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# taz.de -- taz-Serie: Reichsbürger (Teil 2): Reich an Papieren
> Spinner, Rechte, Abgehängte? Wieso Menschen die Bundesrepublik
> anzweifeln. Diesmal: Schulungen von Reichsbürgern und über Reichsbürger.
Bild: Ein Reichsbürger hält seinen selbst gebastelten „Deutsches Reich Reis…
Leipzig/ Cottbus taz | Der Weg zur Freiheit führt über die Bürokratie, über
Schriftsätze und Paragrafen. Und weil es im Kampf gegen die Willkür feste
Regeln gibt, kommt es auf jedes Detail an.
„Wir arbeiten nur mit Tinte“, sagt Peter Frühwald. Der Name muss in Blau
geschrieben sein, darunter gehört ein Daumenabdruck in Rot. Dann, sagt
Frühwald, ist die Lebenderklärung wirksam. „Damit erklären Sie der Struktur
der Bundesrepublik, dass Sie Ihre Rechte wieder wahrnehmen.“
Frühwald, ein 56 Jahre alter Bayer mit Schnauzbart, sitzt mit ganzem
Gewicht in eine Kunstledercouch versunken. Durch die Fenster hinter ihm ist
der Leipziger Augustusplatz zu sehen, links die wuchtige Glasfront des
Neuen Gewandhauses, rechts die Säulenfassade der Oper. Frühwald hat sich in
einer Hotellounge eingerichtet. Er gilt als ein Vordenker des
Reichsbürgermilieus, führt einen Blog, einen YouTube-Kanal und gibt Kurse.
Deswegen ist er hier. Aus seiner Aktentasche zieht er Kopien, Schnellhefter
voller Briefe, Vorlagen, die er ringsum verteilt. „Das alles“, sagt er,
„können Sie so übernehmen.“
Durch die Flure der Arbeitsagentur Cottbus hastet ein Mann mit weißen
Haaren und kompakter Statur. Es geht auf halb zehn zu; Hüllen ist spät
dran. Er tritt in einen Raum, wo rund 50 Menschen warten; sie alle arbeiten
in der Arbeitsagentur oder einem Jobcenter der Region. Michael Hüllen,
Fachmann für Reichsbürger beim Verfassungsschutz Brandenburg, klappt seinen
Laptop auf und knipst einen Projektor an; er hat seinen Vortrag schon oft
gehalten; 3.000 Mitarbeiter von Behörden hat er bisher geschult.
## „Es gibt einen Höhepunkt“
Seit etwa vier Jahren, sagt er, befasst sich der Verfassungsschutz mit den
Reichsbürgern. „Und im Moment, das haben Sie sicher auch gemerkt, hat man
das Gefühl, dass es bei dem Thema einen Höhepunkt gibt.“
Peter Frühwald und Michael Hüllen sind sich nie begegnet. Und doch sind sie
durch einen Konflikt verbunden. Einen Konflikt, der sich deutlich
zugespitzt hat: Auf der einen Seite stehen Mitarbeiter in Ämtern und
Stadtverwaltungen. Auf der anderen Menschen, die den Staat und alle seine
Vertreter ablehnen. Menschen wie Peter Frühwald.
Zweimal innerhalb weniger Wochen ist es nun sogar zu einem Schusswechsel
zwischen der Polizei und Reichsbürgern gekommen, im August in
Sachsen-Anhalt, im Oktober in Bayern. Dass Reichsbürger zur Gewalt greifen,
ist die Ausnahme. Briefe, Faxe und Anrufe aus dem Milieu aber gehören in
vielen Behörden zum Alltag. Hüllen geht es darum, den Teilnehmern ein
Grundwissen zu vermitteln, damit sie nicht unvorbereitet sind, wenn sie es
mit Reichsbürgern zu tun kriegen.
## Etwa 70 Prozent der Fälle
Denn die kommen Immer häufiger selbst in die Behörden – und treten immer
vehementer auf. Hüllen sagt, dass mehrere Ämter mit Notfallknöpfen und
Sicherheitsschleusen ausgerüstet wurden. „Aber doch nicht nur wegen der
Reichsbürger?“, fragt eine Frau. Hüllen hebt die Schultern: „Etwa 70
Prozent der Fälle, in denen es in den Behörden Probleme gab, hatten mit
Reichsbürgern zu tun.“
Dann drückt er eine Taste auf seinem Laptop, an der Wand erscheinen
Schaubilder. Die Szene ist zersplittert und zerstritten, etliche
Königreiche, Freistaaten rivalisieren untereinander, alle mit dem Anspruch,
den wahren deutschen Staat zu repräsentieren. „Ach, du liebes bisschen“,
flüstert eine Frau mit Kurzhaarfrisur und Goldrandbrille.
