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# taz.de -- Transsexualität und Politik: Die AfD-Wählerin
> Beate G. ist transsexuell, mit einer Muslimin verheiratet, und sie wählt
> die AfD. Die Geschichte einer Frau auf der Suche.
Bild: „Es ist eine Riesenscheiße, transsexuell zu sein“
„Ich habe bisher keine Bomben gebaut. Und ich laufe auch nicht in schwarzen
Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln rum.“ Beate G.* lacht. Aber ein
bisschen ernst meint sie es doch. Weil sie im Schützenverein trainiert, hat
sie Angst, als Waffennärrin dargestellt zu werden. Weil sie AfD wählt,
fürchtet sie, man könnte sie für einen Neonazi halten. G. ist eine
vorsichtige Gesprächspartnerin. Sie hat Angst, in eine Schublade gesteckt
zu werden.
Dabei passt sie in keine. Da gibt es verschiedene Identitäten, sich
widersprechende Rollen. G. ist ein Mensch auf der Suche, das ist die
einzige Konstante. G. ist transsexuell – und wählt AfD. G. ist mit einer
Muslima aus Zentralasien verheiratet und fürchtet den Untergang der
deutschen Kultur. G. hat Angst vor dem Islam, aber hat selbst fünf Monate
lang zu Allah gebetet. Ihr Weg führt durch einen Operationssaal in
Freiburg und die Gebetsräume von drei Moscheen, in eine Kleinstadt im
Schwarzwald und Almaty in Kasachstan und einmal quer durchs politische
Spektrum Deutschlands.
In ihrem Wohnzimmer zu Hause in einer baden-württembergischen Kleinstadt
hat G. weiße Spitzendeckchen auf der Kommode arrangiert. Ein Gesteck aus
Weihnachtskugeln und Trockenblumen schmückt eine Ecke des Raums. Im Schrank
stehen Reisetrophäen, eine handgroße Matroschka und Flaschen mit
bulgarischem Wein, am Fenster wuchert Aloe aus Russland. G. ist eine
kräftige Frau mit muskulösen Armen und schulterlangem weißem Haar. Das
Gesicht ist verhärmt, Make-up trägt sie keins. Mit knappen Bewegungen
verteilt sie Nussecken auf einem Teller.
Das Gebäck hat G. extra für die Besucherin gekauft, sonst leistet sie sich
keine Extravaganzen vom Bäcker. Das Geld ist knapp. Wegen ihrer
Bandscheiben ist die 60-Jährige in Frührente, sie hat einen
50-Prozent-Schwerbehindertenausweis. Nach Abzug der Miete bleiben ihr
monatlich 160 Euro übrig. Deshalb ist sie jetzt aus der AfD ausgetreten.
Den ermäßigten Mitgliedsbeitrag von 30 Euro, die Fahrten zu den Treffen,
selbst die Getränke könne sie sich nicht leisten, sagt sie. Dabei würde
sich Beate G. gerne mehr in der Partei engagieren. „Die AfD ist für mich
ein Instrument, um die alternativlose Politik aufzubrechen.“
Parteien haben Beate G. schon oft enttäuscht. Erst die CDU mit ihrer
Sozialpolitik, dann die Linke. Sie wurde Mitglied, trat wieder aus. Vor
allem die Unzufriedenheit mit der Europolitik brachte sie zur AfD. G.
beherrscht die Parteivokabeln: Die „Tagesschau“ nennt sie
„Tagespropaganda“, andere Medien „linksversifft“, Flüchtlinge „sogen…
Flüchtlinge“. Sie ärgert sich darüber, dass man nicht mehr „Negerkuss“…
„Zigeunerschnitzel“ sagen darf. Darüber, dass die ersten zwei Strophen des
Deutschlandlieds nicht mehr gesungen werden. Und darüber, dass es im
Schulunterricht auch um sexuelle Vielfalt geht.
