# taz.de -- Neue Austen-Verfilmung im Kino: Starke Heldinnen, männliche Blödh… | |
> „Lady Susan“ ist ein eher unbekannter Briefroman von Jane Austen. Als | |
> „Love & Friendship“ kommt er jetzt auf die Leinwand. | |
Bild: Alicia (Chloë Savigny, l.) und Lady Susan (Kate Beckinsale) | |
Was ist zeitgemäß und was aktuell? Wer ins Kino geht, findet darauf sehr | |
verschiedene, um nicht zu sagen: diversifizierte Antworten. Die zwei großen | |
Kassenhits dieser Tage scheinen auf den ersten Blick – eben außer dem | |
aktuellen Anspruch auf „diversity“ – weder dem Bedürfnis nach Aktualität | |
noch dem nach Zeitgemäßheit zu entsprechen. So ist bei „Rogue One: A Star | |
Wars Story“, dem Prequel zu einer vor fast 40 Jahren gestarteten | |
Blockbusterserie, vor allem das Marketing zeitgemäß. Den Status der | |
„Aktualität“ kann man dem Film allenfalls diffus im Genre zuschreiben: mehr | |
Kriegsfilm als Actionkomödie, passt er gefühlt besser zur gegenwärtigen | |
Nachrichtenlage. | |
Der Animationsfilm „Vaiana“ wiederum steckt zwar voller aktueller Inhalte, | |
von der Ermutigung für junge Mädchen über einen Appell gegen Eurozentrismus | |
bis hin zur Öko-Botschaft gegen Klimawandel, die aber werden hübsch | |
verpackt in eine Disney-Animationsbildsprache mit zeichnerischem Witz und | |
stimmungsvollen Gesangsroutinen. | |
Für Jane-Austen-Verfilmungen gilt: Sie sind eigentlich nie richtig | |
zeitgemäß und doch immer in Mode. In dieser Nische des Abseitigen kann | |
deshalb eine Independent- und Low-Budget-Produktion wie Whit Stillmans | |
„Love & Friendship“ umso besser gedeihen – und außerdem zeigen, dass | |
Zeitgemäßheit nicht davon abhängen, wie die Kostüme aussehen oder wann die | |
Handlung spielt. | |
Vielmehr kommt es darauf an, in welches Verhältnis man sich als Zuschauer | |
zum Geschehen auf der Leinwand setzt und welche Art von Konversation ein | |
Film dafür anbietet. „Love & Friendship“ fordert das Gespräch geradezu | |
heraus. Nicht als Party-Smalltalk, eher als Debattenrunde wie im gemischten | |
Familienkreis zu Weihnachten: meinungsfreudig, emotional, argumentativ | |
stark. | |
## Ein Ensemble von erlesener „Hipness“ | |
Dabei begibt sich Whit Stillman bei seiner Austen-Verfilmung willentlich | |
noch ein Stück weiter in die Obskurität, indem er sich zur Vorlage nicht | |
einen der Großklassiker wählt, die sowieso jedes Jahrzehnt neu für die | |
Leinwand adaptiert werden wie „Stolz und Vorurteil“ oder „Sinn und | |
Sinnlichkeit“. Stattdessen sucht er sich mit „Lady Susan“ einen unbekannt… | |
Briefroman aus dem Frühwerk von Austen. | |
Die Verfilmung aber besetzt er mit einem Ensemble von erlesener „Hipness“: | |
Kate Beckinsale kehrt vom „Underworld“-Actionfranchise zurück und spielt | |
seit 18 Jahren erstmals wieder neben Chloë Sevigny, mit der sie in | |
Stillmans „Last Days of Disco“ (1998) ikonenhaft ein sich nicht immer | |
wohlwollend gesonnenes Freundinnenpaar verkörpert hatte. | |
Um sie herum agieren so unterschiedliche Größen wie der Australier Xavier | |
Samuel von neuerem „Twilight“-Ruhm, James Fleet von älterer „Vier | |
Hochzeiten und ein Todesfall“-Bekanntheit, britischer Schauspiel-Adel wie | |
die Vanessa-Redgrave-Nichte Jemma Redgrave und in einer Kurzrolle sogar | |
Stephen Fry. | |
Gemeinsam widmen sie sich dem Stoff mit einer spielfreudigen Entdeckerlust, | |
die wirkt, als wären sie als Gruppe von eingeschworenen Freunden in einen | |
imaginären, verlassenen Themenpark „Austenland“ eingedrungen, hätten sich | |
die strengen Kostüme mit ihren Korsetts, Hüten und Männerperücken | |
übergestülpt und das Rezitieren angefangen. | |
Stillman beschränkt sich auf ein paar wenige Handlungsorte und die bei | |
Austen üblichen „Standardsituationen“: Verabredungen zum Tee, Spaziergäng… | |
