
| Mit wem identifizieren Sie sich in der aktuellen Nationalmannschaft? | |
| Ich liebe die Souveränität von Toni Kroos, diese Grandezza. Auch unter | |
| Druck die beste Lösung zu finden. Nichts ist zufällig. Und natürlich Manuel | |
| Neuer. Ich bin selbst Torhüterin gewesen, Manuel Neuer interpretiert das | |
| Torwartspiel auf eine Art und Weise, wie ich es vorher nicht gesehen habe. | |
| Das ist weit vom Wettbewerb entfernt. Ein Ausnahmesportler. | |
| Sie finden es nicht verwegen, auf einen Spieler zu setzen, der ein Jahr | |
| nicht gespielt hat? | |
| Nein, natürlich nicht. Wenn am Ende eines solchen WM-Turniers Details den | |
| Ausschlag über Sieg und Niederlage geben, braucht es Spieler wie Manuel | |
| Neuer, die den Unterschied ausmachen. Das rechtfertigt das Risiko. | |
| Wer berührt Sie emotional? | |
| Sportler, deren Geschichte ich kenne, die mich anrühren. Bastian | |
| Schweinsteiger zum Beispiel. Weil ich ihm beim erwachsen werden zuschauen | |
| konnte. Weil er fühlbar ist und echt in seinen Reaktionen. Im Erfolg, wie | |
| im Drama. Auch, wenn er bei den Tennismatches seiner Frau auf der Tribüne | |
| sitzt und sich wie ein kleiner Junge an gelungenen Ballwechseln freut. | |
| Bei der WM wird es keine einzige Frau in einem sichtbaren Führungsjob | |
| geben. | |
| Das ist fatal, dass immer noch keine Frauen in entscheidenden Positionen | |
| sind, nicht in Verbänden und nicht in der Bundesliga. In dieser Branche | |
| wird der Glaubenssatz aufrecht erhalten, dass Fußball eine | |
| Geheimwissenschaft ist, die sich nur Männern erschließt. Vor allem solchen | |
| in kurzen Hosen. | |
| Dadurch haben Sie aber immer noch das Alleinstellungsmerkmal. | |
| Das würde ich liebend gern weggeben, [2][wenn endlich Frauen im Management | |
| sind]. Weibliche Kompetenzen und Diversität würden das Fußballgeschäft | |
| wesentlich weiterbringen. Vielleicht hilft eine Quote, damit würde sich die | |
| Branche mal als zeitgemäß darstellen. Gerade in Zeiten, in denen sich der | |
| Fußball auch nicht mehr gegen Governance und Compliance Regeln wehren kann. | |
| Und grundsätzlich, weniger Testosteron und ein höheres Maß an | |
| Differenziertheit würde dem Geschäft ganz sicher gut tun. | |
| Die EU-Politikerin Rebecca Harms hat zu einem Politikerboykott aufgerufen, | |
| um Putin keine gemeinsame Showbühne zu geben. Was halten Sie davon? | |
| Die Bühne ist durch das größte Sportereignis der Welt ohnehin gegeben. | |
| Politiker haben die Möglichkeit, ihre Haltung zu zeigen. Für die Sportler | |
| ist das schwieriger, sie sind Teil des Systems. Und weil man sie mit | |
| politischen Bekenntnissen zumeist auch überfordert, wie wir es zu Beginn | |
| besprochen haben. Ich bin mir aber sicher, dass es Spieler gibt, die eine | |
| Meinung haben. Und vielleicht nutzt der ein oder andere die Möglichkeit. | |
| Sie warten auf einen Spieler, der sich politisch und kritisch äußert? | |
| In jedem Fall hätte es Wirkungskraft. | |
| 16 Jun 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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