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# taz.de -- Theater Rudolstadt vor dem Aus: Gerichtet!
> Das Theater Rudolstadt kämpft um seine Existenz – und sei es mit einer
> furiosen Inszenierung von Goethes „Faust“. Vom Zustand in der Diaspora.
Bild: Sie bleibt ungerettet: Das Gretchen (Lisa Klabunde) in Rudolstadt.
RUDOLSTADT taz | Neben der Station ist kein Leben. Keines jedenfalls, das
auf quirlige Geschäftigkeit hindeutet. Das Bahnhofsgelände an diesem
Sonnabend – wie hinterlassen. Das Gebäude – sucht neue Mieter. Aber wer
will schon etwas in einem Gründerzeitschuppen ansiedeln, wenn zwischen dem
Fluss und der Stadt eine Straße liegt, die vielleicht auch verbindet, hier
aber jedenfalls trennt.
Und hier soll eine prima Inszenierung des „Faust“, erster Teil geboren
worden sein? Rudolstadt in Thüringen. Lieblich die Landschaft eher, hoch
über der Stadt, die einst fürstliche Residenz, buchstäblich thront das
Schloss Heidecksburg. Sommers bildet die kleine Stadt in mittelalterlicher
Anmutung die perfekte Kulisse für ein weltberühmtes Folkfestival;
ganzjährig ist diese Gegend auch bekannt für Menschen, die rechtsradikalem
Gedankengut nachhängen. Später wird Tim Bartholomäus, momentan
Pressesprecher des Theaters von Rudolstadt sagen: 40 Kilometer von hier ist
das geboren worden, was die NSU ist, Chiffre für landläufigen Horror.
Die Fußgängerzone entlang etliche Speisegaststätten, allesamt in
migrantischer Hand, asiatisch einige, zwei auch mit Döner als Kern der
Speisekarte. Die Stadt legt sich wie an jedem Samstag zur Ruhe. Es
verblüfft, eben aus der Metropole angereist, wieder zu fühlen, wie
geräuscharm Städte schon samstags kurz nach zwölf Uhr sein können, wenn
alle ihre Geschäfte besorgt haben.
Im Theater aber wird tüchtig der Abend vorbereitet. Pressesprecher
Bartholomäus, ein in Berlin studierter Medienmann in den Zwanzigern, der
als Schwangerschaftsvertretung in seiner alten Heimat den Job annahm, führt
gern durch das kleine Kulturensemble, leicht versetzt zwischen neuem
Einkaufszentrum, Bahnhof, Durchfahrtsstraße gen Erfurt und Cineplexkino
gelegen. Im Souterrain des Hauses werden Kulissen für den Abend parat
gelegt.
## Diskretion wäre Unfug
Bartholomäus zeigt wie beiläufig auf eine schattierte Stelle im Mauerwerk.
Sie stammt von irgendeiner Überschwemmung der Saale, die man vom Theater
aus nicht sieht, weil sie hinter den Gleisen liegt und, aller momentanen
Gemächlichkeit ihres Fließens zum Trotz, gefährlich anschwellen kann. Auch
das Theater ist Opfer ihres Wassers gewesen. Die Leute vom Theater nahmen
es lapidar, die Show geht weiter, Wasser fließt wieder ab, der Rest
trocknet. Abends also wird das Silberbesteck des deutschen
Theaterkultursinnens aufgelegt, Goethes „Faust“, Teil 1.
Wir haben keine Drehbühne, sagt Bartholomäus, betont auch ein
Bühnenarbeiter, aber man werde staunen, wie gut sie ohne ein solches
technisches Instrument bei der Aufführung auskommen. Es wäre tatsächlich
kaum aufgefallen. Man muss es verraten, Diskretion wäre Unfug: Angereist
mit leicht pädagogischer Gönnerlaune – ach!, in der Provinz!, der Faust!,
mit dem Intendanten!, in der Hauptrolle!, wird schon okay!, werden! –,
zeigt sich die Inszenierung als sehr, sehr hübsche, für die dreieinhalb
Stunden extrem kurzweilige Mixtur, als hätten sie Tarantino und Almodóvar
in so abgründiger wie heiterer Stimmung angerührt.