Bis vor einem Jahr saß G. im Kreisvorstand ihres Landkreises und war
Sprecherin der Transsexuellen in der Partei. Ein Amt, das es eigentlich gar
nicht bräuchte – zumindest sagt sie das so. G. weiß nur von ein paar
Transsexuellen in der Partei, auf sie als Ansprechpartnerin ist nie jemand
zugekommen. „Ich habe auch noch nie erlebt, dass jemand versucht hat, mich
zu diskriminieren.“ Kurze Pause. „Und wenn, dann setze ich ein böses
Gesicht auf“, sagt G. und setzt ein freundliches Gesicht auf. Eine halbe
Stunde später, beim Rauchen auf dem Balkon, sagt sie: „Es ist eine
Riesenscheiße, transsexuell zu sein.“
## „Ich bin und war ja nicht schwul“
Die Zigarette zwischen den Fingern, hat sich G. auf einem Plastikstuhl auf
ihrem Balkon niedergelassen. Sie bläst den Rauch in die Luft und erzählt
von den Kränkungen des Alltags: Im Schützenverein nennen viele sie heute
noch mit ihrem früheren männlichen Vornamen. Das Sorgerecht für ihre damals
dreijährige Tochter aus erster Ehe habe sie auch wegen ihrer
Transsexualität verloren. Und ein Nachbar beschimpfte sie im Suff als
„Tunte“, das tat weh, „ich bin und war ja nicht schwul“.
Mit Menschen wie Beate G. hat die AfD kein Problem. Sagt die Partei. Aber
sie sagt auch: Man dürfe Kinder in Schulen nicht dazu zwingen,
Transsexuelle zu akzeptieren (Björn Höcke), Transgender seien
„gesellschaftlich kaum relevante Konstellationen“ (AfD Baden-Württemberg)
und es drohe eine unfaire „Überprivilegierung“ (AfD Sachsen-Anhalt). Auf
Facebook wirbt die AfD Bayern mit Sprüchen wie: „Sie finden es abstrus,
dass Menschen willkürlich nach Lust und Laune ihr Geschlecht verändern
können?“
Auf eine Transsexuelle in den eigenen Reihen war die Partei trotzdem
stolz. „Damit steht die AfD für die Toleranz, die uns linksgrüne Parteien
stets gerne vorgaukeln“, schrieb die Bundesinteressengemeinschaft
„Homosexuelle in der AfD“ im November 2015, als G. in den Kreisvorstand
gewählt wurde. Instrumentalisiert fühlt sich G. nicht. „Ich bin keine
Vorzeigetranse“, sagt sie entschieden.
## Gendersensible Sprache nennt sie Fundi-Gequake
Wie viele Transmenschen es in der Partei gibt, erfasst die AfD nicht. Als
stille Mitglieder hätten die meisten keine Probleme, meint die
transsexuelle Publizistin Tanja Krienen. Ganz anders, sobald sie wichtige
Ämter bekleiden möchten. Krienen selbst wollte einst für die AfD für den
Bundestag kandidieren. Das kam für ältere Parteifunktionäre nicht infrage.
„Ich habe händeringend versucht, zu erklären, dass das nicht mein Thema
ist“, sagt Krienen. „Ich wollte nicht als Transsexuelle in der Partei sein,
sondern einfach als ganz normale Frau.“ Tanja Krienen trat schließlich aus
der AfD aus.
Beate G. glaubt Krienens Schilderung nicht. Solche Probleme seien nicht
typisch für die AfD, die gebe es überall. Und die Partei sei immerhin ein
Hort für all jene bürgerlichen Transsexuellen, die mit den bunten Umzügen
am Christopher Street Day nichts anfangen können. „Die bunten Trullas auf
diesen Gay-Umzügen, die ich immer Fummeltrinen nenne, sind mir meistens zu
hochnäsig.“ Gewalt erführen diese Menschen, weil sie „rotzfrech“ seien,
sagt G. – schiebt aber dann noch ein „vielleicht“ und „teilweise“
hinterher. Gendersensible Sprache hält G. für „fundamentalistisches Gequake
über Definitionen“.
Transsexualität würde an Schulen außerdem zu positiv dargestellt. Seit den
Operationen hat G. keine Orgasmen mehr, wöchentlich muss sie sich
Salzwasserlösung in die Brüste spritzen lassen. Ihre Frau, die aus einer
konservativen kasachischen Familie stammt, kann nicht verstehen, warum der
Mann, den sie einst kennenlernte, jetzt eine Frau ist.
Als G. sich eingestand, eine Frau zu sein, war sie schon über 50 Jahre alt.
