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# taz.de -- Theaterstück über „Lehman Brothers“: Eine monströse Maschine
> Stefan Bachmann inszeniert in Dresden ein besonderes Langgedicht: Die
> Geschichte der US-amerikanischen Bank wirkt wie eine Legende.
Bild: „Schande“ und „Gier“ sind die Wörter, die Protestierende dem Vor…
Lehman Brothers? Da war doch mal was? Richtig, eine amerikanische Bank, die
sich an faulen Immobilienkrediten verschluckte und nicht mehr auf Rettung
hoffen konnte. Das war vor unendlich langer Zeit, 2008, und wenn auch
jenseits einiger Wohlstandsinseln bis heute Dauerkrise herrscht, so
erscheint doch zumindest hierzulande der Beinahe-Kollaps des
Weltfinanzsystems nur noch wie eine peinliche Episode.
Es hat denn auch im Wortsinn etwas Fabelhaftes, wie der 40 Jahre alte
italienische Autor und Theaterleiter Stefano Massini die Geschichte der
ausgewanderten jüdischen Gebrüder Lehmann aus dem bayerischen Rimpar
erzählt. Die 243 Textseiten werden am Dresdner Staatsschauspiel auf
dreieinhalb Stunden Vorstellungsdauer gekürzt. Die Fakten stimmen, und doch
mutet dieses Langgedicht wie eine Legende, wie eine Sage an.
Von einer Familiensaga mag man dennoch nicht sprechen. Denn zwischen den
Menschen spielt sich schon in den Gründerjahren nach 1844 nicht allzu viel
ab. Das Persönliche baut in den eineinhalb geschilderten Jahrhunderten mehr
und mehr ab, Charaktere verzerren sich zu Grimassen und verschwinden unter
dem Effizienzdiktat des fortschreitenden 20. Jahrhunderts. Massini kam es
vor allem darauf an, die subtilen und in zyklische Katastrophen führenden
Mechanismen kapitalistischer Expansion exemplarisch darzustellen. Nicht wie
Marx, nicht im Stil einer Vorlesung, sondern entlang der handelnden
Personen.
Henry, Emanuel und Mayer Lehman verlegen sich in den Südstaaten anfangs auf
die typische Händlerfunktion in der expandierenden Baumwollbranche; ihr
Motto lautet „billig einkaufen, teuer verkaufen“. Sie erweitern ständig
ihre Geschäftsfelder, streiten über konventionelle und unkonventionelle
Geschäftsmodelle, überstehen Krisen, gründen eine Bank. Der Text endet
eigentlich beim Verkauf von Lehman Brothers an American Express 1984. Den
Zusammenbruch von 2008 hat die Regie in einem Flashlight-Gewitter nur
angedeutet. Was es dazu zu sagen gäbe, findet sich bezeichnenderweise schon
beim Schwarzen Freitag von 1929.
## Fassungslos nach dem Crash
Nach der Uraufführung 2013 in Paris taten sich nun das Dresdner
Staatsschauspiel und das Schauspiel Köln für die deutschsprachige
Erstaufführung zusammen. Dem Kölner Intendanten Stefan Bachmann gelang in
Dresden eine stringente Umsetzung der Vorlage. Massini weist in seinem Epos
keine Theaterrollen zu, scheint kursiv gedruckte Passagen lediglich für
Dialoge zu empfehlen. Die sieben durchweg männlichen Spieler treten
folglich in zahlreichen Rollen und Funktionen auf. Sie tragen die
umfangreichen narrativen Passagen vor, schlüpfen in die jeweiligen Rollen
und kommentieren zugleich sich selbst.
Es geht in einem ans Pathetische grenzenden Text um Milliarden und
unvorstellbaren Reichtum. Hintersinnigerweise herrscht dagegen auf der
Bühne Kargheit. Bei einem Bühnenbildner wie Olaf Altmann war das zu
erwarten: ein fast leerer Zeit-Raum bis zum Sternenhimmel. Vorn aber
dominiert eine monströse Maschine mit drei drehenden Hämmern. Sie ist mehr
als die fast leitmotivisch erwähnte Spieluhr, assoziiert Riesenrad,
Ölförderpumpe, Hammer und Sichel.
Die Leere der Bühne korrespondiert mehr und mehr auch mit der Sinnlosigkeit
dessen, was der materialistische Zeitgeist unter Erfolg versteht.
Fassungslos verabschieden sich die Lehman-Generationen. Wer hat hier
wirklich etwas gewonnen? Der Erfolgstaumel der Nachkriegsjahre wirkt wie
ein makabrer, kurzer Rausch.
Ohne Penetranz und Agitation stellen der Autor und das günstig gemischte
Ensemble die dringende Frage: Was wächst hier eigentlich und wozu? Im
Epilog kriegen sich die auferstandenen Herren der Lehman-Dynastie kichernd
wie die Kinder gar nicht mehr ein bei dem Gedanken, ihrer verstorbenen Bank
die Totenehre nach jüdischem Ritus zu erweisen. Nichts bleibt. Das
Räderwerk aber dreht sich unerbittlich weiter. Faites vos jeux!
7 Jun 2015
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt Finanzkrise
Banken
Lehman Brothers
Theater
Eurokrise
Federal Reserve
Banken
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