Das Gretchen ist natürlich die arme Sau, Faust ein beherzter, leider auch
seelenkäuflicher älterer Mann, Mephisto ein prima Bösling, die Marthe
Schwerdtlein eine Kupplerin sondergleichen – und die anderen Gesellen von
saufender, hurender, sehnender und jedenfalls nicht einschläfernder
Vitalität. Verweile doch, du bist so schön, was des Pudels Kern ist –
Faust, fast am Ende seines Lebens gelangweilt, sucht das Feuer und findet
es, um sehenden Auges in ihm zu verbrennen.
## An Weill geschult
Und dann viel Musik von Alfred Schnittke. Das hauseigene Orchester spielt
auf, zum „Faust“ geht alles, vielleicht nicht Grönemeyer wie neulich am
Berliner Ensemble, weil so frei von Ambivalenz – aber Tangos wie in Brüssel
oder eben Schnittke, in den Dreißigern geboren, kompositorisch hörbar an
Kurt Weill geschult: Das zimbelt und dröhnt und schmatzt und scheppert und
schmiert, dass es wie zum Originalstück gehört.
Tim Bartholomäus sagt, dass sein Theater natürlich nicht nur den „Faust“
spielen könne – aber man habe sich den gönnen wollen. Mal was Großes, wie
es sonst nur die fetten Bühnen tun. Das thüringische Kulturbürgertum
zerriss sich gleichwohl das Maul darüber, ob Intendant Steffen Mensching,
Bürgerrechtler in DDR-Zeiten, Schriftsteller und Clown von Beruf, 56 Jahre
alt, nicht nur den Faust inszenieren sondern ihn spielen dürfe – kann so
einer denn dem Gretchen ein Verführer sein?
Er kann, das sieht man gleich. So viel Hingabe an die Möglichkeit der neuen
Liebe ist, Mensching zeigt es, doch nicht an die Jahre nach der Pubertät
gebunden. Was auch immer die Feuilletons des Bundeslandes schrieben: Die
Vorstellungen sind fast ausverkauft, Restkarten rar, das Rudolstädter
Publikum weiß seine Abonnements auf dieses Theater akkurat zu nutzen. Es
freut sich, so sieht man es in der Pause. Freundliche, interessierte
Kommentare hört man, das Theatergeschehen ist ihnen nicht egal, und der
„Faust“ offenbar kein Event unter vielen. Nein, offenbar wird es als eine
kleine Burg im eher schleppenden Alltag gesehen. Wir verstehen uns als
Aufklärer, sagt der Pressemann. Wir machen ein Angebot, das durch das
Fernsehen oder eine Videothek nicht ersetzt werden kann.
Insofern macht es nicht allein Sinn, dass ein Stück wie der „Faust“, für
ein Ensemble wie das Rudolstädter das unwahrscheinlichste von allen, weil
es eben so berühmt ist und als schwierig gilt, eine Ausnahme ist. Das Haus
schätzt die schweren Brocken, aber das Publikum bekommt auch heimatliche
Delikatessen serviert, etwa im Kleinen Haus – ja, das gibt es auch, mit
Tischchen, an denen Getränke gereicht werden! –, und wo regelmäßig eine
rudolstädtische Variante des TV-Quiz „Was bin ich?“ gegeben wird. Gäste
sind Menschen, die man nicht kennt und deren Berufe die Besucher raten
sollen – gern auch von Prominenten mit viel gelebtem Leben in der DDR.
## Aktionen für Flüchtlinge
Aber das eine begründet nicht das andere, die ernste Kultur nicht das
Format leichter Unterhaltung: Alles gehöre zusammen, heißt es im Theater,
die Besucher, die für 90-prozentzige Platzausnutzung sorgen, wollen dieses
Potpourri aus allen Gemütsmöglichkeiten. Aber Zeichen ewiger Kämpfe ist das
auch, denn, anders als neulich in Rostock, wo ein Intendant gefeuert wurde,
weil er in schroffen Worten sich dagegen verwahrte, dass sein Volkstheater
finanziell kastriert wird, anders als im hohen Norden streiten die
Rudolstädter in Erfurt, der Landeshauptstadt, auch um Budgets.
