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# taz.de -- Hilfefinder-App für Straßenkinder: Ein Weg aus dem Dschungel
> Rund 1.500 Straßenkinder gibt es in Berlin, darunter auch unbegleitete
> minderjährige Flüchtlinge. Eine Handy-App namens „Mokli“ soll sie
> unterstützen, Hilfe zu finden.
Bild: Jugendliche nehmen im September 2015 an einer Konferenz der Straßen- und…
Viel weiß man nicht über minderjährige Flüchtlinge, die auf der Straße
leben. Aber das, was bekannt ist, ist alarmierend. Etwa die Geschichte von
den afghanischen Jugendlichen, die im Tiergarten schlafen und anschaffen –
für Essen, manche auch für Heroin. Als das Bundeskriminalamt im Vorigen
Jahr erklärte, rund 9.000 Flüchtlingskinder seien „verschwunden“, schreck…
die Öffentlichkeit kurz auf.
Zwar dürften sich die meisten dieser Kinder und Jugendlichen schlicht nicht
abgemeldet haben, als sie sich zu Verwandten oder Freunden in andere Städte
aufgemacht haben. Aber die Tatsache bleibt: Immer wieder fallen
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, im Amtsdeutsch UMF genannt, aus den
staatlichen Hilfesystemen. Oder sie sind nie darin angekommen. Sie
verschwinden von der amtlichen Bildfläche, so wie es bisweilen mit hiesigen
Kindern geschieht, die von ihren Eltern, aus Pflegefamilien oder
Jugendhilfeeinrichtungen abhauen – oder gar rausgeworfen werden.
Für all diese „Draußenkinder“ hat der Verein Karuna, der sich um Straßen-
und Flüchtlingskinder kümmert, jetzt eine Hilfefinder-App entwickelt –
zunächst in Deutsch, Arabisch, Englisch und Polnisch. Weitere Sprachen
sollen folgen. [1][„Mokli – die App für Kinder in der Kälte“] gebe
Jugendlichen „ein Werkzeug an die Hand, sich selbst besser helfen zu
können“, erklärt der Gründer und Leiter von Karuna, Jörg Richert. Der Name
spielt an auf den Jungen Mogli, der im Dschungel lebt und nicht weiß, woher
seine nächste Mahlzeit kommt oder wo er in der nächsten Nacht schlafen
soll.
Die Anwendung funktioniert wie ein Wegweiser: Mittels einer interaktiven
Landkarte können die NutzerInnen einen sicheren Schlafplatz finden, eine
Essensausgabe oder einen Arzt. Ob der Hund mitgenommen werden darf, ist
auch vermerkt. Zudem gibt es Adressen von Suchtberatungen, Rechtshilfen,
Seelsorgen sowie Anlaufstellen für Jungen und Mädchen, die weg von der
Straße wollen. Über 3.000 Versorgungs- und Beratungsstellen bundesweit
seien in der App zu finden, so Richert.
## Über 600 UMF mit „unbekanntem Aufenthalt“
In Berlin leben laut der zuständigen Senatsverwaltung für Jugend rund 2.600
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Von den zwischen 2015 bis Anfang
Februar 2017 nach Berlin eingereisten UMF würden insgesamt 624 mit dem
Status „unbekannter Aufenthalt“ geführt – mit anderen Worten: Sie seien
nicht in den Unterkünften, denen sie zugeteilt wurden, und die Behörden
kennen deren Aufenthaltsort nicht. Die Träger der Unterkünfte seien dann
angehalten, Vermisstenanzeigen bei der Polizei zu erstatten. Wie viele
„Draußenkinder“ es insgesamt in Berlin gibt, weiß niemand genau. Richert
schätzt ihre Zahl auf 1.500 bis 1.700.
Auf die Frage, warum immer wieder minderjährige Flüchtlinge verschwinden,
hat der Karuna-Chef, dessen Verein unter anderem ein Wohnprojekt für
Straßen- und Flüchtlingskinder betreut, mehrere Antworten. Da gebe es zum
einen jene, die in der Tat nur Verwandte in anderen Städten besuchten und
sich in ihrer Einrichtung nicht abmeldeten. Denn oft, sagt Richert, sei den
Jugendlichen gar nicht bewusst, dass sie einen festen, für sie zuständigen
Betreuer haben, weil diese aufgrund der vielen Flüchtlinge im vorigen Jahr
völlig überlastet waren. „Erst langsam wird es ruhiger und die
Sozialarbeiter können sich besser um die Jugendlichen kümmern.“
Dann gebe es Jugendliche, die wegen Konflikten mit anderen Jugendlichen
wegliefen, so Richert. „Es gibt zum Beispiel starke Abgrenzungen zwischen
afghanischen und syrischen Jungs.“ Schließlich gebe es die Flucht aus
schlechten Betreuungseinrichtungen, sagt er – und meint „schlecht im Sinne
einer starken Fremdbestimmung der Jugendlichen, einer starken
Verbotskultur. Wer sich da nicht unterordnet, wird ‚delinquent‘, wie es
dann heißt, oder aggressiv oder geht weg.“
Aber wohin? Die Stationen dürften ähnlich sein wie bei deutschen
Jugendlichen, die weglaufen: erst zu Freunden, dann zu entfernteren
Bekannten, am Ende kommen Bahnhof, Park, Straße. „Wo soll man suchen?“,
fragt Richert.
## „Zugangsmöglichkeit“ für Sozialarbeiter
Man kann solche Kids eigentlich nur finden, wenn sie gefunden werden wollen
und sich melden – ab jetzt zum Beispiel über Mokli. Ein
„niedrigschwelliges“ Angebot nennt es Richert – und zugleich eine
„Zugangsmöglichkeit“ für Sozialarbeiter, an die Kinder und Jugendlichen
heranzukommen. „Man gibt ihnen erste Hilfe, etwas zu essen, und versucht,
langsam Vertrauen aufzubauen“, beschreibt er die Strategie hinter der
Smartphone-App.
Dazu soll mit der App auch eine Notfall-WhatsApp-Gruppe ausgebaut werden,
in der 40 bis 60 ehemalige Straßenkinder versammelt sind: ein Netzwerk
gegenseitiger Hilfe, das man anfunken kann, etwa wenn ein Freund
selbstmordgefährdet ist und man Rat braucht. Derzeit, erklärt Richert,
würden die Jugendlichen der Gruppe in einer Weiterbildung geschult, „damit
sie nicht retraumatisiert werden, wenn sie anderen helfen“.
Und wenn Mokli nun richtig einschlägt und die WhatsApp-Gruppe bald
überschüttet wird mit Hilferufen von Straßen- und Flüchtlingskindern in
Not? Richert zeigt sich optimistisch, dass er dann einen Topf finden wird,
aus dem er Personal finanzieren könnte. „Für gute Ideen gibt es immer
irgendwo Geld.“
23 Feb 2017
## LINKS
[1] https://mokli-help.de
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Straßenkinder
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