Hüllen lässt einen Reichsausweis herumgehen. Er empfiehlt dringend, solche
gebastelten Papiere grundsätzlich abzulehnen. „Wir haben gehört, dass in
Cottbus zum Teil Fantasiepapiere anerkannt wurden.“ Er hat Videos im
Internet gesehen, die zeigen, wie Reichsbürger Mitarbeiter von Behörden so
drangsalieren, dass diese aus ihren Büros fliehen oder sich vor Angst
einschließen. „Das geht natürlich nicht.“
Hüllen will erreichen, dass solche Bilder nicht mehr entstehen. Aber auch
die Reichsbürger bieten Workshops und Seminare an. Peter Frühwald blättert
in seinen Unterlagen hin und her, in Schreiben, die seinen Anhängern helfen
sollen, sich gegen die Macht der Behörden zur Wehr zu setzen. Dazu gehört
die Lebenderklärung, womit man bestätigt, weder „verstorben noch
verschollen und nicht auf hoher See untergegangen“ zu sein. Man soll sie
ans Standesamt schicken, „die müssen es weiterleiten an den Vatikan“.
## Einfach abmelden aus der BRD
127 Euro kostet Frühwalds Schulung; an diesem Samstag hat Frühwald nur zwei
Zuhörer; dass eine Reporterin darunter ist, weiß er nicht. Sonst ist nur
ein recht junger Mann in schwarzem T-Shirt gekommen, der die meiste Zeit
über schweigt. Frühwald sagt, zu seinen Kursen kommen nie viele Leute,
manchmal sind es zwei und manchmal zehn. Aber er ist jedes Wochenende
unterwegs, um seine Thesen zu verbreiten: Der Staat existiert nicht. Also
kann es auch keine Behörden geben, die einem Vorschriften machen können.
Frühwald stammt aus Fürth und war früher in der CSU aktiv. Seit 2010 führt
er die „Arbeitsgemeinschaft Staatliche Selbstverwaltungen“ an. Anders als
andere Reichsbürger hat er also keinen eigenen Staat ausgerufen, sondern
sich quasi aus der Bundesrepublik abgemeldet.
Frühwald ist kein geborener Redner, sein Vortrag mäandert stockend durch
die Menschheitsgeschichte, er kommt vom Dreißigjährigen Krieg zum Wiener
Kongress, von der Boston Tea Party zur türkischen Belagerung Wiens. Der
junge Mann neben ihm verschränkt die Finger und lässt die Gelenke knacken.
Den Deutschen, sagt Frühwald, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine
illegitime Verwaltung aufgezwungen.
Aber er kann auch einen Ausweg aus der Entrechtung aufzeigen: „Bei der
Staatlichen Selbstverwaltung sind alle eingeladen. Wir brauchen Struktur
und Masse, Leute, die sich abmelden und bei uns neu anmelden.“ Dazu sei es
aber erforderlich, erst den Personalausweis zurückzugeben; der junge Mann
neben ihm hat das bereits getan; er sagt: „Werden Sie ihn los. Der
entrechtet Sie total.“
## Ein Schreiben: 17 Seiten lang
Michael Hüllen klickt sich durch seine Powerpointpräsentation, lässt einen
roten Lichtpunkt über Diagramme gleiten. Der Reichsbürger ist im Schnitt
51,3 Jahre alt, in 84,6 Prozent der Fälle männlich, seine Schreiben sind 17
Seiten lang. Eine füllige Frau in der letzten Reihe hebt die Hand. Zu den
Menschen, die ihr Jobcenter betreut, zählt ein Reichsbürger. „Der macht uns
das Leben schwer. Es kann ihn ja keiner hindern, zu kommen und Briefe zu
schreiben, aber die sind wirklich sehr unangenehm.“
Hüllen nickt knapp. „Es gibt in diesem Bereich eine ganze Reihe
unterschiedlicher Charaktere. Manche sind harmlos“, sagt er, „aber wir
haben den Eindruck, dass in der Verwaltung der Druck zunimmt.“ Die
Schreiben der Reichsbürger sollen dazu dienen, die Behörde lahmzulegen. In
den USA hat sich für diese Methode der Begriff paper terrorism
durchgesetzt.
