# taz.de -- taz-Serie: Die Reichsbürger (Teil 4): Mann ohne Land | |
> D. S. ist ein Eigenbrötler, begeistert von Chemie. Mit den Reichsbürgern | |
> hat er gebrochen. Seinen Platz gefunden hat er in diesem Land nicht. | |
Bild: „Ich bin ein hochsensibler Mensch. Ich kann mit Gewalt nichts anfangen.… | |
Berlin taz | Am Nachmittag eines grauen, diesigen Herbsttags balanciert D. | |
S., ein dünner Mann mit müden Augen, über eine Metallplanke auf ein Schiff, | |
das an einem Fluss am Rand von Berlin liegt. Es ist bereits dunkel. Er | |
trägt Schuhe mit hohen Absätzen. Im Schwarz unter ihm schwappt eiskaltes | |
Wasser. | |
Mit dem Schiff verbindet sich sein Plan. Sein neues Leben, wenn es gut | |
geht. Sein Name soll nicht in der Zeitung stehen, nur seine Initialen, | |
sonst könnte man ihn googeln. „Ich bin ein Fluchttier“, sagt er, „ich ge… | |
Konfrontationen aus dem Weg. Deshalb auch das mit dem Schiff.“ Im Internet | |
hatte er nach Möglichkeiten gesucht, wie er der Aufsicht der Ämter entgehen | |
kann. So kam er auf das Thema Schiffsrecht. Aber seine Existenz aufs Wasser | |
zu verlegen brauchte Zeit. Also googelte er weiter. Das war 2010. | |
Vier Jahre später wurde er zu einer Chiffre für die Gefahr, die von | |
Reichsbürgern ausgeht. Dazwischen liegen Razzien, eine Einweisung in die | |
Psychiatrie, ein Prozess und eine Geschichte wie eine Mischung aus McGyver | |
und Kafka. Sie handelt von einem Mann, der zwischen Behördendruck und | |
Reichsbürgerideologie fast zermahlen wurde. | |
„Ein Angehöriger eines Phantasiestaates hortete bis Mitte 2012 auf seinem | |
Grundstück in Neukölln Sprengstoff.“ So steht es in einem | |
Reichsbürger-Infoblatt der Senatsverwaltung für Inneres. Die Rede ist von | |
D. S. Die Polizei hatte bei ihm zehn Kartons mit je 500 Sprengstoffkapseln | |
und 127 Bodenleuchtkörper gefunden, alles in allem eine Explosivstoffmasse | |
von 300 Kilo. | |
## Chemikalien wie Preziosen | |
„Ja, und?“, sagt S. Er steigt nun in den Bauch des Schiffs. Drinnen ist es | |
weit und kühl wie in einer Kathedrale. Von beiden Seiten drängen sich | |
Regale, Kisten, Behälter so dicht, dass nur ein schmaler Gang frei bleibt. | |
S. zieht einen flachen Quader aus einer Box. „Gucken Sie sich das mal an“, | |
sagt er, „der Plattensatz einer Taschenplattenbatterie aus den 70ern. Die | |
Laufzeit beträgt weit über 100 Jahre.“ Diese Batterien sind für ihn etwas | |
Faszinierendes. Aber die Behörden werfen ihm illegale Abfalllagerung vor. | |
„Abfälle sagen die!“, ruft er fassungslos. | |
Alles hier ist für ihn kostbar. S. hat bereits vieles verloren. All die | |
Dinge, die er angesammelt hatte. Wertvolle Chemikalien, beschlagnahmt und | |
entsorgt, ein Fass voll Fluocinolonacetonid, ein Schaden von, sagt S., zwei | |
Millionen Euro. Wenn es um die Materialien geht, liegt in seiner Stimme ein | |
großer Schmerz. Er klettert wieder nach oben. Ein kalter Wind schneidet | |
übers Ufer. S. zieht seinen Mantel um sich. Er steuert ein Vereinslokal an. | |
Zwei Männer trinken Bier am Tresen. S. bestellt heißen Kakao und überlegt, | |
wie er anfangen soll. | |
„Reichsbürger“, sagt er, „ich wusste gar nicht, was das ist.“ D. S., 43 | |
Jahre, hatte in Neukölln ein Grundstück gekauft. Von dort führte er einen | |
Großhandel für Chemikalien. Er lebte auch dort, mit seiner Freundin, die 30 | |
Jahre älter ist. S. sagt, er stand schon immer auf ältere Frauen. Hillary | |
Clinton etwa, die findet er attraktiv. „So Muttchen. Da fühle ich mich gut | |
aufgehoben.“ | |
