| # taz.de -- Umgang mit Obdachlosigkeit: Helfen per App oder Verschreibung | |
| > Eine App will das Spenden für Obdachlose erleichtern – raubt ihnen aber | |
| > die Würde. In Hawaii könnten Ärzte bald Wohnungen verschreiben. | |
| Bild: Das Gegenteil von gut geholfen ist gut gemeint | |
| Seit vier Jahren ist Marcellus obdachlos in Philadelphia. Doch nun hat er | |
| endlich Hoffnung, wenn man einem [1][Online-Video] glauben darf: „Obdachlos | |
| sein ist nicht leicht. Hungrig aufwachen, hungrig einschlafen“, sagt der | |
| Mann mit dem grauen Bart in die Kamera. Dann hält er einen blauen | |
| Plastikchip hoch. „Aber das hier hat mir Essen verschafft. Es hat mir | |
| Kleidung verschafft, eine Dusche und all das.“ | |
| Das blaue Stück Plastik ist ein Bluetooth-Ortungsgerät – das mit der | |
| [2][App StreetChange] verbunden ist. Die will Gutes tun, nämlich | |
| spendenwillige Passanten mit bedürftigen Obdachlosen in Verbindung setzen. | |
| Die Obdachlosen sollen eine Wunschliste der Dinge anlegen, die sie gerade | |
| am besten bräuchten, etwa Socken, Regenmantel, Decke. Vorbeilaufende | |
| Menschen mit der App können sich diese Liste anzeigen lassen und | |
| entsprechend per App spenden. | |
| Hört sich eigentlich gut an: Die Obdachlosen können ganz konkret sagen, wie | |
| man ihnen am besten helfen kann. Und Passanten können ganz konkret spenden. | |
| Super. Oder? | |
| Nicht ganz. Um an dem App-Programm teilnehmen zu können, müssen die | |
| Obdachlosen von einem Sozialarbeiter betreut werden, in einem Fragebogen | |
| die langfristigen Ziele definieren sowie die Maßnahmen, die sie ergreifen | |
| wollen, um diese Ziele zu erreichen. | |
| ## Neoliberale Zwänge | |
| Nach eigenen Angaben haben die Ersteller der App, Andrew Siegel und Dan | |
| Treglia von der University of Pennsylvania, mit der [3][Mental Health | |
| Association of Southeastern Pennsylvania] zusammengearbeitet. Doch sie | |
| hätten besser noch Rat von Obdachlosen-Verbänden eingeholt. | |
| Das Projekt tut zwar so, als würde es Obdachlosen ihre Freiheit und Würde | |
| lassen, indem diese selbst sagen, was sie am dringendsten brauchen. Doch | |
| gleichzeitig werden die Obdachlosen nun per App rund um die Uhr überwacht | |
| und in ein neoliberales System von Förderungen und Forderungen eingezwängt, | |
| das eigentlich nur kontraproduktiv wirken kann. | |
| ## Wohnung ärztlich verschreiben | |
| Eine andere Strategie wählt Hawaii, [4][berichtet der Guardian]: Dort haben | |
| Untersuchungen ergeben, dass die medizinischen Kosten zur Versorgung von | |
| Obdachlosen radikal sinken, sobald man ihnen ein Dach über dem Kopf | |
| verschafft hat. Nun will Senator Josh Green, selbst Mediziner, einen Antrag | |
| einbringen, dass Ärzte Obdachlosen statt Medikamenten auch Wohnungen | |
| verschreiben können. | |
| „Wir geben das Geld für die Obdachlosen ja schon aus, nur bisher so | |
| ineffizient und teuer wie möglich“, sagt Green laut Guardian. „Die | |
| Ressourcen sind da, es fehlt nur der politische Wille.“ | |
| Natürlich wäre es Blödsinn, Obdachlosigkeit zu pathologisieren, indem man | |
| sie zu einer medizinischen Diagnose erklärt. Aber der Vorschlag dürfte auch | |
| Konservative und Neoliberale überzeugen, weil Kosten gesenkt werden. | |
| 3 Mar 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=31negUyYfBs | |
| [2] http://www.streetchangephilly.org/ | |
| [3] http://www.mhasp.org/ | |
| [4] https://www.theguardian.com/us-news/2017/feb/28/hawaii-homeless-housing-bil… | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Göbel | |
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