ab und an eine Kutschenfahrt. Höhepunkte des Ereignisreichtums sind | |
Besucher, die ohne Anmeldung zum Tee erscheinen. Die Steifheit des Settings | |
lenkt die Aufmerksamkeit auf die Dialoge, die von den Lippen der | |
Schauspieler abrollen wie Perlenschnüre mit Pointen in so dichter Folge, | |
dass sie sitzen, noch bevor man sie als Zuschauer ganz begriffen hat. „Da | |
ein Element von Freundschaft im Spiel ist, bin ich sicher, dass das Zahlen | |
von Honoraren für uns beide nicht das Richtige wäre“, beschreibt etwa Lady | |
Susan das Verhältnis zu ihrer Begleiterin Mrs. Cross, die sich auf diese | |
Weise in der unbezahlten Domestikenrolle wiederfindet. | |
## Das Austen’sche Lebensthema | |
Die Handlung scheint wie oft bei Austen übersichtlich, gleichzeitig wird | |
man von den ersten Bildern an mit einer Menge an Figuren und | |
Verwandtschaftsverhältnissen konfrontiert, die überfordernd wirken. Dass | |
Stillman die hinzukommenden Figuren in einer Art „tableau vivant“ | |
vorstellt, erleichtert die Orientierung nur oberflächlich. Als Stoff stellt | |
„Lady Susan“ eine böse Satire auf Austens Dauerthema des „Matchmakings“ | |
dar. Lady Susan (Beckinsale), verwitwet und mittellos, sucht sowohl für | |
sich wie für ihre Tochter Frederica den richtigen Mann. Stillman betont | |
ausdrücklich die Ambivalenz dieser Suche, die von den Frauen eine nicht | |
unerhebliche Kompromissbereitschaft fordert: Wie viel männliche Dummheit | |
ist tolerabel, wenn man ein komfortables Leben führen will? | |
Stillman legt die Doppelseitigkeit des Austen’schen Lebensthemas bloß: | |
Einerseits unterstreichen die Romane die gängige Sichtweise, in der Frauen | |
die gefühlsbetonten Romantikerinnen sind und Männer die vernünftigen | |
Pragmatiker. Andererseits zeigt sich, dass es die Frauen sind, die einen | |
ebenbürtigen Gesprächspartner suchen und die dieses Grundbedürfnis mit dem | |
pragmatischen Geboten des Versorgtseins vermitteln müssen. | |
Hier sind es tatsächlich Beckinsales Lady Susan und ihre von Chloë Sevigny | |
verkörperte amerikanische Freundin, die wie wahre „captains of industry“ | |
den Heiratsmarkt einschätzen, Pläne schmieden und Strategien erörtern. Und | |
so manche Niederlage konstatieren: Über den Gatten der Freundin bemerkt | |
Lady Susan an einer Stelle, dass er leider zu alt sei, um sich lenken zu | |
lassen, und zu jung, um bald zu sterben. Weshalb ihr frommster Wunsch für | |
die Freundin lautet: Möge seine nächste Gichtattacke schwer verlaufen! | |
Was sonst oft als Karikatur der intriganten, bösen Frau daherkommt, befreit | |
Stillman mit seinen beiden starken Heroinnen: Diese Frauen sind einfach zu | |
intelligent, zu weitsichtig, um sich mit Geringerem zufriedenzugeben. Sie | |
wissen um ihre finanziellen Abhängigkeiten, was ihr Tun vom Ruch der reinen | |
Unmoral befreit. Und dazu noch stellt Stillman ihrer überlegenen weiblichen | |
Intelligenz gleich mehrere Beispiele von in der Tat „herrlicher“ männlicher | |
Blödheit gegenüber. Der Höhepunkt dessen ist die Figur Sir James: ein Mann, | |
der darüber staunt, dass ein Poet außer Poesie auch noch Verse schreibt. | |
In der Tradition einer Shakespeare-Komödie endet „Love & Friendship“ mit | |
einem Happy End, das zugleich sein Gegenteil enthält: Man kann Lady Susan | |
dafür bewundern, wie sie in einer kunstvoll arrangierten „Ménage à trois“ | |
ihren Willen durchsetzt. Aber wenn man hört, wie der „gehörnte“ und | |
zugleich unwissende Ehemann das Arrangement lobt, das es ihm möglich macht, | |
dem scharfen Verstand seiner Frau durch männerbündelndes Jagen („Klein- und | |
Großwild!“) zu entkommen, weiß man nicht mehr genau, wessen Glück hier | |
wirklich arrangiert wurde. | |
29 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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