# taz.de -- Inklusion am Frühstückstisch: Alle unter einem Dach | |
> Inklusion hört nicht nach der Schule auf. Das zeigt ein neues | |
> Modellprojekt des Bremer Martinsclubs: In Schwachhausen gibt es jetzt | |
> eine inklusive WG | |
Bild: Organisation ist alles: Küche der inklusiven WG. | |
BREMEN taz | Es sieht ein bisschen aus wie Inklusion de Luxe: In | |
Schwachhausen hat der Bildungs- und Beschäftigungsträger Martinshof die | |
erste inklusive WG Bremens gegründet. Vier StudentInnen und vier Menschen | |
mit Beeinträchtigung leben jetzt gemeinsam unter einem Dach. | |
Der Martinsclub hat dafür ein Altbremer Haus in der Delbrückstraße gekauft | |
und aufwändig saniert. Die Ausstattung und Möblierung übernahm größtenteils | |
eine Innenarchitektin. Die insgesamt dafür nötigen 1,8 Millionen Euro | |
wurden von der „Aktion Mensch“ und aus einem Rücklagenfonds des | |
Martinsclubs finanziert, mit dem innovative Wohnmodelle umgesetzt werden | |
sollen. | |
Die WG lebt jetzt auf zwei Etagen mit insgesamt 260 Quadratmetern, zwei | |
weitere Wohnungen in den oberen Etagen werden regulär vermietet und dienen | |
so der Querfinanzierung – denn die StudentInnen zahlen weniger als die | |
ortsübliche Schwachhauser Miete. Neben der Wohnküche und dem großzügigen | |
Wohnzimmer hat die Wohnung mehrere barrierefreie Bäder und einen Aufzug. | |
Die acht BewohnerInnen haben jeweils ihr eigenes Zimmer. | |
## Erster Auszug ist schwer | |
„Die Idee für diese WG hatte ich vor drei Jahren“, sagt Nico Oppel, der | |
beim Martinsclub für die Projektleitung zuständig ist. „Ich habe ähnliche | |
Projekte in Süddeutschland gesehen und dachte: Hey, Bremen braucht auch | |
eine inklusive WG!“ Wie immer bei der Inklusion sollen beide Seiten | |
profitieren: „Der erste Auszug von zu Hause ist immer ’was Besonderes, | |
egal, ob es sich um Studis, Auszubildende oder eben Menschen mit | |
Beeinträchtigung handelt“, sagt Oppel. „Und wir haben uns gedacht: Bringen | |
wir sie doch einfach zusammen.“ | |
Die Inklusion solle eben gerade nicht nach der Schule aufhören, die WG | |
vielmehr ein „Baustein für eine inklusive Gesellschaft“ sein, so der | |
Projektleiter. Die vier StudentInnen sollen dabei ausdrücklich keine | |
pflegerischen oder pädagogischen Aufgaben übernehmen – das wird von einem | |
Pflegedienst und der pädagogischen Betreuerin Anne Skwara-Harms übernommen. | |
Angestellt im Martinsclub sind sie dennoch: „Damit können sie sich ein | |
Taschengeld dazu verdienen.“ Dafür begleiten sie ihre MitbewohnerInnen im | |
Alltag, gehen gemeinsam einkaufen oder helfen mal beim Wäschewaschen. In | |
der Küche ist ein großer Wochenplan befestigt, in den sich die StudentInnen | |
eintragen. „Morgens ist immer einer da“, sagt Fred, der inklusive Pädagogik | |
studiert. „Aber wir haben schon gemerkt: Wecken braucht man keinen, das | |
klappt alles bestens. Aber es ist ja auch einfach nett, morgens zusammen | |
einen Kaffee zu trinken.“ | |
Auch nachmittags sei immer einer von den StudentInnen da, „damit niemand in | |
eine leere Wohnung kommen muss“. Denn die vier MitbewohnerInnen mit | |
Beeinträchtigung sind alle berufstätig und tagsüber außer Haus: Sven ist | |
Koch in einem Kindergarten in Hastedt, Janina macht eine Ausbildung zur | |
Landschaftsgärtnerin im Martinshof, Nils arbeitet dort in der Tischlerei | |
und Enrico reinigt Polizeiwagen. | |
## Richtig rein ins Quartier | |
Alle haben gemeinsam, dass die WG ihre erste eigene Wohnung außerhalb des | |
Elternhauses ist. „Das war am Anfang schwierig“, sagt Sven, aber jetzt | |
gefalle es ihm richtig gut. Auch der Landesbehindertenbeauftragte Joachim | |
Steinbrück sagt zur Eröffnung, er sei anfangs schon skeptisch gewesen. Er | |
kennt das Modell aus München und beschreibt es so: Ein etwas älterer Mann | |
mit Beeinträchtigung lebte mit Studierenden zusammen und musste ständig | |
Wechsel erleben, wenn Studierende wieder auszogen. | |
„Alle anderen kommen und gehen, nur er selbst blieb immer da.“ Die | |
inklusive WG des Martinsclubs sei jetzt ein wichtiger Schritt, um wirklich | |
„in die Quartiere reinzugehen und nicht ghettoähnlichen Wohnraum“ auf der | |
grünen Wiese zu schaffen. | |
„Es ist für alle auch ein mutiger Schritt“, sagt Projektleiter Oppelt – | |
sowohl für die Beeinträchtigten als auch für die Studierenden. „Wie das | |
jetzt hier alles wird, weiß ich auch nicht“, aber dafür sei die WG ja auch | |
ein Modellprojekt: Um zu sehen, wie alternative Wohnprojekte am besten | |
laufen. | |
25 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Karolina Meyer-Schilf | |
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