# taz.de -- Graphic Novel über Syrien: Monument der Unbeugsamkeit | |
> Hamid Sulaimans „Freedom Hospital“ ist jugendkulturell geprägt. Und lenkt | |
> den Blick auf die zivile Opposition und eine idealistische Bewegung. | |
Bild: Mit „Freedom Hospital“ ist Sulaiman eine Art „Syrien für Einsteige… | |
Hamid Sulaiman teilt das Schicksal vieler junger Syrer. 1986 in Damaskus | |
geboren, beteiligte sich der Kunst- und Architekturstudent an den zivilen | |
Demonstrationen gegen das System Baschar al-Assads. Er nahm an der | |
Demokratiebewegung teil und landete mit Mitte zwanzig im Gefängnis. Danach | |
stand er vor der Wahl: zu schweigen, in den Untergrund zu gehen – oder vom | |
Exil aus den Kampf mit seinen eigenen, künstlerischen Mitteln fortzusetzen. | |
Zum Glück entschied er sich im August 2011 für Letzteres. | |
Nachdem ihn seine Flucht über Ägypten nach Frankreich führte, schuf er in | |
einem Prozess von vier Jahren die Graphic Novel „Freedom Hospital“. Tausend | |
Einzelzeichnungen und 280 Seiten später können wir nun anhand einer | |
exemplarischen Geschichte dem typischen Verlauf der syrischen | |
Revolutionsbewegung in einer Bildgeschichte folgen und die Ereignisse | |
nachvollziehen. | |
Einer Geschichte, von denen die Kriegsbilder des Fernsehens zumeist kaum | |
einen Einblick vermitteln. So können westliche Kamerateams nur von außen | |
filmen, eingebettet in die syrische Armee. Was im Inneren der | |
Rebellenzentren passiert, sehen sie nicht. Sulaimans „Freedom Hospital“ ist | |
hingegen eine Auseinandersetzung damit. Mit seiner eigenständigen Ästhetik | |
ist es auch eine starke Antwort auf Propagandabilder, wie sie der IS oder | |
das syrische Staatsfernsehen verbreiten. | |
Die Hauptfigur der Zeichengeschichte ist die 1984 in Damaskus geborene | |
Yasmin, eine junge, schwungvolle, urbane Rebellin. Ihre Konstruktion, so | |
Sulaiman, basiert auf einer ihm bekannten realen Person. Den Namen des Orts | |
der Handlung, die Provinzstadt „Houria“ im Norden Syriens, hat der Autor | |
allerdings erfunden, um in der Darstellung freier agieren zu können. „Die | |
Anlage der Straßen und Häuser die ich gezeichnet habe“, sagt Sulaiman, | |
„lässt sich aber so in den meisten Städten und Dörfern Syriens | |
wiederfinden.“ | |
„Freedom Hospital“ ist eine Undercover-Reise durch das von den Rebellen | |
gehaltene Gebiet. Hier in diesem fiktiven Houria, nahe der türkischen | |
Grenze, hat Yasmin ihr kleines geheimes Krankenhaus, das „Freedom | |
Hospital“, eingerichtet. Dort versorgt sie Verwundete aller möglichen | |
Gruppen, die sich in staatliche Medizinzentren nicht wagen dürfen. Yasmin, | |
Studentin der Pharmazie in Damaskus mit Auslandserfahrung, sollte in diesem | |
Jahr eigentlich in den USA promovieren. Doch dann kam mit der syrischen | |
Revolution 2011 alles anders. | |
## Die Freundin nach Syrien schmuggeln | |
Zu Beginn der Geschichte schmuggelt die weltoffene Frau ihre in Frankreich | |
lebende syrische Freundin, die Filmemacherin Sophie, über die türkische | |
Grenze in die Stadt. Das gelingt ihr mit Hilfe des örtlichen Kommandanten | |
der Freien Syrischen Armee, Abu Taysir. Houria ist in verschiedene | |
Einflusszonen aufgeteilt und Abu Taysir eine lokale Autorität. Er steht in | |
Gegnerschaft zu Baschar al-Assad, aber auch zu den radikalen Islamisten, | |
