# taz.de -- Dokumentartheater über Migration: Nie wieder Abstieg | |
> Jung, gebildet, arbeitslos: In den Münchner Kammerspielen erzählen | |
> Griechen, warum sie nach Deutschland ausgewandert sind. | |
Bild: Die Stellvertreter der jungen Einwanderer im Bühnenwohnzimmer, v.l.n.r.:… | |
In keiner anderen deutschen Stadt leben so viele gebürtige Griechinnen und | |
Griechen wie in München. Rund 26.000 waren es 2017. Es gibt eine | |
Griechische Gemeinde, eine Griechische Schriftstellervereinigung, | |
griechisch-bayerische Kulturtage, einen Griechischen Studentenverein und | |
etliche andere Organisationen. | |
In den 1960er Jahren kamen die Ersten als sogenannte Gastarbeiter. Mit dem | |
Akropolis-Express landeten sie am Hauptbahnhof, meist nur mit einem Koffer | |
und 100 D-Mark in der Tasche. Viele hegten den Wunsch, nach ein paar Jahren | |
wieder zurück in ihre Heimat zu gehen, aber ein Großteil trat die Rückreise | |
nie an, auch wenn sie sich noch nach Jahren wie in einer Wartehalle | |
fühlten. Während der griechischen Wirtschaftskrise der letzten Jahre stieg | |
die Zahl der Neuankömmlinge wieder. Nun kamen junge, arbeitslose | |
Akademiker. Wie tickt die griechische Community in München, was sind ihre | |
Sorgen, Träume und Ängste? | |
Diesen Fragen sind die Regisseure Prodromos Tsinikoris und Anestis Azas | |
nachgegangen. Sie lassen drei Laienschauspieler, die sie über eine | |
Facebook-Gruppe ausfindig machten, aus ihrem Leben erzählen: Fragmentarisch | |
reihen sich persönliche Eindrücke aneinander, die stellvertretend für die | |
Erfahrungen vieler Migranten in Deutschland stehen. | |
## Improvisierte Talkshow | |
Da ist die Architektin Aikaterini, die keinen Job nach dem Studium fand und | |
deshalb in Thessaloniki die Bar „Beerology“ eröffnete. Weil sich die | |
Menschen dort aber irgendwann kein Bier mehr leisten konnten, machte sie | |
den Laden dicht und zog nach München. Nun spült sie Teller in einem | |
bayerischen Gasthof. | |
Oder Valantis, Jahrgang 1985, auch er ist einer der | |
Working-Poor-Generation. Für ihn lief es besser: Er arbeitet als | |
IT-Referent am Flughafen München. Angelos, der dritte Akteur, ein großer | |
schlaksiger Mann mit grauen Haaren, wollte nicht für 380 Euro in einem | |
Call-Center telefonieren und immer wieder auf seinen Lohn warten: „Jeder | |
zweite Grieche wird mit Verspätung bezahlt.“ Also stieg er in ein Flugzeug | |
nach München. Für seine erste Wohnung musste er die Maklerin bestechen, | |
nach langer Suche fand er einen Job bei einem griechischen Reisebüro. | |
Der Abend ist weniger Theater als eine improvisiert wirkende Talkshow. | |
„Projekt“ nennen die Macher das Ganze dann passenderweise auch. Stimmig | |
dazu die Wohnzimmerkulisse aus Sesseln, Schreibtisch und Stehlampe. | |
Regisseur Tsinikoris fungiert als Moderator, stellt seinen Protagonisten | |
Fragen zu ihrem Leben und lässt sie frei erzählen. Aus dem Off sprechen | |
andere Migranten, ein älterer Mann, der in den 1960er Jahren kam, erzählt, | |
dass er nicht zur Beerdigung seines Vaters fahren konnte, weil er in der | |
Fabrik keinen Urlaub nehmen durfte. | |
Tsinikoris selbst, in Wuppertal aufgewachsen, kehrte irgendwann nach Athen | |
zurück und leitet dort eine Experimentalbühne des Nationaltheaters. Seine | |
Situation beschreibt er als prekär, beobachtet, wie „meine Freunde in | |
Depressionen verfallen“. Aber er schlägt sich durch und weigert sich, seine | |
Wohnung über Airbnb zu vermieten: „Mein Bett ist mein letzter Zufluchtsort, | |
meine Hochburg gegen den Neoliberalismus.“ | |
Die Ästhetik von „Hellas München“ ist gediegen und wenig spektakulär, der | |
Ablauf wirkt spontan erdacht. Um Komplexität scheint es dem Regisseur auch | |
gar nicht zu gehen, er setzt auf allgemein verständliche Botschaften. | |
Man lernt an diesem heiter-melancholischen Abend dennoch einiges über diese | |
verlorene Generation, die ihrer wirtschaftlich schwierigen Situation das | |
Bestmögliche abringt. Man bekommt ein Gefühl für ihre Flexibilität, ihre | |
immense Integrationsbereitschaft und ihren pragmatischen Grundoptimismus, | |
gepaart mit der Fähigkeit, sich auch unter widrigen Bedingungen | |
durchzuschlagen. Aus ihren Erzählungen spricht manchmal ein Anflug von | |
Melancholie, aber nie hört man sie jammern oder klagen angesichts der | |
Tatsache, in einem Staat aufgewachsen zu sein, der ihnen wenig Perspektiven | |
bietet. | |
## Das Publikum freut die Aufmerksamkeit | |
Dieses Dokumentartheater beleuchtet ganz alltägliche Erfahrungen von | |
Deutschland als Einwanderungsland, sucht das Verbindende im Individuellen | |
und tut dies mit einem wohlwollenden Blick. Auch wenn manche Äußerung ein | |
wenig stereotyp klingt. | |
Im Publikum sitzen an diesem Abend viele Menschen mit griechischen Wurzeln, | |
viele Freunde und Verwandte der drei Laiendarsteller auf der Bühne. Der | |
Zwischenapplaus ist lauter als sonst. Sie wirken erfreut, wahr- und ernst | |
genommen zu werden und ihre Geschichte auf der Bühne eines renommierten | |
Theaterhauses zu sehen. Am Ende klatschen sie und singen mit den | |
Darstellern „Nie wieder 2. Liga, nie wieder Abstieg“. Nicht auf den | |
Fußball, sondern auf ihr Leben gemünzt. | |
18 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Annette Walter | |
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