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# taz.de -- Comicjournalistin über ihre Recherche: „Ich bin neugierig wie ei…
> Die Zeichnerin Sarah Glidden hat in Syrien, der Türkei und dem Libanon
> für „Im Schatten des Krieges“ recherchiert. Ein Gespräch über ihre
> Arbeit.
Bild: Damaskus im Jahr 2008
taz: Frau Glidden, Sie sind 2010 mit befreundeten Reportern einer
unabhängigen Online-Publikation zu Recherchen in die Türkei gereist, nach
Syrien, in den Libanon und Irak. Hatten Sie keine Angst vor Attentaten?
Sarah Glidden: Wir sind nicht in gefährlichen Gegenden gewesen. Unser Fokus
lag auf Irakern, die sich auf der Flucht vor dem Krieg an sichere Orte
begeben haben. Vielleicht ist der deutsche Titel meines Comics, „Im
Schatten des Krieges“, ein bisschen irreführend. Viele denken, es ginge um
Kriegsberichterstattung. Aber wir wollten das Danach zeigen.
Wie rüstet sich eine Comicjournalistin für so eine Reise?
Ich habe natürlich mein eigenes Equipment bei mir gehabt, ein
Aufnahmegerät, ein Skizzenbuch und meine Kamera. Das sind meine drei „Must
haves“. Und ich habe eine Menge gelesen vor der Reise.
Hatten Sie in der Region mit Antisemitismus zu tun?
Auf direkte Nachfrage, was selten vorkam, habe ich erzählt, dass ich
jüdische Amerikanerin bin. Dann kam prompt: Ich habe nichts gegen Juden.
Meine israelischen Freunde hatten allerdings ziemlich Angst um mich. Einer
hat mich am Telefon für komplett wahnsinnig erklärt.
Sie berichten in erster Linie über die Recherchetätigkeit der Journalisten.
Warum?
Ich wollte, dass meine Leser verstehen, wie Journalisten zu Werke gehen.
Wir nehmen das normalerweise als gegeben hin wie Leitungswasser.
Zuallererst bin ich allerdings meiner eigenen Neugierde gefolgt. Damals war
die Situation ja anders als heute, wo alle über Fake News oder fehlende
Medienkompetenz sprechen.
Die Situation in Syrien war auch eine andere. Welchen Eindruck hatten Sie
vom Vorkriegs-Damaskus?
Ich habe die Stadt geliebt, am liebsten wäre ich gleich danach wieder
hingefahren. Damaskus ist sehr schön. Es gab eine Menge Touristen, und
viele junge Menschen aus aller Welt haben dort Arabisch gelernt. Eines war
allerdings irritierend. In Beirut hatten alle, die wir getroffen haben, bis
hin zum Klempner, sofort über Politik diskutieren wollen. Dann kommt man
nach Syrien, und plötzlich ist Politik genau das, worüber partout niemand
sprechen will.
Der Krieg in Syrien begann 2011. Haben Sie überlegt, die weitere
Entwicklung in das Buch einzubeziehen?
Es gab diesen Impuls. Die Proteste begannen drei Monate nach unserem
Aufenthalt. Aber ich wollte die Dinge so zeigen, wie wir sie wahrgenommen
haben. Wie wir zum Beispiel aus dem Staunen nicht mehr rauskamen über die
riesigen Assad-Porträts, die alle paar Meter in der Stadt hängen.
Ihr erstes Buch, „Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger“, ist stark
aus Ihrer Perspektive gezeichnet und geschrieben. Wieso haben Sie Ihren
Charakter diesmal stärker beobachtend angelegt?
Meine Geschichte ist diesmal einfach nicht das Wichtigste. Ich bin nur als
eine Art Orientierungshilfe im Buch und um zu markieren, dass von einem
bestimmten Standpunkt aus erzählt wird.
Sie haben mal gesagt, Sie würden sich selbst absichtlich als ahnungslos
darstellen. Wozu?
Weil ich mir genau so vorkomme. Wenn ich über etwas berichte, bin ich
zuerst mal neugierig wie ein Kind. Natürlich gibt man als Autorin sein
Bestes, alles Mögliche herauszubekommen und auf den Punkt zu bringen. Ich
möchte aber, dass mein Charakter dabei für meine Leser einen persönlichen
Bezugspunkt darstellt. Niemand mag Besserwisser.
Wieso verwenden Sie diese milden Aquarellfarben?
Einmal ist das einfach meine Art, zu zeichnen und zu malen. Und dann wollte
ich die Orte nicht orientalisieren oder das Klischee vom gewalttätigen
Nahen Osten bedienen. Wir haben auf unserer Reise viele Orte gesehen, die
auf uns vertraut wirkten, oder Straßen, die einfach nur von langweiligen
Gebäuden gesäumt waren. Den meisten Panels habe ich Fotos zugrundegelegt
für einen realistischen Eindruck. Journalismus ist ja erst mal kein
besonders interessanter Beruf zum Angucken. Um die Leser nicht zu
langweilen, konzentriere ich mich stark auf Gesten, Gesichtsausdrücke und
Charaktere. Und dann leihe ich mir beim Film den Wechsel der
Kameraperspektive.
