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# taz.de -- Serienkolumne Die Couchreporter: Wettkampf um das Recht auf Flucht
> In der Netflix-Serie „3%“ sind Überwachung und Kontrolle Alltag. Doch es
> gibt einen Ausweg für jene, die sich in Tests bewähren.
Bild: Die Protagonisten von „3%“ leben in einer überbevölkerten Zukunft
Endlich mal unverbrauchte Gesichter. Endlich mal eine Geschichte, die
gefühlt nicht schon hundertmal erzählt wurde. Dabei macht es einem diese
erste Netflix-Eigenproduktion aus Brasilien anfangs nicht leicht.
Nicht, weil es sie nicht deutsch synchronisiert gibt, sondern nur
untertitelt – das ist eher von Vorteil: das brasilianische Portugiesisch
klingt so hübsch melodisch und sanft. Aber „3%“ hat ein ganz eigenes
Erzähltempo, viel langsamer, als man es heute gewohnt ist, daran muss man
sich in den ersten der acht Folgen erst (wieder) gewöhnen.
Die Serie ist in der nahen Zukunft angesiedelt. Die macht keinen Spaß,
sondern Angst. Jeder Mensch hat einen implantierten Chip hinterm Ohr, der
nicht nur seine Identität preisgibt; alle möglichen Daten sind abrufbar.
Und so gut wie jeder Winkel im öffentlichen Raum ist über Kameras
einsehbar. Ein Horrorszenario.
Es herrscht Endzeitstimmung, sie hängt wie eine graue Dunstglocke über dem
Großstadtmoloch, dem „Festland“. Es gibt dort einfach zu viele Menschen.
Sie leben in desolaten Zuständen, sind in Lumpen gekleidet, hungern. Einen
funktionierenden Staat scheint es – bis auf Kontrolle und Sicherheit –
nicht mehr zu geben. Amerikanische Serien greifen in diesem Genre gern auf
brachiale Mittel, Gewalt, Militär oder eben Zombies zurück – das ist hier
glücklicherweise anders.
## Nur drei Prozent treten die Reise ins Unbekannte an
In „3%“ geht es um Überbevölkerung, digitale Überwachung und Bildung im
weitesten Sinne. Denn es gibt eine Chance, dem Elend zu entkommen. Einmal
im Jahr können alle Achtzehnjährigen an einem Ausleseverfahren teilnehmen,
an dessen Ende ein Ticket in eine bessere Welt wartet. Und die liegt auf
einer Insel.
Nur drei Prozent eines Jahrgangs (daher der Serientitel) werden nach einer
Reihe von Tests die Reise in Unbekannte antreten. Niemand weiß, wie es dort
zugeht. Es gibt nur Gerüchte: Alle haben genug zu essen, gründen Familien,
werden steinalt, sind nie krank, aber immer glücklich. Klar, dass es da
einen Haken geben muss.
Die Achtzehnjährigen müssen fürs Auswahlverfahren als Erstes ihre Lumpen
ausziehen und – wie ein Ritual des Übergangs – in trendige Einheitskleidung
schlüpfen. Ihre alten Klamotten werden aufgehoben: Alle, die es nicht
schaffen, bekommen sie zurück – das sind bittere Szenen. Überhaupt gibt es
hier kaum freudige Momente. Eine Serie, die Bauchschmerzen verursacht.
## Mit einer brasilianischen Telenovela hat das nichts zu tun
Die Tests zielen natürlich nicht allein auf die körperliche Fitness ab,
sonst wäre ein Typ wie Fernando nicht dabei, der im Rollstuhl sitzt – auf
der Insel kann man seine Querschnittslähmung heilen. Die Intelligenz wird
genauso getestet wie soziale Kompetenzen, Führungsqualitäten und
Machtinstinkt. Mal kommt jemand weiter, der anderen hilft, mal jemand, der
über Leichen geht – im wahrsten Sinne des Wortes.
Das alles ist starker Tobak und fesselnd, weil unerwartet. Der gut
vorbereitete Schönling schafft es eben doch nicht, dafür aber die
unangepasste Außenseiterin. Auf nichts ist hier Verlass. Alles und jede/r
ist manipulierbar. Mit einer klassischen brasilianischen Telenovela hat das
schönerweise nichts mehr zu tun. Die Serie spielt zwar in der Zukunft,
verhandelt aber Themen unserer Tage.
18 Jan 2017
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Netflix
Dystopie
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Science-Fiction
Brasilien
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Flucht
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