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# taz.de -- Sommertheater Bad Lauchstädt: Ein Kleinod aus Stoff und Brettern
> Schon Christiane Vulpius genoss hier den Sommer, der Museumsleiterin geht
> es wie Goethes Frau: Bad Lauchstädt und sein Theater begeistern viele.
Bild: Bad Lauchstädter Illusion: Wenn das Licht aufflammt, glaubt man, in eine…
Bad Lauchstädt südlich von Halle ist heute ein unscheinbares Städtchen mit
4.000 Einwohnern. Doch beim Betreten der Kuranlagen bekommt man eine
Ahnung, warum es im 18. Jahrhundert den Adel aus Sachsen, Preußen, aus dem
Thüringischen und aus Anhalt in das „sächsische Pyrmont“ zog. „Ein
bacchantischer Ort, der immer noch Kurbad-Atmosphäre atmet“, schwärmt Ute
Boebel. Sie leitet das Museum der Kuranlage und führt durch den Park.
Boebel deutet auf den zentralen Brunnen, auf den in der Hauptachse liegende
Kursaal und auf die Pavillons. Die hölzernen Kolonnaden, der Park, der
Teich und das Schloss strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Die
Hauptattraktion duckt sich allerdings unter Bäumen: Es ist das
Sommertheater, das immer noch genau so aussieht, wie es Goethe und seine
Bauexperten Steiner, Gentz und Götze in den Jahren bis 1802 entworfen
haben.
Es war bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts Mode, in Bad Lauchstädt
zu kuren. Denn hier bot sich eine Mischung aus Zerstreuung und Animation.
Und das Theater trug wesentlich dazu bei. Und es lockte nicht nur den Adel
an, sondern auch Kaufleute, Offiziere, Künstler, Gelehrte und Dichter. In
diesem Jahr wird die Fantasie noch durch den 250. Geburtstag von Goethes
Ehefrau Christiane Vulpius beflügelt. In den Sommermonaten verkürzte sich
Christiane hier in Gesellschaft das ständige Warten auf den reisenden
Dichter. Später nahm sie am Theater sogar so etwas wie die Stellung einer
kaufmännischen Geschäftsführerin ein. „Mir ist, als finge ich erst an zu
leben …“, schrieb sie hier 1803.
Johann Wolfgang von Goethe, neben anderen Funktionen auch der Weimarer
Hoftheaterchef, hatte sich des geplanten Neubaus hier in Bad Lauchstädt
angenommen. Schließlich unterhielt die Weimarer Hofbühne wegen der
illustren Gäste in Bad Lauchstädt eine Art Außenstelle. Zwar wurde der
hölzerne Bau von Gästen und Studenten bald als „Schafhütte“ tituliert, d…
die Aufführungen erfreuten sich großer Beliebtheit.
## Studenten als Gecken
Und das nicht nur beim Adel. Nach dem pietistisch-preußischen Verbot von
Theateraufführungen im unweit gelegenen Halle pilgerten die Studenten in
Scharen nach Lauchstädt und mischten als Gecken die feine Gesellschaft auf.
„Den großen Hut mit bunter Kokarde geschmückt … mit riesigen Sporen, den
blanken Hieber an der Seite und die weitschallende Hetzpeitsche in der
Hand, dazu den Rauch des gelben Knasters von Apolda in die Luft wirbelnd“ –
so beschrieben Zeitgenossen die Studenten.
Zwar belebt sich Bad Lauchstädt auch heute bei der Ankunft von
Reisegruppen, zum Weihnachtsmarkt oder bei Theaterevents am Wochenende. Bis
zu 100.000 Besucher kommen jährlich. Dennoch ist es stiller geworden. Das
lag auch daran, dass das Theater in den vergangenen beiden Jahren von
riesigen dunkelgrauen Planen verhüllt war, die vor allem die Wetterseite
schützen sollten.