Wie kamen Sie auf die Idee, Interviews, bei denen ein Simultanübersetzer
dabei war, mithilfe sich überlappender Sprechblasen darzustellen?
Ich wollte die Panels nicht mit zu vielen Sprechblasen überfrachten. Die
entscheidende Inspiration kam durch Radiointerviews, bei denen etwas
übersetzt werden muss. Da benutzt man ja die Technik des Voice-over. Die
Originalstimme wird von der Übersetzerstimme überlappt.
Es gibt im Buch einen großen Konflikt. Und zwar zwischen der Journalistin
Sarah Stuteville und ihrem Kindheitsfreund Dan, der auf der Reise dabei
ist. Wie war das für Sie?
Dan hatte sich, als Saddam schon tot war, für einen zeitlich begrenzten
Kriegseinsatz gemeldet. Er kommt eigentlich aus einem sehr progressiven
Haushalt, seine Eltern waren auch gegen Kriegsspielzeug. Sarah hat ihn
gebeten mitzukommen. Denn sie hoffte, er würde, wenn er Menschen trifft,
die unter den Folgen dieses Krieges leiden, seine Einstellung zum Einsatz
überdenken, und sie könnte dann ein Porträt von ihm absetzen. Alle fanden
das eine schlechte Idee, mich eingeschlossen. Es lief auch anders als
geplant. Dan hat schnell kapiert, was sie da mit ihm vorhatte. Also hat er
sie immer wieder auflaufen lassen. Als er stattdessen anfing, mir unter
vier Augen von seinen Zweifeln zu erzählen, war mir das ziemlich
unangenehm. Daraus kann man lernen, berichte nie über Freunde.
In Damaskus gibt es viele Gespräche mit Emigranten aus der oberen
Mittelklasse des Irak, die sich lautstark über die USA beschweren. War
herauszubekommen, ob sie früher Saddam-Unterstützer waren?
Nein, das war schwierig. Die meisten haben gesagt, sie hätten sich nicht
für das Regime interessiert. Das kann eine Rechtfertigungsstrategie sein.
Aber auch in Diktaturen leben viele ja tatsächlich einfach nur ihr Leben.
Mein Eindruck war, dass es sich um weitgehend unpolitische Menschen
gehandelt hat.
Sie treffen zuvor einen Kontaktmann, früher ein baathistischer Militär, der
für Saddam im Ersten Golfkrieg kämpfte und nun unwidersprochen einen Haufen
Lügen von sich gibt. Etwa, dass damals weder iranische Städte noch
Zivilisten bombardiert worden seien. Wollten Sie das nicht richtigstellen?
Klar haben wir darüber gesprochen, dass man diesem Typ nicht trauen kann.
Ich wollte, dass man das auch spürt. Aber ich mag nicht mit dem Holzhammer
auf etwas hinweisen. Die Leser können ja auch mal etwas nachlesen und sich
ihre eigenen Gedanken machen.
Aktuell engagieren Sie sich mit anderen Aktivisten gegen die
Trump-Administration. Wann hatten Sie genug?
Mit diesen kleinen Comics zugunsten von ACLU (American Civil Liberty Union,
eine Bürgerrechtsorganisation, Anm. d. Red.) habe ich angefangen, als Trump
begann, mehr als nur verbal gegen Immigranten und Flüchtlinge vorzugehen.
Als Aktivistin würde ich mich übrigens nicht bezeichnen. Viel von dem, was
jetzt passiert, ist ganz normale demokratische Bürgerbeteiligung.
2016 sagte Trump: „Der Krieg im Irak war ein riesengroßer Fehler.“ Ihre
Freundin Sarah Stuteville sagt, sie halte den Krieg für „die blödeste Idee
aller Zeiten“. Sind Liberale an dem Punkt mit Trump einig?
Es gibt mit Ausnahme einiger Republikaner in den USA heute einen großen
Konsens, dass der Krieg ein Fehler war. Aber darüber, was zu tun ist, gehen
die Meinungen stark auseinander. In diesem Krieg wurde unheimlich viel
zerstört. Und die Flüchtlinge, die wir getroffen haben, sind genau die
Leute, die es bräuchte, um das Land wieder aufzubauen: Ärzte, Anwälte,
Ingenieure, alle möglichen Akademiker. Dasselbe geschieht jetzt in Syrien.
Wie baut man Länder auf, wenn alle geflohen sind?
30 Mar 2017
## AUTOREN
Christiane Müller-Lobeck
## TAGS
Journalismus
Graphic Novel
Syrische Flüchtlinge
Syrischer Bürgerkrieg
Naher Osten
Dokumentation
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