# taz.de -- Wahlrechtsrefom in Italien gescheitert: Neuwahl nach altem Muster | |
> Das Verfassungsgericht kassiert die Wahlrechtsreform, die Renzi durchs | |
> Parlament geboxt hatte. Trotzdem rechnet dieser sich gute Wahlchancen | |
> aus. | |
Bild: Matteo Renzi will bald neu wählen lassen | |
ROM taz | Der Weg zu baldigen Neuwahlen in Italien ist frei. Am | |
Mittwochabend hat das Verfassungsgericht das Wahlgesetz für das | |
Abgeordnetenhaus in wichtigen Teilen für verfassungswidrig erklärt. | |
Ausgerechnet der Hauptverantwortliche für das 2015 verabschiedete Gesetz, | |
Matteo Renzi, freute sich über den Richterspruch wie ein Schneekönig. Für | |
Renzi, bis Dezember 2016 Regierungschef und amtierender Vorsitzender der | |
linken Partito Democratico (PD), zählt nur eines: Neuwahlen. | |
„Am Abend des Wahltags wissen die Bürger, wer sie in den nächsten fünf | |
Jahren regieren wird“ – mit diesem Argument hatte Renzi das neue Wahlrecht | |
im Parlament durchgeboxt. In der Tat sah das Gesetz vor, dass die Partei, | |
die im ersten Wahlgang 40 Prozent gewinnt, automatisch 340 der 630 Sitze im | |
Abgeordnetenhaus erhält. Sollte keine Partei 40 Prozent erreichen, sollte | |
eine Stichwahl unter den beiden Bestplatzierten über den Sieger | |
entscheiden. | |
Damit wäre in der Tat der Weg zu einer schnellen Regierungsbildung | |
garantiert, zumal der Senat als zweite gleichberechtigte Kammer wegfallen | |
und zur einflusslosen Vertretung der Regionen degradiert werden sollte. Mit | |
der Verfassungsreform war Renzi schon am 4. Dezember im Referendum krachend | |
gescheitert. Jetzt ist auch die Wahlrechtsreform Makulatur. | |
Die Richter beließen zwar den Mehrheitsbonus für eine Partei, die mehr als | |
40 Prozent erhält, strichen aber eine mögliche Stichwahl. Da es im | |
gegenwärtigen Parteiengefüge höchst unwahrscheinlich ist, dass eine Partei | |
mehr als 40 Prozent erzielt, werden die Sitze weiterhin nach Proporz | |
verteilt, mit einer Sperrklausel von 3 Prozent. | |
Auch für den Senat gilt aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichts | |
von 2014 Proporzwahlrecht. Für den Senat können sich die Parteien zu | |
Koalitionen zusammenschließen. Jede Koalition muss jedoch mindestens 20 | |
Prozent gewinnen, um Sitze zu erhalten; einzeln antretende Parteien müssen | |
die Hürde von 8 Prozent überwinden. | |
Eine allein bestimmende Kammer mit klarem Mehrheitswahlrecht – dies war der | |
Kern der Renzi-Reformen. Mit dem Referendum vom Dezember und dem jetzt | |
gefällten Verfassungsgerichtsurteil ist das gerade Gegenteil | |
herausgekommen. Italien verfügt weiterhin über zwei gleichberechtigte | |
Häuser des Parlaments, die beide nach reinem Proporz gewählt werden. | |
Dennoch zeigte sich Renzi in Feierlaune. Denn die Richter teilten zugleich | |
mit, das von ihnen modifizierte Wahlrecht könne sofort zur Anwendung | |
kommen. Und Renzi will nichts dringlicher als schnelle Neuwahlen, möglichst | |
mit einem Termin im Mai oder Juni, um sein politisches Comeback zu | |
organisieren, mit einer allein auf ihn zugeschnittenen Kampagne. Denn die | |
automatisch ins Parlament einziehenden Listenführer in den 100 Wahlkreisen | |
werden von der Parteiführung, also vom Renzi-Lager bestimmt. | |
Begeisterte Befürworter schneller Wahlen ist auch Beppe Grillo, Chef des | |
Movimento5Stelle (M5S). Das M5S steht mit etwa 30 Prozent in den | |
