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# taz.de -- Konferenz-Initiator über Straßenkinder: „Schwierige nicht ausso…
> Jörg Richert will betroffene Jugendliche über ihre Situation beraten
> lassen. Er fordert, dass Jugendwohnungen Unangepasste nicht mehr
> rauswerfen dürfen.
Bild: Obdachlose Jugendliche am Bahnhof Zoo.
taz: Herr Richert, warum lädt Ihr Verein „Karuna“ zur Bundeskonferenz der
Straßenkinder?
Jörg Richert: Es gibt viele junge Menschen, die die Jugendhilfe einfach
nicht mehr erreicht. Das geht so nicht weiter. Wir brauchen neue Ideen. Und
die können diese Jugendlichen sehr gut selber entwickeln.
Wie viele Straßenkinder gibt es?
Die 26 Hilfeeinrichtungen des „Bündnisses für Straßenkinder“ haben im Ja…
etwa 12.000 Kontakte. Es gibt aber noch mehr Hilfeeinrichtungen. Wir
schätzen, dass 20.000 Jugendliche ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße
haben. Allein in Berlin versorgt „Karuna“ etwa 500 Jugendliche bis 21
Jahre.
Bis zu welchem Alter ist die Jugendhilfe zuständig?
Weil die Jugendlichen durch das Leben auf der Straße entwicklungsverzögert
sind, ist die Jugendhilfe bis 21 zuständig. Das wird vom Jugendamt
unterlaufen. Da heißt es, nach 18 ist Schluss. Es gibt bei den jungen
Volljährigen einen Systemstreit, wer die Kosten übernimmt: die Jugendhilfe,
die Jobcenter oder das Gesundheitswesen?
Was läuft beim Jugendamt falsch?
Das geht oft schon beim ersten Kontakt schief. Aus Untersuchungen wissen
wir, dass 70 Prozent dieser Mädchen und Jungen unter Traumatisierungen
leiden. Deshalb müsste gleich ein Therapeut hinzugezogen werden. Nur der
kann mit so einem Jugendlichen angemessen arbeiten, auch um keine
Retraumatisierung auszulösen. Ich kenne kaum ein Straßenkind ohne komplexe
posttraumatische Belastungsstörung. Aber Kinder- und
Jugendpsychotherapeuten tauchen meist erst am Ende des Hilfeprozesses auf,
wenn überhaupt. Je länger diese Jugendlichen auf der Straße leben, desto
aussichtsloser ist eine psychische „Heilung“, von Gewalt- und
Missbrauchserleben.
Warum hilft die Jugendhilfe diesen Kindern nicht?
Es gibt in der stationären Jugendhilfe eine ausgeprägte Verbots- und
Bestrafungskultur. Damit der Alltag Struktur hat, werden viele Regeln
aufgestellt. Wer dagegen verstößt, wird bestraft. Oder es gibt ein perfides
Bestrafen, das über Lob funktioniert. Passt du dich gut an, bekommst du was
Schönes. Doch bitte, was bekommen Jugendliche, die ihre Handlungsprozesse
nicht steuern können? Sie gehen leer aus. Erhalten keine Bestätigung für
ihre Anstrengungen.
Um was für Regeln geht es?
Therapieeinrichtungen verbieten zum Beispiel den Kontakt zum anderen
Geschlecht. Sagen Sie mal einem 16-Jährigen, er darf keine Beziehung zu dem
hübschen Mädchen in seiner Jugend-WG haben. So können sie sich nicht auf
das Leben nach der Jugendhilfe vorbereiten. Und wer immer wieder rausfliegt
aus den Hilfemaßnahmen, läuft Gefahr, in einem geschlossenen Heim zu
landen. Da ist dann alles verboten, bis auf Atmen.
Was muss passieren?
Auch die Jugendhilfe braucht Inklusion. Wir müssen aufhören, die
Schwierigen auszusondern. Da bräuchte es einen richtigen Ruck. Was
inzwischen die Schulen tun, muss auch die Jugendhilfe zum Ziel haben. Man
könnte als neuen Qualitätsstandard für das betreute Jugendwohnen festlegen,
dass Jugendliche nicht mehr aus disziplinarischen Gründen entlassen werden
dürfen. Das A und O ist, Beziehungsarbeit zu leisten.
Und wenn einer raus will?
Freiwillig sollte ein Jugendlicher immer gehen können. Es geht hier um den
Rauswurf. Das ist für einen Jugendlichen immer eine starke Belastung. Dass
dies so regelhaft passiert, zeigt, dass unser gesamtes System krank ist.
Woran krankt es denn?
Ein Problem ist die Art der Finanzierung. Wir bräuchten mehr
Hilfeeinrichtungen, die pauschal finanziert werden. Solange über „Fälle“
abgerechnet wird, haben die Einrichtungen ein Interesse, nur Kinder
aufzunehmen, die wenig Arbeit machen. Wir von Karuna hatten früher eine
Pauschalfinanzierung. Das rechnet sich für die Kommunen und fördert die
Aufnahmebereitschaft gegenüber den schwerbelasteten jungen Menschen.
19 Sep 2014
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Konferenz
Wohnheim
Obdachlosigkeit
Inklusion
Straßenkinder
Obdachlosigkeit
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