und schützt NGOs wie das Freedom Hospital. | |
Doch der bewaffnete Kampf ist bei der zivilen Opposition, den pazifistisch | |
orientierten Mitarbeitern des Freedom Hospitals umstritten. Sulaiman zeigt | |
eine Szene, in der Abu-Taysirs Rebellen die Tanks der in die Stadt | |
eindringenden Regierungstruppen mit tragbaren, panzerbrechenden Raketen | |
stoppen. Die Situation ist dramatisch. Zuvor gab es Massenerschießungen, | |
das geheime Krankenhaus steht kurz vor der Entdeckung. | |
Und dennoch lässt der Autor seine Figuren die militärische Strategie | |
hinterfragen. Denn wo sich die Panzer des Regimes nicht mehr hineintrauen, | |
hagelt es bald noch mehr Bomben aus der Luft, da sind sich Yasmin und ihre | |
Mitstreiter sicher. | |
Yasmins eingeschleuste Freundin will aus dem Untergrund heraus einen Film | |
über das Freedom Hospital drehen. Sie wird im Laufe der Comic-Geschichte | |
Zeugin der Brutalisierung staatlicher Repression und der damit | |
einhergehenden schleichenden Islamisierung des Widerstands. Den gemäßigten | |
Kräften fehlt es an Geld und Waffen. Von beiden Seiten, dem Regime und den | |
Islamisten, werden sie hart bedrängt. | |
## Human bis zum Letzten | |
Autor Sulaiman hält in fast aussichtsloser Position zeichnend dagegen. | |
Dabei ist sein Comicstil von jugendkulturellem Esprit und popkulturellem | |
Charme getragen. Seine Haltung scheint eine entfernte Verwandte der | |
legendären Love-&-Rockets-Reihe der US-amerikanischen Gebrüder Hernández, | |
die um 1990 erschien. Sulaimans Heroinnen sind in jeder Hinsicht Drop-outs, | |
aber human bis zum Letzten auch in aussichtsloser Situation. Sie verweigern | |
sich der Erwachsenenlogik des Militarismus und bleiben dabei ziemlich | |
furchtlos. | |
So wie Sulaiman als Künstler selbst, der sich zum Comiczeichner ermächtigt | |
und durch seine kontrastreichen, expressiven Schwarz-Weiß-Zeichnungen von | |
einem „anderen Syrien“ erzählt. Nicht perfekt, aber authentisch. Originell | |
und in Europa bislang weitgehend unbekannt – mit deutlich antiautoritärer | |
Handschrift. Einer, der keine einfache Wahrheiten sucht, aber große Ideale | |
praktisch umzusetzen versucht. | |
Hamid Sulaiman hat „Freedom Hospital“ seinem 2013 vom syrischen | |
Geheimdienst zu Tode gefolterten Freund Hussam Khayat gewidmet. Seine | |
Tuschezeichnungen spielen mit starken Kontrasten, mitunter erinnern sie an | |
Scherenschnitte oder Druckgrafiken der 1980er Jahre. Im vergangenen Jahr | |
wurden Originalzeichnungen des Comics in Galerien in Frankreich und auch in | |
Deutschland ausgestellt. | |
Die künstlerische Sublimierung bietet die Möglichkeit, den Blick auf das | |
Grauen zu richten, ohne als Individuum daran zu zerbrechen. Die Zeichnung | |
wird hier zum Medium der Aneignung, Überwindung und Befreiung zugleich. | |
„Freedom Hospital“ ist ein Monument der Unbeugsamkeit, der Rebellion, der | |
Verweigerung und der Erinnerung – an eine revolutionäre Bewegung, die es im | |
Moment des Betrachtens so schon nicht mehr gibt. | |
Mit „Freedom Hospital“ ist Sulaiman eine Art „Syrien für Einsteiger“ | |
gelungen, spannend und ohne großes Vorwissen lesbar. Ein willkommenes | |
Angebot für viele, sind wir doch, was Syrien anbetrifft, häufig immer noch | |
Analphabeten. | |
29 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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