# taz.de -- Gemeinsam leben: Mittendrin! | |
> Vier junge Menschen gründen eine inklusive Wohngemeinschaft – die erste | |
> dieser Art in Bremen. | |
Bild: WG in spe: Sara-Lea, Neele und Adrian (von links nach rechts). Fünf Zimm… | |
„Wichtig ist, dass bei uns niemand unter den Tisch fällt“, sagt Lennart. | |
Seine künftigen MitbewohnerInnen Neele, Adrian und Sara-Lea sind zwischen | |
20 und 30 Jahre alt, haben das Downsyndrom und wollen allmählich raus aus | |
dem Elternhaus. | |
„Zuerst haben sich meine Eltern die Sache mit der WG überlegt, und ich | |
finde das auch gut“, sagt Neele. Ihre Mutter Daniela Buchholz erfuhr vor | |
einem Jahr von einer Wohngemeinschaft in Friedrichshafen, in der | |
Studierende und Menschen mit Behinderung zusammenleben. „Die Idee gefiel | |
mir auch für meine Tochter Neele“, sagt sie. Geplant ist, dass vier junge | |
Erwachsene mit und vier ohne Behinderung zusammenleben. Letztere sollen | |
verschiedene Aufgaben im Haushalt übernehmen und dafür günstiger wohnen | |
können. | |
„Bei den Aufgaben geht es um die üblichen Haushaltssachen: Kochen, putzen, | |
ein bisschen für Struktur sorgen. Ab und zu mit anpacken, wenn es nötig | |
ist“, sagt Lennart. „Natürlich soll es auch um eine gemeinsame | |
Freizeitgestaltung gehen, aber das ist für mich selbstverständlich.“ | |
Dass hinter der ganzen Sache kein pädagogisches Konzept steckt, ist auch | |
Daniela Buchholz wichtig. „Es sollte eben kein 50-jähriger Sozialpädagoge | |
mit einziehen – sondern Freunde.“ | |
Solch ein rein privates Wohnverhältnis ist in existierenden Inklusions-WGs | |
in Deutschland nicht die Regel. In der bundesweit ersten inklusiven | |
Wohngemeinschaft in Potsdam wohnen angehende HeilerziehungspflegerInnen mit | |
beeinträchtigten Menschen zusammen. Sie absolvieren ihre Ausbildung in | |
Teilzeit und betreuen ihre MitbewohnerInnen in wöchentlichen | |
25-Stunden-Diensten. Dafür wohnen sie mietfrei und erhalten 380 Euro im | |
Monat. | |
„Zu Beginn war ich besorgt, dass ich dauerhaft unter Beschlag genommen | |
werde“, sagt Jonathan Meyer. Der Azubi wohnt seit zehn Monaten in der | |
inklusiven WG in Potsdam. Mittlerweile sieht er es sogar als Vorteil, dass | |
sein Privatleben so eng mit seinem Beruf verknüpft ist: „Mir gefällt das | |
super, weil es das erste Projekt ist, bei dem ich mich richtig auf den | |
Klienten einlassen kann.“ | |
Die künftigen Bremer MitbewohnerInnen kennen sich bereits seit einigen | |
Jahren: Der 26-jährige Lennart leitete ein Schreibprojekt, bei dem sich | |
Neele und Adrian kennenlernten, außerdem wirkt er beim Freizeit-Treff mit, | |
an dem Neele wöchentlich teilnimmt. | |
„Ich fand die Idee schon immer spannend, solch ein Projekt mitzugestalten.“ | |
Lennarts Interesse am Thema Inklusion ist durch seine Eltern entstanden, | |
die beide als Studierende bei der Lebenshilfe gearbeitet haben. „Dort habe | |
ich dann auch meinen Zivildienst gemacht“, sagt er. | |
Vier von acht Personen, die in der WG leben werden, sind also bereits | |
gefunden. „Wenn wir vier Leute mit Behinderung sind, finde ich das gut“, | |
sagt Neele. Dabei sei es nicht wichtig, ob die vierte Person Downsyndrom | |
hat oder auf eine andere Art beeinträchtigt ist. „Ich fände es aber gut, | |
wenn als vierte Person noch ein Kumpel für mich dabei wäre“, ergänzt | |
Adrian. | |
Acht junge Erwachsene bedeutet: Acht Zimmer, zwei Bäder, Küche und | |
Wohnzimmer und ein Gästezimmer. „300 Quadratmeter sollten es schon sein, | |
das ist schwierig in Bremen“, sagt Daniela Buchholz. Darüber hinaus haben | |
sich alle Beteiligten fest vorgenommen, etwas Zentrales zu finden: „Die | |
meisten Wohnheime für Menschen mit Behinderung liegen am Stadtrand – genau | |
das wollen wir vermeiden.“ Alle MitbewohnerInnen verbringen einen großen | |
Teil ihrer Freizeit im Viertel, Neeles und Lennarts Arbeitsplätze liegen in | |
Bremen Mitte. | |
Auch unabhängig von der Lage beklagt Daniela Buchholz die Exklusivität der | |
Wohnheime für Menschen mit Behinderung. „Seit dem Kindergarten ist Neele | |
mit nicht-behinderten Menschen zusammen. Warum nicht auch im privaten | |
Wohn-Bereich?“ Ein bisschen sei das auch das WG-Motto: „Wir wollen nicht an | |
den Stadtrand, wir wollen nicht an den Rand der Gesellschaft, sondern | |
mittendrin leben.“ | |
So nachvollziehbar diese Ansprüche sind – sie lassen sich nicht einfach | |
umsetzen. Oliver Käding hat das Potsdamer Wohnprojekt gegründet und kennt | |
die Probleme: „Auf der Suche nach einem großen, zentralen Haus haben wir | |
über 30 Vermieter angeschrieben und erst einmal nur Absagen kassiert.“ | |
Häufige Begründung: Das Haus würde zu stark abgenutzt werden, wenn Menschen | |
mit Behinderung einzögen. | |
Damit in Bremen eine geeignete Wohnung gefunden werden kann, muss auch der | |
Preis stimmen: In der Regel arbeiten Menschen mit Behinderung in | |
Werkstätten für durchschnittlich 160 Euro im Monat und haben einen Anspruch | |
auf Grundsicherung. Neele betrifft diese Regelung als angestellte Tänzerin | |
und Workshop-Leiterin bei der tanzbar Bremen zwar nicht. Doch Adrian ist | |
auf dem Martinshof Bremen in der Küche tätig, und auch Sara-Lea arbeitet in | |
einer Diepholzer Werkstatt – mehr als eine Miete von 6,50 Euro pro | |
Quadratmeter können sie nicht bezahlen. | |
„Wir sind eben ein bisschen auf Menschen angewiesen, die etwas Gutes tun | |
wollen“, sagt Daniela Buchholz. „Dafür muss es auch kein Traumhaus sein, | |
wir können da gern noch Eigenleistung einbringen.“ Trotz aller | |
Schwierigkeiten hoffen die künftigen MitbewohnerInnen auf eine | |
Einweihungsparty Ende 2015. „Ich bin jetzt 23 Jahre alt“, sagt Neele, „da | |
muss ich nicht noch drei Jahre zu Hause wohnen.“ | |
16 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Clara Zink | |
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