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# taz.de -- Obdachlosigkeit in Griechenland: Keine Spur von sozialer Hängematte
> Auf Arbeitslosigkeit folgt für viele Obdachlosigkeit. Der Staat hilft
> schon lange nicht mehr. Auch den Elektriker Kostas hat es getroffen.
Bild: Ein Obdachloser vor einer Bank in Athen
Athen taz | Kostas sitzt auf einer Bank am Hafen von Piräus, reibt sich die
Hände warm und schaut lange aufs Wasser hinaus. Ein großes Schiff legt
gerade ab. „Früher bin ich mit Freunden oft auf die Inseln gefahren“, sagt
der 52-Jährige leise, und blickt dem Schiff eine Weile stumm hinterher.
Der hochgewachsene Mann in Jeans und hellgrauem Dufflecoat zieht die
Strickmütze tiefer in die Stirn. Die letzten Nächte waren sehr hart,
erzählt er, denn die Temperaturen bewegten sich um den Gefrierpunkt. Sein
Schlafsack ist durch den Nieselregen und den Wind trotz der Überdachung der
Sitzbänke nass geworden und hängt nun zum Trocknen über einer Banklehne.
Nein, in die Schlafstätten der Stadt oder der Hilfsorganisationen geht er
nicht gerne. Da seien viele zwielichtige Gestalten.
Kostas zeigt auf seinen Rucksack. Dort sei sein Laptop drin. Auch ein
Tablet habe er dabei. Reste aus seinem normalen Leben, sagt Kostas leise
und lächelt schief. Auf drei anderen Bänken sitzen vier weitere Männer mit
ähnlichem Schicksal. „Wir halten hier zusammen“, sagt Kostas und nickt
seinen Freunden zu. Ab und an gehen die Männer gemeinsam in diese
Unterkünfte, um gegenseitig aufeinander aufzupassen. Einer aus der Gruppe
hat es geschafft, sich aus der Obdachlosigkeit zu befreien. Immer wieder
holt er die Männer zu sich in die Wohnung.
„Ich lebe seit knapp einem Jahr auf der Straße“, berichtet Kostas. Immer
wieder schüttelt der in sich gekehrte Mann den Kopf. Nie hätte er gedacht,
dass ihm das mal passieren würde. „Ich hatte ein ganz normales Leben“, sagt
der 52-Jährige und lächelt leise. Nichts Besonderes, aber ab und zu mal
essen gehen, ins Kino, mit Freunden etwas trinken gehen, verreisen – ein
Dach über dem Kopf haben. Er hält inne, scheint sich an die Zeit zu
erinnern, lächelt wehmütig. Ein Motorrad hatte er! Kostas lacht. Jetzt
kommt ihm so etwas unwichtig vor.
## Ein typischer Fall der Neuobdachlosen
Der gelernte Elektriker ist einer der Tausenden oft gut ausgebildeten
Menschen, die infolge der Wirtschaftskrise obdachlos wurden. Das
Sozialsystem in Griechenland trägt schon lange nicht mehr. Und so waren
bereits im Jahr 2011 rund 20.000 Personen laut einer Studie der
griechischen NGO „Klimaka“ obdachlos. Etwa 15.000 von ihnen lebten in der
Hauptstadt Athen. Die Organisation betont, dass die Zahl nur als Richtwert
gesehen werden soll, denn die genaue Zahl der Obdachlosen sei nur schwer zu
ermitteln.
„Zu den sogenannten Neuobdachlosen gehören nicht nur diejenigen, die
bereits auf der Straße leben“, sagt Anta Alamanou, Sprecherin von Klimaka.
Zu den neuen Obdachlosen würden auch jene gezählt, die bei Freunden oder
Verwandten Unterschlupf suchen müssen. „Denn auch sie haben kein eigenes
Dach über dem Kopf“, so Alamanou.
Kostas ist ein typischer Fall der Neuobdachlosen. Jeder Vierte im Land ist
arbeitslos. Kostas macht sich oft etwas jünger, um ab und an Jobs für
Ausbesserungsarbeiten zu ergattern. Die bekommt er nur, weil er ohne
Rechnung arbeitet. „15 oder 20 Euro gibt es für einen Auftrag“, seufzt er.
Vor gut fünf Jahren wurde die Krise spürbar, erinnert er sich. Die Aufträge
wurden immer weniger, bis sie fast ganz ausblieben. Seine Frau und seinen
heute 18-jährigen Sohn schickte er damals nach Australien, wo die Griechin
mit australischen Wurzeln eine Wohnung geerbt hat. Sein Sohn hat gerade
angefangen zu studieren, lächelt er.
Kostas zog damals zu seiner Mutter, um Miete zu sparen. Er selbst hat
nicht die australische Staatsbürgerschaft und musste hierbleiben. Für
umgerechnet etwa 6.000 Euro kann er sich die Staatsbürgerschaft erkaufen.
Das war der Plan. Dann starb seine Mutter. Die Miete der Wohnung konnte
Kostas nicht aufbringen. Sein Sohn weiß nicht, dass sein Vater heute auf
der Straße lebt.
3 Feb 2017
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
## TAGS
Griechenland
Obdachlosigkeit
Arbeitslosigkeit
Schwerpunkt Finanzkrise
Schwerpunkt Krise in Griechenland
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