Im Auftrag von Insolvenzverwaltern räumte S. stillgelegte Fabriken aus. Er | |
kaufte Materialien auf, die er darin fand. Auch als Pyrotechniker arbeitete | |
er. „Fachlich hat mir bisher keine Behörde etwas vormachen können“, sagt | |
er. Das ist ein Teil des Problems. S. sagt, das Bezirksamt Neukölln habe | |
immer neue Nachweise gefordert. Wie ist sein Lager eingerichtet? Ist sein | |
Grundstück dafür geeignet? | |
## Hoffnung bei den Reichsbürgern | |
Als wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Verfahren in Gang kam, geriet er in | |
Bedrängnis. Da stieß er im Internet auf eine Seite, auf der er las, dass | |
die Bundesrepublik kein legitimer Staat sei und dass ihm die Behörden | |
nichts vorschreiben könnten. Er nahm die Begriffe von der Seite, googelte | |
und landete auf der Seite von Peter Frühwald, der das Konzept „staatliche | |
Selbstverwaltung“ propagiert. Demnach kann man sich quasi aus der | |
Bundesrepublik abmelden. Eine Hoffnung. „Ich hab von dem Zeug keine Ahnung. | |
Man kann mich nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz fragen, nach der | |
Strahlenschutzverordnung. Aber von Politik und Recht hab ich keinen Plan.“ | |
Damit steht S.’Schicksal für dieses Milieu, das als Auffangbecken für viele | |
gilt: Trittbrettfahrer, insolvente Unternehmer, Menschen mit | |
Steuerschulden. Aber auf der anderen Seite knüpfen auch Neonazis an die | |
Szene an. S. ahnte davon nichts. Er belegte ein Seminar bei Frühwald. Die | |
Leute, die er dort traf, seien keine Rechten gewesen, darunter ein Mann, | |
der Probleme mit dem Jugendamt hatte. Ein Nudist, der nackt wanderte und | |
eine Anzeige kassierte. Ein Transsexueller, dem die Krankenkasse Probleme | |
machte. „Solche Leute waren da. Weil da Freaks waren, fühlte ich mich | |
richtig.“ | |
Aber damit begann sich eine Spirale zu drehen, in der es immer schneller | |
nach unten ging: S. feuerte seinen Steuerberater, weil er glaubte, dem | |
Finanzamt nichts zu schulden. Auf seinem Grundstück stellte er ein Schild | |
auf: „Republik Freies Deutschland Hoheitsgebiet.“ Er schickte den Behörden | |
Briefe voller Paragrafen. Vordrucke, die Frühwald ausgehändigt hatte. Eine | |
Antwort erhielt er nie. Das spornte ihn an. „Wenn mit mir einer nicht | |
diskutiert, komme ich damit nicht klar.“ So kam das eine zum anderen, | |
Bußgeldbescheid, Mahnungen, die Androhung von Erzwingungshaft. S. | |
widersprach, argumentierte, schließlich soll er gedroht haben, massiv. | |
Deshalb musste er sich vor Gericht verantworten. S. sagt: „Man hat alles | |
getan, um mich zu kriminalisieren und zu psychiatrieren.“ | |
## „Er hat geniale Züge“ | |
Rainer Teschner-Steinhardt, Leiter des Umweltamts Neukölln, hatte D. S. | |
häufiger im Büro. „Er hat geniale Züge“, sagt er, „aber sein | |
Gesamtauftreten ist merkwürdig. Wir haben eine Sachverständigenprüfung auf | |
seinem Gelände angeordnet, und in der Folge hat er uns mit unglaublich viel | |
Papier überhäuft.“ Seine Behörde habe unter Zugzwang gestanden, das | |
Landeskriminalamt ermittelte. „Die ganze Situation war unübersichtlich. Man | |
war sich nicht sicher, was dort überhaupt lagert. Es gab Behälter ohne | |
Aufschrift und Stoffe, deren Verfallsdatum abgelaufen war.“ Möglich, dass | |
S. sich noch zurechtgefunden hat. „Aber von außen sah das Gelände | |
verwildert und chaotisch aus.“ 400.000 Euro habe die Räumung den Bezirk | |
gekostet. | |
D. S. sitzt ganz still in der Gaststätte, alles glitzert, die Silberfäden | |
in seinem Kleid, die Perlen in seinen Ohren. Von den Drohungen, weswegen er | |