Sie springt auf, wird auf einmal freudig geschäftig. Aus dem Regal kramt
sie ein altes Album hervor und blättert darin. Ein Bild von ihr als
Kleinkind. Eine Seite weiter das Foto eines jungen Mannes in
Bundeswehruniform. „Da sehe ich in mir schon eine Frau.“ Ihr Leben lang
nahm sie Östrogen, das sie sich heimlich im Ausland bestellte.
## Angst vor der Zukunft
Aber als G. in den 1990ern in die Landesbibliothek nach Karlsruhe fuhr, um
sich über Transsexualität zu informieren, erschrak sie: „Die Fachliteratur
hat das damals mit Prostitution gleichgesetzt.“ Irgendwann, zwischen
kaputten Beziehungen und Nervenzusammenbrüchen, konnte G. mit der
Geschlechtsangleichung nicht länger warten. In Rekordzeit zog sie die drei
Operationen in Freiburg durch. Mittlerweile steht auch in ihrem Pass nicht
mehr ihr früherer männlicher Name.
G. bereut ihre Geschlechtsangleichung nicht. Doch sie hat Angst vor der
Zukunft, sagt sie auf dem kleinen Balkon mit dem Vogelhäuschen. Von hier
aus kann sie ein muslimisches Gebetszentrum sehen. Ihr Wohnort hat 25.000
Einwohner und drei Moscheen, unscheinbare Gebäude ohne Minarette. In allen
dreien hat G. schon gebetet. Auch in einem muslimisch geprägten Land lebte
sie eine Zeit lang: Kasachstan.
Ihre Frau lernte sie übers Internet kennen, als sie noch ihren männlichen
Vornamen trug. G. fuhr zu ihr, nach Almaty. Dort begann sie sich für den
Islam zu interessieren. Lernte etwas Arabisch, ließ sich einen Koran aus
Kairo schicken. Warum? „Warum nicht? Es ist halt eine der
Glaubensrichtungen“, entgegnet G.. Irgendwann hätten sie aber die Regeln im
Islam, etwa die Reinigungsvorschriften, zu sehr gestört.
Trotzdem: In G.s Bücherregal steht noch immer ein rotgoldener Koran, gleich
neben der Bibel. Religionen sind für sie gleichwertig. „Aber der Islam
gehört nicht zu Deutschland. Ein Volk, das seine Traditionen verliert,
gibt es bald nicht mehr.“ G. fühlt sich fremd in der eigenen Nachbarschaft.
Auf dem Klingelschild ihres Mehrfamilienhauses stehen ausländische Namen,
im Ramadan wird es in der Moschee nebenan abends schon mal laut.
Solche persönlichen Erlebnisse überträgt G. auf die Politik. Weil sie
selbst auf ihren Auslandsreisen in Kasachstan auf sich allein gestellt war,
soll es den Flüchtlingen in Deutschland nicht besser gehen. G. fürchtet,
von strenggläubigen Muslimen diskriminiert zu werden. „Wenn man diese
Fundamentalisten sieht, dann sind wir Transsexuellen diejenigen, die als
Erstes umgebracht werden.“ In einer Klinik habe eine Pflegerin mit Kopftuch
sie einmal „wie etwas Giftiges“ behandelt.
Vor Kurzem hat ihre Lebensgefährtin die Koffer gepackt, von der Trennung
erfährt G. per SMS. In ihrer Welt ist das nicht nur eine emotionale
Belastung, sondern auch eine finanzielle. Um soziale Unterstützung zu
bekommen, wird sie sich bald nach einer kleineren Wohnung umschauen müssen.
Wie es weitergehen soll, weiß Beate G. nicht. Manchmal überlegt sie sich
sogar, den Personenstand erneut zu wechseln. Als Mann lebt es sich
vielleicht weniger schwer. Sie ist verzweifelt auf der Suche nach einem
Minijob. In einem AfD-Büro zu arbeiten, ja, das könnte sie sich vorstellen.
„Aber wer holt sich so was wie mich schon rein“, sagt sie.
*Anmerkung der Redaktion: Auf Wunsch der Protagonistin haben wir ihren
Namen geändert.
25 Jan 2017
## AUTOREN
Elsbeth Föger
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