Die Jobvermittlerin ganz hinten meldet sich erneut. Diese Briefe, sagt sie,
seien ja nicht ans Jobcenter adressiert, sondern an sie: „Privatperson
einer illegalen Behörde“. Die Frau atmet tief ein und aus. „Da steht, Sie
werden strafrechtlich verfolgt nach Paragraf bumsfallera und haften mit
Ihrem Privatvermögen.“ Eine Kollegin habe so ein Schreiben in ihrem
Briefkasten zu Hause gefunden – der Reichsbürger muss sie auf dem Heimweg
verfolgt haben.
„Ich würde empfehlen, Anzeige zu erstatten“, sagt Hüllen.
## „Entehrt“
Der Nachmittag bricht an in Leipzig; draußen ziehen Wolkenfetzen vorbei, in
der Lounge des Hotels wechseln Licht und Schatten. Eine Gruppe Rentner hat
sich am Nebentisch niedergelassen; Frühwald redet gegen ihr Gespräch an. Er
will erklären, wie man um die Zahlung von Bußgeldern herumkommt. „Nun
wollen wir uns mal anschauen, wie so etwas funktioniert“, sagt er. In einem
der Hefter, die er ausgeteilt hat, ist ein Beispielfall zu finden; es ging
um einen Strafzettel, den er erhalten hat, um einen Betrag in Höhe von 20
Euro.
Der Chef des Polizeiverwaltungsamts habe ihn durch die Forderung „entehrt“,
sagt er: „Damit hat er im Handel von Mensch zu Mensch ein Vergehen
begangen.“ Also schrieb er, er akzeptiere das Angebot der „Firma
Polizeiverwaltungsamt“ – stellt aber eine Gegenforderung. 20 Millionen
US-Dollar. In seiner Weltsicht ist nun nicht mehr er der Schuldner, sondern
die Behörde. Frühwald hat rund ein Dutzend Erklärungen verschickt,
Mahnungen, Inverzugsetzungen, Verpflichtungserklärungen.
Zwar hat die Behörde nie gezahlt. Andererseits sei es ihr aber auch nicht
gelungen, das Bußgeld einzutreiben. Der Briefwechsel hörte irgendwann
einfach auf. Frühwald wertet das als Sieg.
## Konsens im Dissens
„Was soll ich tun, wenn ich jemanden in meinem Büro habe und werde den
nicht mehr los?“ Eine schmale Frau mit blassem Gesicht schaut Hüllen an.
Der Verfassungsschützer kann nur dazu raten, resolut aufzutreten und sich
nicht in lange Debatten verstricken zu lassen. „Sagen Sie: ,Ich habe Ihre
Meinung angehört. Ich habe eine andere Meinung.' Dann machen Sie von Ihrem
Hausrecht Gebrauch.“ Konsens im Dissens“, so lautet die Strategie.
Gleich ist Mittagszeit. Eine Vermittlerin hat noch etwas loszuwerden: „Wir
haben nicht die Wahl, wir können nicht sagen: Wir können mit denen nicht
arbeiten.“ Auch sie hat es mit einem Reichsbürger zu tun, „meiner ist 37
Jahre alt. Den hab ich noch 30 Jahre in der Betreuung.“ Ihre Stimme ist
hoch und zittert leicht. „Gegen den laufen diverse Klageverfahren, aber wir
sind mit dem noch immer nicht weiter.“
„Werden Sie auch nicht kommen“, sagt Hüllen.
Er empfiehlt, die Polizei zu rufen, wenn die Situation bedrohlich wird.
„Die Behörden in Brandenburg nehmen das Problem ernst“, sagt er, „das ka…
ich mit Fug und Recht sagen.“
Dann packt er seinen Laptop ein und greift seinen Mantel. Draußen stäubt
Nieselregen über das Zentrum von Cottbus. Hüllen wird bald wieder eine
Schulung abhalten, diesmal vor Bürgermeistern in der Prignitz. Auch
Frühwald gibt auf seiner Website schon neue Termine bekannt, fast an jedem
Wochenende, in Leipzig, Mönchengladbach oder Duisburg.
3 Nov 2016
## AUTOREN
Gabriela Keller
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