Dort war 2013 der Putz abgeschlagen worden, und was unter dem Mörtel
entdeckt wurde, alarmierte Kulturschaffende und Politiker in Sachsen-Anhalt
gleichermaßen. Holzschädlinge, Fäulnis und Schwamm durchzogen das Fachwerk.
In der mehr als zweihundertjährigen Geschichte hatte das Theater allerdings
schon mehrere Krisen durchlitten. So wollte die preußische Regierung zu
Beginn des 20. Jahrhunderts den Bau abbrechen lassen. Doch war der
einzigartige Bau nach diesen Schadensmeldungen noch zu retten?
## Nahezu der Originalzustand
„Bestürzt“ zeigte sich Grünen-Landtagsfraktionsvorsitzende Claudia Dalbert
bei einem Besuch, und die Händel-Festspiele Halle bangten um einen ihrer
wichtigsten Aufführungsorte. René Schmidt, der Geschäftsführer des
Theaters, erinnerte daran, dass seit der großen Sanierung Ende der 1960er
Jahre keine wesentlichen Erhaltungsarbeiten mehr stattgefunden hatten.
Gewiss, die Zeiten sind vorüber, dass hier – ähnlich wie bei den Bayreuther
Festspielen – das Establishment ein und aus ging. Aber verpflichtete nicht
allein schon die Geschichte des Theaters zur Sanierung? Der Bau hat bis
heute nahezu im Originalzustand überdauert. Befremdlich wirken die außen
angebrachten massiven Stützpfeiler. Schon rund dreißig Jahre nach der
Errichtung hatte das leichte Dach die nur zwölf Zentimeter dünnen Wände
nach außen gedrückt.
Die eigentliche Faszination beginnt im Inneren. Es gibt 456 Plätze, maximal
25 Musiker finden im Orchestergraben Platz. Doch als Museumsleiterin Ute
Boebel das inzwischen elektrische Licht einschaltet, hat man den Eindruck,
in einem der großen Opernhäuser zu sitzen. Die Illusionsmalerei auf der
stoffbespannten Decke, die umlaufende Galerie, die geschickte Beleuchtung –
alles trägt dazu bei.
## Stoffbahnen, Seile und Holz
Die sonst eher ruhige Museumsleiterin wird leidenschaftlich, als sie die
historische Bühnenmaschinerie vorführt. „So sah eine ideale Bühne zur Zeit
der deutschen Klassik aus!“, schwärmt sie. Der Bühnenprospekt, die quer
hängenden Soffitten und die seitlichen Kulissenflügel ergeben zusammen das
Bühnenbild. Wie damals schon für schnelle Szenenwechsel erforderlich,
können die Kulissen immer noch binnen Sekunden ausgetauscht werden.
Zuständig ist eine raffinierte Holzmechanik unter der Bühne mit einer
verwirrenden Fülle von Seilen. „Die sieben Meter lange hölzerne
Hauptantriebswelle wurde früher mit Muskelkraft bewegt“, erzählt Ute
Boebel. Heute erledigt das ein Elektromotor. Neben der elektrischen
Umrüstung der Argand’schen Öllampen fast die einzige Konzession an den
Fortschritt. Denn auch eine stoffbespannte Windmaschine steht an der
Seitenbühne. Und die Öllampen ließen sich schon damals schwenken, um
Dämmerungseffekte zu erzielen.
„Die Goethe-Zeit war noch nicht so retrospektiv orientiert wie wir heute
und blickte nach vorn“, sinniert Geschäftsführer René Schmidt beim Blick
auf den Spielplan. Natürlich wurde Sommertheater gegeben und Oper gespielt,
aber in seinem Todesjahr 1805 kam eben auch Schiller auf die Bühne, dem
Lauchstädt vertraut war. Der gegenwärtige Spielplan entspricht dem Flair
des Ortes, betont Schmidt, „biete aber „nicht nur leichte Sommerkost“.
