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# taz.de -- Obdachlose Frauen in Hamburg: Projekt klärt auf der Straße auf
> Die Stiftung Off Road Kids will obdachlose Frauen besser aufklären. So
> sollen ungeplante Schwangerschaften und Krankheiten verhindert werden
Bild: Obdachlose Frauen geben ihr Geld selten für Verhütungsmittel aus
Hamburg taz | Die Pille, Verhütungsringe oder Kondome sind teuer. Eine
24er-Packung Kondome kostet schnell zwölf Euro. Für junge Frauen, die auf
der Straße leben, sei das nicht nur oft zu teuer – auch das Bewusstsein für
die Wichtigkeit von Verhütungsmitteln fehle vielen Ausreißerinnen, sagt
Streetworkerin Benthe Müller. Sie leitet den Hamburger Standort der
Stiftung Off Road Kids, die Jugendliche und Erwachsene bis 27 Jahre
unterstützt, die auf der Straße gelandet sind.
Seit dem vergangenen Jahr wurden neun der jungen Frauen, die Off Road Kids
in Hamburg betreut, schwanger. „Auf der Straße schwanger zu werden, ist der
falscheste Zeitpunkt überhaupt“, sagt Müller, die für die Frauen Plätze in
Mutter-Kind-Einrichtungen gesucht hat oder sie bei der Wohnungssuche
unterstützt.
Um weitere ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden, hat ihr
Sozialarbeiterteam das Projekt Streetwork+ gestartet. Sie wollen ab März
ein Viertel ihrer täglichen Straßensozialarbeit nutzen, um Jugendliche und
junge Erwachsene über Verhütung aufzuklären – und Kondome zu verteilen.
Dabei gehe es nicht allein um Schwangerschaften, sondern auch um sexuell
übertragbare Krankheiten und Infektionen. „Selbst eine kleine
Pilzerkrankung ist auf der Straße schwer zu behandeln“, sagt Müller.
Manche Frauen, mit denen sie arbeitet, seien noch nie beim Frauenarzt
gewesen. Die Hemmschwelle ist groß. Die Sozialarbeiter sprechen deshalb
meist in ihrem Büro über solche Themen mit den jungen Frauen – „nicht auf
der Straße, wo jeder zuhören kann“, sagt Müller. Zudem wollen die
Mitarbeiter von Off Road Kids ein Netzwerk aus Ärzten aufbauen, die bereit
sind, die jungen Frauen zu behandeln.
## „Leben auf der Straße bedeutet, sexuell angreifbar zu sein“
Ein Besuch beim Gynäkologen sei auch deshalb wichtig, weil viele der Frauen
nicht gut aufgeklärt seien und dächten: „Ich seh’ doch, ob der was hat od…
nicht“, so Müller. „Dass man das eben nicht kann, müssen sie lernen.“
Wohnungslose Frauen bleiben auf der Straße oft unsichtbar. „Meist ist es
verdeckte Obdachlosigkeit“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Brigitte
Sellach, die über Frauen und Wohnungslosigkeit geforscht hat. Die Frauen
kommen bei Freunden, Männern oder Hilfseinrichtungen unter, wenn sie keine
Wohnung mehr hätten.
Diejenigen, die auf der Straße landeten, hätten häufig traumatisierende
Erlebnisse hinter sich, litten an psychischen Erkrankungen oder
Alkoholsucht, sagt Sellach. „Sie haben all ihre sozialen, mentalen und
finanziellen Ressourcen verloren.“ Zudem bedeute „ein Leben auf der Straße,
sexuell angreifbar zu sein“, sagt Sellach. Wirklichen Schutz hätten die
Frauen nur in Fraueneinrichtungen.
In Hamburg waren im Januar im Schnitt jeden Tag 80 Frauen im
Winternotprogramm untergebracht. Das sind rund 9,5 Prozent aller Menschen,
die dieses Angebot genutzt haben. In der Stadt gibt es für wohnungslose
Frauen verschiedene Anlaufstellen: etwa das „Frauen Zimmer“ des städtischen
Unternehmens Fördern + Wohnen. Dort gibt es für Frauen „in besonderen
sozialen Schwierigkeiten“, wie es heißt, an 365 Tagen im Jahr 30
Sofortschlafplätze und 20 langfristige Wohnplätze samt Beratung. Ziel ist
es, sie in eigene Wohnungen zu vermitteln.
Sozialarbeiterin Müller sorgt sich darum, dass junge Frauen trotz der
Angebote arglos bei Männern übernachteten, die sie kaum kennen. „Das hat
immer seinen Preis.“
22 Feb 2017
## AUTOREN
Andrea Scharpen
## TAGS
Hamburg
Sexualisierte Gewalt
Aufklärung
Obdachlosigkeit
Verhütung
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Frauen
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S-Bahn
Schwerpunkt Rassismus
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