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# taz.de -- Debatte Rechtspopulismus in Europa: Aus Frankreichs Fehlern lernen
> Die Wähler des Front National hat lange niemand ernst genommen – bis es
> zu spät war. Wie Deutschland es anders machen kann.
Bild: Links die französische, rechts die deutsche Version
Wer die Wähler der Rechtspopulisten wie ungezogene Kinder behandelt, spielt
ihnen in die Hände. Das ist die vielleicht wichtigste Lehre, die
Deutschland aus der Erfahrung in Frankreich mit dem unaufhaltsamen Aufstieg
des Front National ziehen kann. Es wird dennoch immer unfassbar bleiben,
dass Millionen von Menschen in einem demokratischem und mit einem
Sozialsystem ausgestatteten Land rechtsextremen Demagogen Gehör schenken.
Möglich wird das, wenn das Misstrauen benachteiligter Bevölkerungsgruppen
gegenüber allen Vertretern der Elite größer ist als die Angst vor dem
Sprung ins Ungewisse.
Wenn eine Gesellschaft erst einmal so desillusioniert ist wie die in
Frankreich, nützen Mahnungen herzlich wenig. Der Kampf gegen die extreme
Rechte muss beginnen, bevor sie Millionen von WählerInnen gewonnen hat.
Erfolgreich kann die Prävention nur sein, wenn glaubwürdige Alternativen in
der wirtschafts- und sozialpolitischen Realität existieren. Denn der Kampf
gegen das auf die Demokratie zersetzend wirkende Phänomen des
Rechtspopulismus ist nicht eine Frage der Ideen oder Ideologien: Wer aus
Armut, sozialer Ausgrenzung oder aus bloßer Angst vor Dealern im
Randquartier den Verheißungen der Populisten Gehör schenkt, wird sich nicht
mit Slogans begnügen.
Die Geschichte der extremen Rechten in Frankreich veranschaulicht das sehr
gut. Als Jean-Marie Le Pen 1974 als Kandidat des Front National zum ersten
Mal bei den Präsidentschaftswahlen antrat und gerade mal 0,75 Prozent der
Stimmen erhielt, nahm ihn kaum jemand ernst. Darum hörte man nicht auf die
Stimmen, die damals ein Verbot dieser Partei forderten.
Das wäre nach französischem Gesetz durchaus möglich gewesen: Le Pen war
1971 bereits aufgrund des Vertriebs von Nazi-Liedern und wegen der
Verherrlichung der Naziverbrechen verurteilt worden. Kaum jemand – und in
Deutschland wohl erst recht nicht – konnte sich damals vorstellen, dass in
Frankreich eine Partei mit solchen historischen Referenzen je einen
Massenzulauf haben würde.
## Der nächste Schock „Le Pen“
1986 zogen wegen des damals vorübergehend eingeführten Verhältniswahlrechts
35 Abgeordnete des FN mit einem geradezu spektakulären Wahlergebnis von
fast 10 Prozent in die Nationalversammlung ein. Seither hat nichts den
Vormarsch des FN stoppen können. 2002 schaffte Le Pen es sogar gegen
Jacques Chirac in die Stichwahl.
Der nächste Schock kam mit Marine Le Pen, die von ihrem Vater die
Parteiführung geerbt hat und 2012 bei den Präsidentschaftswahlen fast 18
Prozent erreichte. Und es kam noch schlimmer, denn heute stimmen Umfragen
zufolge rund einem Drittel der französischen Bevölkerung mit den Ideen des
FN überein. Mittlerweile ist dieser reaktionäre Nationalismus mit seiner
fremdenfeindlichen Hetzpropaganda so gewöhnlich geworden, dass viele
Politologen von einer „Lepenisierung in den Köpfen“ reden.
Alle Versuche, den FN zu stoppen und zu ächten, haben ganz offensichtlich
versagt oder sogar noch zu seinem Erstarken beigetragen. Die Ausgrenzung
des FN als extreme und für die Demokratie gefährliche Kraft hat nur gerade
so weit gereicht, um zu verhindern, dass er für die Konservativen als
Koalitionspartner akzeptabel wäre. Und auch das ist vielleicht eine Frage
der Zeit.
Vor allem die französischem Sozialisten hatten lange darauf vertraut, dass
der FN allein schon wegen seiner Herkunft – Monarchisten und Faschisten
aller Art, Anhänger des Kolonialismus und der Kollaboration mit den Nazis –
abschreckend sei. Sie profitierten bei den Wahlen jeweils auch skrupellos
davon, dass die hohen Resultate des FN beim Mehrheitswahlrecht für die
Konservativen das größere Problem darstellte. Denn in Stichwahlen mit drei
Kandidaten gelang es meist der Linken, mit relativen Mehrheiten Sitze zu
gewinnen.
## Parteien und Medien verkörpern die „Elite“
Anders als in Deutschland, wo die Nazi-Vergangenheit noch wie ein Tabu in
die Gegenwart hinein wirkt, hat die Geschichte der Kollaboration oder der
Kolonialverbrechen in Frankreich kaum noch einen hemmenden Effekt.
Gleichzeitig hat Marine Le Pen mit dem Rauswurf ihres Vaters und einer
geschickten Kampagne für eine „Entdiabolisierung“ des FN gesorgt.
Hinter dieser Verschleierung verbirgt sich vor allem eine soziologische
Strategie der Machteroberung. Der FN biedert sich ohne Angst vor eigenen
Widersprüchen bei allen Bevölkerungsschichten an, die einen Grund sehen,
sich gegen „das System“ aufzulehnen. Die früher repräsentativen
Institutionen, Gewerkschaften, Parteien und Medien verkörpern pauschal die
„Elite“, die des Verrats bezichtigt wird.
Längst ist der FN so die stimmenstärkste „Arbeiterpartei“ geworden. Auch
bei Polizisten und Militärs wählen laut Forschungszentrum Cevipof eine
Mehrheit den FN. Genauso sind Bauern und Bewohner vernachlässigter
ländlicher Gebiete eine leichte Beute für Rechte. Dazu braucht es nur
gemeinsame Sündenböcke: die EU, den Euro und Migranten. Der Protektionismus
und das sozialpolitische Programm halten einer ökonomischen Analyse gar
nicht stand. Doch das spielt für die FN-Wähler keine Rolle. Gerade die
Tatsache, dass dieses Programm so scharf attackiert wird, bestärkt sie
noch. Ihre Lust niederzureißen ist größer als Angst und Scham.
Eine Antwort kann nur darin bestehen, denen, die sich benachteiligt fühlen,
eine glaubwürdige Hoffnung auf Veränderung oder Systemüberwindung
anzubieten. Ausgangspunkt dafür wäre es, die Hochstapelei der extremen
Rechten zu entlarven, die mit ihrer sozial klingenden Demagogie linke
Ambitionen wie Rebellion gegen die Ungerechtigkeit, ja sogar (in einer
völkischen Verkleidung) die antikapitalistische Systemkritik für sich
beansprucht, um so die an den Rand Gedrängten zu täuschen.
Um diese Rolle zu erfüllen, muss die französische Linke aber selber ihre
Haltung zur Globalisierung und zur herrschenden Priorität der
Marktinteressen klären. Das wäre heute auch der Punkt einer Konvergenz
zwischen dem Sozialisten Benoît Hamon, Jean-Luc Mélenchon von der
Linkspartei und einem Teil der Grünen. Wirklich zu spät ist es erst, wenn
Marine Le Pen an die Macht gelangte.
8 Feb 2017
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
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