Opern von Händel, Gluck oder Mozart, Schauspiel auch eher von Goethes
Zeitgenossen. Der Geschäftsführer bezeichnet sich selbst als
„Chefeinkäufer“ für Gastspiele aus der ganzen Bundesrepublik, nicht nur a…
dem nahen Halle. Und das ambitionierteste jährliche Ereignis ist das
„Festspiel der deutschen Sprache“ im September, das sich auch
zeitgenössischen Themen widmet.
## Unterm Strich bleibt weniger
Der Spielbetrieb, bis auf wenige Ausnahmen zur Weihnachtszeit auf den
Sommer konzentriert, soll für die nun laufenden Sanierungsarbeiten nicht
unterbrochen werden. Jetzt können der Austausch der Balken und die
Stabilisierung endlich beginnen. Dass seit der Diagnose rund zweieinhalb
Jahre vergingen, liegt nicht an Geldmangel, berichtet René Schmidt. Im
Verwaltungsgebäude sitzt der Geschäftsführer unter dem berühmten
Warhol-Bild von Goethe und äußert wirklich nur ein bisschen Verständnis für
den Prüfungsaufwand, der bei öffentlichen Bauvorhaben getrieben wird. „Das
Theater ist in seiner Geschichte noch nie so gründlich untersucht worden“,
sagt er diplomatisch.
Doch auch Goethe selbst musste fünf Jahre mit Sachsen-Weimar und Kursachsen
verhandeln. Der Bau selbst war dann in einem Vierteljahr erledigt.
Natürlich ist auch die Finanzierung keine Selbstverständlichkeit mehr.
Schmidt, seit 2010 Geschäftsführer, musste 17 von 26 Stellen bei den
Kuranlagen streichen. Die Mittel für den laufenden Theaterspielbetrieb
sanken von 1,4 Millionen Euro auf 410.000 jährlich. Seit Jahresbeginn 2014
stellt der Saalekreis immerhin noch einmal die gleiche Summe zur Verfügung.
Dennoch – unterm Strich bleibt weniger als früher. Die Bauinvestitionen für
die gesamte Kuranlage liegen bei 6 Millionen Euro. Die gleiche Summe strich
Sachsen-Anhalt im vorigen Jahr seinen anderen Theatern. Der Kursaal, vor
allem die Dachrekonstruktion, kostet rund zweieinhalb Millionen, das
Theater nach Schätzung von Geschäftsführer Schmidt ebenso viel.
## Schillers Ménage à trois
Doch bei einem Theaterbesuch darf man es in Lauchstädt nicht belassen. Da
sind die Kuranlagen, die Pavillons mit ihren Ausstellungen. Und da ist das
Neue Schillerhaus, ein spätbarockes Bürgerhaus, mit seinen Geschichten über
die angebliche Ménage à trois zwischen dem Dichter und den Schwestern
Lengefeld. „Ich habe hier meine Lebensaufgabe gefunden“, bekennt der
gebürtige Klingenthaler René Schmidt, inzwischen Anfang 50.
Von dieser Lebensaufgabe bringt ihn auch der jüngste Ärger nicht ab. Die
Stiftung Weimarer Klassik, selbst mit einer Restitutionsforderung
konfrontiert, hat plötzlich entdeckt, dass ihr 62 Kunstgegenstände gehören
sollen, die sich in Bad Lauchstädt befinden. Zu DDR-Zeiten, als Provenienz
nicht so wichtig war, kamen sie hierher. „Es täte nicht nur mir, sondern
vor allem den Besuchern weh, wenn etwa die Quellnymphe oder die
Vulpius-Büste ins Allerheiligste der Deutschen Klassik entführt würden.“
Geschäftsführer Schmidt sieht dem Streit halbwegs gelassen entgegen.
29 Jul 2015
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Theater
Oper
Schwerpunkt Finanzkrise
Kulturpolitik
Kunst
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