Man wollte sich nicht zusammenlegen lassen mit Bühnen anderer Städte, so
wie Meiningen mit Eisenach – in Rudolstadt kooperiert man freiwillig, per
Tausch der Aufführungen mit den Kollegen aus Nordhausen. Aber: Das
antichambrierende Gespräch in Erfurt, wo die Tröge mit dem Geld zur
kulturellen Verteilung gefüllt werden, zählt zur Arbeitsplatzbeschreibung
eines jeden Intendanten. Das Pfund, das dort in die Waagschale geworfen
wird, ist schwer: Die ganze Stadt steht hinter dem Theater, auch bei seinen
Aktionen für Flüchtlinge etwa: Deutschunterricht, Spendensammelaktionen,
kostenlose Theaterbesuche für diese.
So ist also die Sache der Wasserstände der Saale und ob diese, befreien
sich Ströme und Bäche vom Eise, so hoch steigen, dass die Keller des
außenanstrichbedürftigen Theaters geflutet werden, die eine Gefahr. Eine,
der man sich wehren kann. Die echte Gefahr, die dauernde Furcht ist mehr,
ob in den Kulturbürokratien des Bundeslandes das Bewusstsein wach bleibt,
dass eine kleine Stadt wie Rudolstadt – gut 20.000 Einwohner, etwa so
viele, wie in zehn Straßen von Berlins Neukölln zusammen leben – einen
Leuchtturm der kulturellen Verständigung behält. Die Signale der
rot-rot-grünen Landesregierung können als Gewogenheit gedeutet werden, die
Kassenlage ist überall bitter. Inszenierungen wie der „Faust“ sind auch
freche Behauptungsgesten: Seht her, das können wir, und denkt ja nicht
darüber nach, mit uns zu geizen! 158 Festangestellte hat das Theater, vom
Schauspiel bis zu den Werkstätten – ein mächtiger Arbeitsplatzfaktor.
## Die Stimme der Vernunft
Es wäre ja nicht nur eine Verkarstung der kulturellen Topographie einer
finanziell nun wirklich nicht überreichlich bedienten Landschaft. Womit
nichts gegen das moderne, innen von Popcornschwaden durchzogenen
Cineplexkino einzuwenden ist. Und, es soll nicht verschwiegen sein, nach 23
Uhr, wenn also beim „Faust“ gerade der kaum enden wollende Applaus
gespendet wird, ist in Rudolstadt jede Restaurantküche kalt. Fritten mit
Dips in der Bar des Kinos – okay.
Tim Bartholomäus, in Weimar geboren und aufgewachsen, weist noch darauf
hin, dass sein Theater sich auch als Haus versteht, das engagiert für
Flüchtlinge eintritt, für Menschen, die eben in Thüringen angelandet sind.
Dass die Stimme der Vernunft, des Willkommens ohne diese Kulturinstitution
irgendwie verenden würde. Klar, eine Weltverbesserungsanstalt ist so ein
Theater ja nicht, so wollte es sich wohl einst begreifen, aber es spielt
für ein Publikum, das Ansprüche hat, gute. Und die politischen Geltungen,
für die ein solches Ensemble mit einstehen will, mögen in Berlin, Hamburg,
München, Frankfurt oder Köln, auch wohlfeil sein – in Rudolstadt werden sie
von den Theaterleuten fast inbrünstig in die öffentliche Arena getragen.
Es dauert recht lange, Tags darauf, mit dem Zug, ehe der Thüringer Wald,
die angehügelte Landschaft, das Liebliche zurück bleibt. „Faust“ endet im
Übrigen nicht klassisch mit einer Versöhnung. Aus dem Himmel wird nicht
über das Schicksal des geschundenen Gretchen gerufen: „Ist gerettet!“
Sondern, sehr irritierend, aber naheliegend für die Zeit Goethes: „Ist
gerichtet.“ Ein Urteil, das man am Theater Rudolstadt auf keinen Fall hören
möchte.
3 May 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Kulturpolitik
Faust
Theater
Schwerpunkt Thüringen
Kulturpolitik
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Theater
Yael Ronen
Flüchtlinge
Tino Brandt
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