angeklagt war, sind nur Bruchstücke überliefert. Im Telefonat mit einer | |
Mitarbeiterin des Amtsgerichts sollen die Worte „gnadenlos vollstrecken“, | |
„auslöschen“ und „Nazizeit“ gefallen sein. S. streitet das ab. Er räu… | |
aber ein, eine Mail ans Bezirksamt Neukölln gesandt zu haben: „Im Fall | |
eines Angriffs wird Gewalt unglaublicher Härte gegen alle Beteiligten | |
eingesetzt.“ „Das ist provokativ gewesen“, sagt er, „Ich war ein bissch… | |
sauer. Und übermüdet. Es war unglücklich formuliert.“ | |
S. wuchs in Ostberlin auf, ein hochbegabter Schüler, der in Chemie und | |
Physik brillierte. Er machte eine Lehre zum Mess- und Regeltechniker. | |
Danach bildete er sich fort im Bereich Sprengstoffe und Industriechemie. Er | |
wirkt, als habe er sich wund gerieben an all den Kämpfen. Was nun noch | |
hinzukommt: Seine Freundin ist 73, sie wurde in ein Pflegeheim eingewiesen. | |
S. kann nicht davon sprechen, ohne zu weinen. | |
## Nicht schuldfähig | |
Im April 2013 wurde bei ihm eine wahnhafte Störung diagnostiziert. S. sagt, | |
Anhänger von Frühwald hätten ihm vorgegeben, was er dem Gutachter sagen | |
soll. Also trug er Reichsbürger-Thesen vor. Er wurde in die Klinik des | |
Maßregelvollzugs eingewiesen. Zu Prozessbeginn war er weg. Ausgebrochen. | |
„Ich hab’den Code des Schlosses extrahiert und dann aus dem Teil einer | |
Plastikflasche, einer Büroklammer und dem Teil eines Kugelschreibers einen | |
Generalschlüssel gebaut.“ Monate später wurde er in Polen aufgegriffen. Das | |
Landgericht sprach ihn im Mai 2014 frei: nicht schuldfähig. | |
S. senkt den Blick; wie er es sieht, haben die Behörden seine Existenz | |
absichtlich vernichtet: Er hatte eine Genehmigung für die Lagerung von | |
Pyrotechnik. Bloß war das, was die Polizei bei ihm fand, weit mehr, als er | |
hätte haben dürfen – das ist die Version der Behörden. „Es war so | |
zulässig“, sagt S., „es wurde ja nicht gelagert, sondern befand sich im | |
Arbeitsgang.“ Dafür gelten andere Grenzen. | |
Es gibt keinen Hinweis, dass die Behörden gegen Recht verstoßen haben. Und | |
doch bleibt der Eindruck, S. wurde Unrecht getan. Mit den Reichsbürgern hat | |
er gebrochen. „Das sind Betrüger, die nutzen die Notlagen von Leuten aus.“ | |
Frühwald hatte ihn an einer schwachen Stelle erwischt; er stellte in | |
Aussicht, dass ein anderes Land möglich sei, eines, in dem es einen Platz | |
für Menschen gibt wie ihn. | |
## Der Traum von einer besseren Republik | |
„Man wollte auf dem Gebiet der Bundesrepublik etwas Soziales machen. Etwas | |
Menschliches. Damit haben sie die Leute geködert. Nicht mit irgendwelchen | |
Reichs-Ideen.“ Er fragt sich manchmal, warum es für Menschen wie ihn keine | |
Hilfen gibt. Hätte ihm einer gesagt: Passen Sie auf, Sie sind auf eine | |
obskure Gruppe reingefallen, dann hätte er sich was anderes einfallen | |
lassen, sagt er. So aber nahm die Eskalation ihren Lauf. | |
S. ist ein Sonderling. Aber gefährlich? Er lächelt traurig. „Ich bin ein | |
hochsensibler Mensch. Ich kann mit Gewalt nichts anfangen. Ich komme ja | |
nicht mal mit jungen Frauen klar, weil die mir zu quirlig sind.“ Was er | |
sich wünscht, ist Ruhe. | |
Dann läuft er noch einmal zum Schiff, holt sein Laptop. Er will ein | |
Feuerwerk zeigen, das er an Silvester aufgebaut hatte. S. schaut auf das | |
Video. Vor ihm explodieren Feuerspiralen, alles verschwimmt im gleißenden | |
Licht. Zum ersten Mal wirkt er gelöst. | |
18 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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