Meinungsumfragen blendend da, gleichauf mit der PD. Und auch die in Europa | |
mit Marine Le Pen verbündete Lega Nord drängt an die Urnen. Widerstände | |
könnte es jedoch aus dem Parlament geben: Knapp 600 der 945 Abgeordneten | |
und Senatoren befinden sich in ihrer ersten Legislaturperiode; sie | |
verlieren bei Wahlen vor dem September 2017 jeden Pensionsanspruch aus | |
ihrer parlamentarischen Tätigkeit. | |
26 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Matteo Renzi | |
Italien | |
Verfassungsgericht | |
Wahlrecht | |
Matteo Renzi | |
Beppe Grillo | |
italienische Parlamentswahlen | |
Italien | |
Italien | |
Italien | |
Italien | |
Matteo Renzi | |
Italien | |
Regierung Renzi | |
Italien | |
Italien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zerstrittene Splitterparteien in Italien: Keine Chancen für eine linke Liste | |
Gewählt wird zwar erst im Jahr 2018. Doch schon jetzt gelingt es Renzis | |
Kritikern nicht, sich auf eine gemeinsame Liste zu einigen. | |
Kommunalwahlen in Italien: Herbe Wahlschlappen für Beppe Grillo | |
Bei den Kommunalwahlen kassiert die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers | |
Prügel. Grund dafür sind wohl interne Streitigkeiten. | |
Kommentar Neues Wahlsystem: Italien wählt jetzt deutsch | |
Das Parlament in Rom gibt sich ein an Deutschland angelehntes Wahlsystems. | |
Mehr Stabilität nach den Neuwahlen wird das nicht bringen. | |
Neuwahl und Wahlgesetz in Italien: Wählen nach deutschem Vorbild | |
Im Herbst wollen alle Parteien des Landes sich an der Urne messen lassen. | |
Dazu haben sie in seltener Einmütigkeit ein Wahlgesetz beschlossen. | |
Kommentar Fluglinie Alitalia: Pleite mit Symbolgehalt | |
Alitalia am Abgrund: Die Firma steht beispielhaft für die Politik in einem | |
Land, das sich seit mehr als 20 Jahren von einer Krise zur nächsten | |
schleppt. | |
Kommentar linke Parteispaltung in Italien: Großer Schaden für „Renzismus“ | |
Nach dem Austritt linker Kritiker aus der Partito Democratico dürfte | |
Italien statt zum Reformmotor wieder zum Sorgenkind Europas werden. | |
Demokratische Partei in Italien: Renzis Partei vor der Spaltung | |
Die Regierungspartei Partito Democratico zerlegt sich gegenwärtig selbst. | |
Streitpunkt ist erneut der Machtanspruch von Matteo Renzi. | |
Regierungsumbau in Italien: Renzis Leute bleiben am Drücker | |
Paolo Gentiloni ist Italiens neuer Ministerpräsident. Die Regierung Renzi | |
kann aber weitermachen wie gehabt – wenn auch ohne den alten Chef. | |
Ministerpräsident verkündet Besetzung: Italiens neue Regierung steht | |
Italiens designierter Regierungschef Paolo Gentiloni stellt das neue | |
Kabinett vor. Der bisherige Innenminster Angelino Alfano wird künftig | |
Außenminister. | |
Italien zwischen Renzi und Grillo: Zwei sind einer zu viel | |
Matteo Renzi und Beppe Grillo hatten mal dasselbe Ziel: die Übernahme der | |
gemäßigt linken Partito Democratico. Nun lauern beide auf eine Neuwahl. | |
Italien hat neuen Regierungschef: Gentiloni vor enormen Aufgaben | |
Italiens Staatspräsident weiß um die prekäre Lage des Landes. Seine Lösung | |
heißt Paolo Gentiloni. Der als besonnen Geltende soll es jetzt richten. | |
Kommentar Italiens Regierungskrise: Gar nicht so dramatisch | |
Die Verfassungsänderung in Italien galt als Entscheidung über die | |
europäische Wirtschaft. Die Bevölkerung hat sie abgelehnt. Bisher ist | |
nichts passiert. |